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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Georg Rerschensteiners Begriff der Arbeitsschule

Steiner ganz und gar, wenn man ihn beständig mit dem Handwerksunterricht
in Zusammenhang bringt, als wäre das sein Steckenpferd und seine Bedeutung.
Dem Basteln, Stäbchenlegen, Eierzeichnen usw. steht er sogar sehr mißtrauisch
gegenüber. In richtiger Würdigung der verschiedenen Begabungen, der ver¬
schiedenen Schulen und der verschiedenen Altersstufen verlangt er Handfertigkeits¬
unterricht nur für die Schulen, die auf geistige und manuelle Berufe vor¬
zubereiten haben, also die Volks- uno Fortbildungsschulen; für Schulen, die
"nur für rein geistige Berufe vorbereiten sollen, für Menschen, deren Instinkte
ur rein manuelle Tätigkeit erloschen sind, die fast ausschließlich unter der
Macht der intellektuellen Triebe stehen, für solche erachte ich Erziehungs¬
einrichtungen zur manuellen Betätigung in keiner Weise notwendig. Da es
Menschen dieser Art gibt und auch Berufe, denen sie sich von selbst zubewegen,
so kann ich mir daher auch wohlorganisierte Arbeitsschulen denken, die keinerlei
manuelle Betätigung in irgendwelchen besonderen Werkstätten mit irgendwelchem
Unterrichtsbetrieb verbunden kennen".

Es ist also klar, daß Arbeitsschule und Handwcrksunterricht für Kerschen-
steiner nicht zusammenfallen. Gleichwohl ist die schaffende Tätigkeit des Schülers
von dem allergrößten Wert für die Erziehung, und da die Knaben bis zum
vierzehnten Lebensjahre jeder manuellen Betätigung den Vorzug vor rein
geistiger Beschäftigung geben, soll man diesen Schaffenstrieb ja benutzen, soll
ihnen gern gestatten, Modelle von allen Realien, die im deutschen und ini
Geschichtsunterricht vorkommen, anzufertigen, nur darf man sich nicht einbilden,
damit dem Begriff der Arbeitsschule genügt zu haben. Und, wenn man in
allen Unterrichtsfächern auf die Herstellung von Anschauungsgegenständen durch
die Schüler selbst Wert legt, so muß ein sachlicher Handwerksunterricht ein¬
geführt werden, der die nötige technische Ausbildung bringt.

Das ist Kerschensteiners klare, aber viel befehdete Stellung zum Handwerks-
unterricht.

Die deutschen Lehrer haben auf ihren Tagungen schon wiederholt und
noch zuletzt im vorigen Jahre den Haudwerksunterricht als Fach abgelehnt,
sind aber immer mehr für den Arbeitsunterricht als Prinzip gewonnen worden.
Sie wollen also -- das bedeutet das Schlagwort "Arbeitsunterricht als Prinzip"
-- die manuellen Beschäftigungen als "Methoden der Veranschaulichung, als
Mittel der Sinnesbildung, als Befriedigung des so lebhaften Tätigkeitstriebes
der Kinder, als Belebungsmittel des gesamten Unterrichts" benutzen, wünschen
aber keinen Fachunterricht in Holz" und Eisenarbeit, keine Schultischlerei und
Schulschlosserei und -Schmiede. Dabei verkennen sie den charakterbildenden
Wert der manuellen Tätigkeit, der der Willensbildung und Urteilsschärfung
dienen soll. Aber noch mehr! Die aufs Geratewohl geübte Handarbeit der
Knaben im Modellieren, Tischlern und Laubsägen artet nur zu leicht in
dilettantische Basteleien aus; deswegen ist die sachgemäße Ausbildung im Arbeits¬
unterricht unentbehrlich. "Es ist von allerschlimmsten Einfluß auf die Willens-


Georg Rerschensteiners Begriff der Arbeitsschule

Steiner ganz und gar, wenn man ihn beständig mit dem Handwerksunterricht
in Zusammenhang bringt, als wäre das sein Steckenpferd und seine Bedeutung.
Dem Basteln, Stäbchenlegen, Eierzeichnen usw. steht er sogar sehr mißtrauisch
gegenüber. In richtiger Würdigung der verschiedenen Begabungen, der ver¬
schiedenen Schulen und der verschiedenen Altersstufen verlangt er Handfertigkeits¬
unterricht nur für die Schulen, die auf geistige und manuelle Berufe vor¬
zubereiten haben, also die Volks- uno Fortbildungsschulen; für Schulen, die
„nur für rein geistige Berufe vorbereiten sollen, für Menschen, deren Instinkte
ur rein manuelle Tätigkeit erloschen sind, die fast ausschließlich unter der
Macht der intellektuellen Triebe stehen, für solche erachte ich Erziehungs¬
einrichtungen zur manuellen Betätigung in keiner Weise notwendig. Da es
Menschen dieser Art gibt und auch Berufe, denen sie sich von selbst zubewegen,
so kann ich mir daher auch wohlorganisierte Arbeitsschulen denken, die keinerlei
manuelle Betätigung in irgendwelchen besonderen Werkstätten mit irgendwelchem
Unterrichtsbetrieb verbunden kennen".

Es ist also klar, daß Arbeitsschule und Handwcrksunterricht für Kerschen-
steiner nicht zusammenfallen. Gleichwohl ist die schaffende Tätigkeit des Schülers
von dem allergrößten Wert für die Erziehung, und da die Knaben bis zum
vierzehnten Lebensjahre jeder manuellen Betätigung den Vorzug vor rein
geistiger Beschäftigung geben, soll man diesen Schaffenstrieb ja benutzen, soll
ihnen gern gestatten, Modelle von allen Realien, die im deutschen und ini
Geschichtsunterricht vorkommen, anzufertigen, nur darf man sich nicht einbilden,
damit dem Begriff der Arbeitsschule genügt zu haben. Und, wenn man in
allen Unterrichtsfächern auf die Herstellung von Anschauungsgegenständen durch
die Schüler selbst Wert legt, so muß ein sachlicher Handwerksunterricht ein¬
geführt werden, der die nötige technische Ausbildung bringt.

Das ist Kerschensteiners klare, aber viel befehdete Stellung zum Handwerks-
unterricht.

Die deutschen Lehrer haben auf ihren Tagungen schon wiederholt und
noch zuletzt im vorigen Jahre den Haudwerksunterricht als Fach abgelehnt,
sind aber immer mehr für den Arbeitsunterricht als Prinzip gewonnen worden.
Sie wollen also — das bedeutet das Schlagwort „Arbeitsunterricht als Prinzip"
— die manuellen Beschäftigungen als „Methoden der Veranschaulichung, als
Mittel der Sinnesbildung, als Befriedigung des so lebhaften Tätigkeitstriebes
der Kinder, als Belebungsmittel des gesamten Unterrichts" benutzen, wünschen
aber keinen Fachunterricht in Holz» und Eisenarbeit, keine Schultischlerei und
Schulschlosserei und -Schmiede. Dabei verkennen sie den charakterbildenden
Wert der manuellen Tätigkeit, der der Willensbildung und Urteilsschärfung
dienen soll. Aber noch mehr! Die aufs Geratewohl geübte Handarbeit der
Knaben im Modellieren, Tischlern und Laubsägen artet nur zu leicht in
dilettantische Basteleien aus; deswegen ist die sachgemäße Ausbildung im Arbeits¬
unterricht unentbehrlich. „Es ist von allerschlimmsten Einfluß auf die Willens-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/180>, abgerufen am 21.12.2024.