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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Georg Kerschensteiners Legriff der Arbeitsschule

erziehnng, wenn die Kinder einer Schule 7 bis 8 Jahre hindurch auch nur
in einem, geschweige in mehr oder gar allen Unterrichtsgebieten sich angewöhnen,
eine Sache "so annähernd" oder "beinahe" recht zu machen und nichts ver¬
leitet mehr dazu -- ohne daß dies absolut notwendig wäre -- als der soge¬
nannte Arbeitsunterrlcht als Prinzip."

Also entweder: Arbeitsunterricht als Prinzip und als Fach -- oder: fort
mit den Knützeleien aus der Schule!

Diese Auffassung entspricht dem Goethewort, das unserem Aufsatz voran¬
gestellt ist: "Eines recht wissen und ausüben gibt höhere Bildung, als Halbheit
im Hundertfältigen." Und kennzeichnend für Kerschensteiners inneren Zusammen¬
hang mit goethischen Erziehungsgrundsätzen ist es, daß Goethe dieses goldene
Wort in Anknüpfung an das Lob des Handwerks gesprochen hat; denn, wenn
auch nochmals betont werden muß, daß Arbeitsunterricht nicht das Kennzeichen
der Arbeitsschule in Kerschensteiners Sinne ist, so spielt doch die Schätzung der
manuellen Tätigkeit eine große Rolle in Kerschensteiners Lehrplänen. Arbeits¬
schule ist der umfassendere Begriff. Wir müssen etwas weiter ausholen, um
den Zusammenhang klarzulegen.

Was Kerschensteiner mit der Arbeitsschule beabsichtigt, bezeichnet er selbst
als die Erfüllung "uralter pädagogischer Forderungen ... wir streben, in unseren
öffentlichen Volksschulen auch auf jene ungeheueren Massen Einfluß zu gewinnen,
für welche die ausschließlich geistige Arbeit kein Bildungsmittel sein kann. Vor
allem habe ich das Gefühl, daß wir in unseren Bestrebungen ganz im Geiste
dessen handeln, der so viel gepriesen und so wenig verstanden wird, der uns
in Lienhard und Gertrud, in den Briefen an Heinrich Geßner und besonders
im Schwanengesang so oft gelehrt hat, daß nur "die Arbeit in der das Kind
unigebenden Welt" der elementaren Volksschule ihre Bildungskraft gibt . . .
Der Flugsand der Gedankenlosigkeit hat Berge über Wahrheiten geschüttet, die
einst das Herz des unermüdlichen Forschers nach Menschenbildung erfüllten.
Aber wirkliche Wahrheiten steigen immer wieder wie Geister aus ihren Grüften
auf und wandern umher und beunruhigen die Herzen der Menschen, bis sie
endlich Erlösung und Ruhe finden in der Verwirklichung des realen Lebens.
Wir alle, die wir mit wissenschaftlichem Ernst und hingebender Energie jener
Schulorganisation die Wege bahnen, die dem Vater der Volksschule vor Augen
schwebte, bringen diesen Geistern die ersehnte Erlösung."

Wir haben in den letzten Jahren so viele unüberlegte Neuerer anhören
müssen, daß es not tut, Kerschensteiner ausdrücklich aus dieser Gesellschaft heraus¬
zuheben. Seine Vorschläge entspringen der Erfahrung, der gründlichen Kenntnis
der Erziehungsgeschichte und exakten Untersuchungen über die Begabung und
den Charakter der KinderWir befinden uns überall auf sicherem Boden;



*) Folgende Werke Kerschensteiners haben dieser Arbeit zugrunde gelegen: Die Ent-
Wicklung der zeichnerischen Begabung. München 1905. Grundfragen der Schulorgamsatwn.
S. Aufl.. Teubner, Leipzig 1912. Der Begriff der staatsbürgerlichen Erziehung. 2. .luft,.
Georg Kerschensteiners Legriff der Arbeitsschule

erziehnng, wenn die Kinder einer Schule 7 bis 8 Jahre hindurch auch nur
in einem, geschweige in mehr oder gar allen Unterrichtsgebieten sich angewöhnen,
eine Sache „so annähernd" oder „beinahe" recht zu machen und nichts ver¬
leitet mehr dazu — ohne daß dies absolut notwendig wäre — als der soge¬
nannte Arbeitsunterrlcht als Prinzip."

Also entweder: Arbeitsunterricht als Prinzip und als Fach — oder: fort
mit den Knützeleien aus der Schule!

Diese Auffassung entspricht dem Goethewort, das unserem Aufsatz voran¬
gestellt ist: „Eines recht wissen und ausüben gibt höhere Bildung, als Halbheit
im Hundertfältigen." Und kennzeichnend für Kerschensteiners inneren Zusammen¬
hang mit goethischen Erziehungsgrundsätzen ist es, daß Goethe dieses goldene
Wort in Anknüpfung an das Lob des Handwerks gesprochen hat; denn, wenn
auch nochmals betont werden muß, daß Arbeitsunterricht nicht das Kennzeichen
der Arbeitsschule in Kerschensteiners Sinne ist, so spielt doch die Schätzung der
manuellen Tätigkeit eine große Rolle in Kerschensteiners Lehrplänen. Arbeits¬
schule ist der umfassendere Begriff. Wir müssen etwas weiter ausholen, um
den Zusammenhang klarzulegen.

Was Kerschensteiner mit der Arbeitsschule beabsichtigt, bezeichnet er selbst
als die Erfüllung „uralter pädagogischer Forderungen ... wir streben, in unseren
öffentlichen Volksschulen auch auf jene ungeheueren Massen Einfluß zu gewinnen,
für welche die ausschließlich geistige Arbeit kein Bildungsmittel sein kann. Vor
allem habe ich das Gefühl, daß wir in unseren Bestrebungen ganz im Geiste
dessen handeln, der so viel gepriesen und so wenig verstanden wird, der uns
in Lienhard und Gertrud, in den Briefen an Heinrich Geßner und besonders
im Schwanengesang so oft gelehrt hat, daß nur „die Arbeit in der das Kind
unigebenden Welt" der elementaren Volksschule ihre Bildungskraft gibt . . .
Der Flugsand der Gedankenlosigkeit hat Berge über Wahrheiten geschüttet, die
einst das Herz des unermüdlichen Forschers nach Menschenbildung erfüllten.
Aber wirkliche Wahrheiten steigen immer wieder wie Geister aus ihren Grüften
auf und wandern umher und beunruhigen die Herzen der Menschen, bis sie
endlich Erlösung und Ruhe finden in der Verwirklichung des realen Lebens.
Wir alle, die wir mit wissenschaftlichem Ernst und hingebender Energie jener
Schulorganisation die Wege bahnen, die dem Vater der Volksschule vor Augen
schwebte, bringen diesen Geistern die ersehnte Erlösung."

Wir haben in den letzten Jahren so viele unüberlegte Neuerer anhören
müssen, daß es not tut, Kerschensteiner ausdrücklich aus dieser Gesellschaft heraus¬
zuheben. Seine Vorschläge entspringen der Erfahrung, der gründlichen Kenntnis
der Erziehungsgeschichte und exakten Untersuchungen über die Begabung und
den Charakter der KinderWir befinden uns überall auf sicherem Boden;



*) Folgende Werke Kerschensteiners haben dieser Arbeit zugrunde gelegen: Die Ent-
Wicklung der zeichnerischen Begabung. München 1905. Grundfragen der Schulorgamsatwn.
S. Aufl.. Teubner, Leipzig 1912. Der Begriff der staatsbürgerlichen Erziehung. 2. .luft,.
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[0181] Georg Kerschensteiners Legriff der Arbeitsschule erziehnng, wenn die Kinder einer Schule 7 bis 8 Jahre hindurch auch nur in einem, geschweige in mehr oder gar allen Unterrichtsgebieten sich angewöhnen, eine Sache „so annähernd" oder „beinahe" recht zu machen und nichts ver¬ leitet mehr dazu — ohne daß dies absolut notwendig wäre — als der soge¬ nannte Arbeitsunterrlcht als Prinzip." Also entweder: Arbeitsunterricht als Prinzip und als Fach — oder: fort mit den Knützeleien aus der Schule! Diese Auffassung entspricht dem Goethewort, das unserem Aufsatz voran¬ gestellt ist: „Eines recht wissen und ausüben gibt höhere Bildung, als Halbheit im Hundertfältigen." Und kennzeichnend für Kerschensteiners inneren Zusammen¬ hang mit goethischen Erziehungsgrundsätzen ist es, daß Goethe dieses goldene Wort in Anknüpfung an das Lob des Handwerks gesprochen hat; denn, wenn auch nochmals betont werden muß, daß Arbeitsunterricht nicht das Kennzeichen der Arbeitsschule in Kerschensteiners Sinne ist, so spielt doch die Schätzung der manuellen Tätigkeit eine große Rolle in Kerschensteiners Lehrplänen. Arbeits¬ schule ist der umfassendere Begriff. Wir müssen etwas weiter ausholen, um den Zusammenhang klarzulegen. Was Kerschensteiner mit der Arbeitsschule beabsichtigt, bezeichnet er selbst als die Erfüllung „uralter pädagogischer Forderungen ... wir streben, in unseren öffentlichen Volksschulen auch auf jene ungeheueren Massen Einfluß zu gewinnen, für welche die ausschließlich geistige Arbeit kein Bildungsmittel sein kann. Vor allem habe ich das Gefühl, daß wir in unseren Bestrebungen ganz im Geiste dessen handeln, der so viel gepriesen und so wenig verstanden wird, der uns in Lienhard und Gertrud, in den Briefen an Heinrich Geßner und besonders im Schwanengesang so oft gelehrt hat, daß nur „die Arbeit in der das Kind unigebenden Welt" der elementaren Volksschule ihre Bildungskraft gibt . . . Der Flugsand der Gedankenlosigkeit hat Berge über Wahrheiten geschüttet, die einst das Herz des unermüdlichen Forschers nach Menschenbildung erfüllten. Aber wirkliche Wahrheiten steigen immer wieder wie Geister aus ihren Grüften auf und wandern umher und beunruhigen die Herzen der Menschen, bis sie endlich Erlösung und Ruhe finden in der Verwirklichung des realen Lebens. Wir alle, die wir mit wissenschaftlichem Ernst und hingebender Energie jener Schulorganisation die Wege bahnen, die dem Vater der Volksschule vor Augen schwebte, bringen diesen Geistern die ersehnte Erlösung." Wir haben in den letzten Jahren so viele unüberlegte Neuerer anhören müssen, daß es not tut, Kerschensteiner ausdrücklich aus dieser Gesellschaft heraus¬ zuheben. Seine Vorschläge entspringen der Erfahrung, der gründlichen Kenntnis der Erziehungsgeschichte und exakten Untersuchungen über die Begabung und den Charakter der KinderWir befinden uns überall auf sicherem Boden; *) Folgende Werke Kerschensteiners haben dieser Arbeit zugrunde gelegen: Die Ent- Wicklung der zeichnerischen Begabung. München 1905. Grundfragen der Schulorgamsatwn. S. Aufl.. Teubner, Leipzig 1912. Der Begriff der staatsbürgerlichen Erziehung. 2. .luft,.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/181>, abgerufen am 22.12.2024.