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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Georg Aerschensteiners Begriff der Arbeitsschule
Traugott Friede manu i v onn

"Allem Leben allem Tun, aller Kunst muß das Handwerk voraus¬
gehen, welches nur in der Beschränkung erworben wird. Eines recht
wissen und ausüben gibt höhere Bildung, als Halbheit im Hundert¬
fältigen/' -- "Für den geringsten Kopf wird es immer ein Handwerk,
für den besseren eine Kunst, und der beste, wenn er Eins tut, tut er
alles, oder, um weniger paradox zu sein, in dem Einen, was er recht
tut, sieht er das Gleichnis bon allem, was recht getan wird."
Goethe, Wanderjahre

Doll behüte mich vor meinen Freunden; mit meinen Feinden will
ich schon fertig werden!" Das mag Kerschensteiner oft genug
empfinden bei den Vergröberungen, die seine bewußten und un¬
bewußten Anhänger und Nachtreter mit dem Arbeitsschulbegriff
vorgenommen haben. Es ist hier nicht die Rede von denen, die
bei dem Worte "Arbeitsschule" an Hobel und Säge, Hammer und Amboß,
Werkstätte und Bluse denken, sondern von den Volksschullehrern, die Kerschen-
steiners Anregungen zwar mit staunenswertem Fleiß und vorbildlichem Idealismus
aufgenommen haben, die bereits in die Schulen praktisch einführen, was sie für
"arbeitsschulischen Betrieb" halten, denen aber der Sinn für die geistigen Werte
der Arbeitsschule abgeht. Sie haben in ihrer rein äußerlichen Betonung der
Handarbeit, der Verbindung manueller Tätigkeit mit jedem herkömmlichen
Unterrichtsgebiet der Schule das Schlagwort "Arbeitsschule" in üblen Ruf
gebracht. Namentlich bei den meisten Vertretern der höheren Schulen. Die
Anhänger der Schulreform allerdings haben längst eingesehen, was Kerschen¬
steiner auch für uns bedeutet, aber das sind wenige, und nur zu oft begegnet
man noch dem Vorurteil, daß Arbeitsschule gleichbedeutend sei mit Modellier¬
bogen, Laubsägearbeit, Plastilin usw. Demgegenüber sagt Kerschensteiner selbst
scharf aber richtig: wer glaube, dem Geschichtsunterricht in den oberen Klassen
der Volksschulen durch die erwähnten manuellen Tätigkeiten den Charakter von
Arbeitsunterricht gegeben zu haben, handele genau so wie einer der "sich den
Begriff des kategorischen Imperativs zu erarbeiten glaubt, wenn er -- einen
Holzschnitt von Kant nachzeichnet".

Wir müssen uns gewöhnen, von all diesen Äußerlichkeiten abzusehen, wenn
wir dem Geist der Arbeitsschule nahekommen wollen. Man verkennt Kerfchen-




Georg Aerschensteiners Begriff der Arbeitsschule
Traugott Friede manu i v onn

„Allem Leben allem Tun, aller Kunst muß das Handwerk voraus¬
gehen, welches nur in der Beschränkung erworben wird. Eines recht
wissen und ausüben gibt höhere Bildung, als Halbheit im Hundert¬
fältigen/' — „Für den geringsten Kopf wird es immer ein Handwerk,
für den besseren eine Kunst, und der beste, wenn er Eins tut, tut er
alles, oder, um weniger paradox zu sein, in dem Einen, was er recht
tut, sieht er das Gleichnis bon allem, was recht getan wird."
Goethe, Wanderjahre

Doll behüte mich vor meinen Freunden; mit meinen Feinden will
ich schon fertig werden!" Das mag Kerschensteiner oft genug
empfinden bei den Vergröberungen, die seine bewußten und un¬
bewußten Anhänger und Nachtreter mit dem Arbeitsschulbegriff
vorgenommen haben. Es ist hier nicht die Rede von denen, die
bei dem Worte „Arbeitsschule" an Hobel und Säge, Hammer und Amboß,
Werkstätte und Bluse denken, sondern von den Volksschullehrern, die Kerschen-
steiners Anregungen zwar mit staunenswertem Fleiß und vorbildlichem Idealismus
aufgenommen haben, die bereits in die Schulen praktisch einführen, was sie für
„arbeitsschulischen Betrieb" halten, denen aber der Sinn für die geistigen Werte
der Arbeitsschule abgeht. Sie haben in ihrer rein äußerlichen Betonung der
Handarbeit, der Verbindung manueller Tätigkeit mit jedem herkömmlichen
Unterrichtsgebiet der Schule das Schlagwort „Arbeitsschule" in üblen Ruf
gebracht. Namentlich bei den meisten Vertretern der höheren Schulen. Die
Anhänger der Schulreform allerdings haben längst eingesehen, was Kerschen¬
steiner auch für uns bedeutet, aber das sind wenige, und nur zu oft begegnet
man noch dem Vorurteil, daß Arbeitsschule gleichbedeutend sei mit Modellier¬
bogen, Laubsägearbeit, Plastilin usw. Demgegenüber sagt Kerschensteiner selbst
scharf aber richtig: wer glaube, dem Geschichtsunterricht in den oberen Klassen
der Volksschulen durch die erwähnten manuellen Tätigkeiten den Charakter von
Arbeitsunterricht gegeben zu haben, handele genau so wie einer der „sich den
Begriff des kategorischen Imperativs zu erarbeiten glaubt, wenn er — einen
Holzschnitt von Kant nachzeichnet".

Wir müssen uns gewöhnen, von all diesen Äußerlichkeiten abzusehen, wenn
wir dem Geist der Arbeitsschule nahekommen wollen. Man verkennt Kerfchen-


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[0179] [Abbildung] Georg Aerschensteiners Begriff der Arbeitsschule Traugott Friede manu i v onn „Allem Leben allem Tun, aller Kunst muß das Handwerk voraus¬ gehen, welches nur in der Beschränkung erworben wird. Eines recht wissen und ausüben gibt höhere Bildung, als Halbheit im Hundert¬ fältigen/' — „Für den geringsten Kopf wird es immer ein Handwerk, für den besseren eine Kunst, und der beste, wenn er Eins tut, tut er alles, oder, um weniger paradox zu sein, in dem Einen, was er recht tut, sieht er das Gleichnis bon allem, was recht getan wird." Goethe, Wanderjahre Doll behüte mich vor meinen Freunden; mit meinen Feinden will ich schon fertig werden!" Das mag Kerschensteiner oft genug empfinden bei den Vergröberungen, die seine bewußten und un¬ bewußten Anhänger und Nachtreter mit dem Arbeitsschulbegriff vorgenommen haben. Es ist hier nicht die Rede von denen, die bei dem Worte „Arbeitsschule" an Hobel und Säge, Hammer und Amboß, Werkstätte und Bluse denken, sondern von den Volksschullehrern, die Kerschen- steiners Anregungen zwar mit staunenswertem Fleiß und vorbildlichem Idealismus aufgenommen haben, die bereits in die Schulen praktisch einführen, was sie für „arbeitsschulischen Betrieb" halten, denen aber der Sinn für die geistigen Werte der Arbeitsschule abgeht. Sie haben in ihrer rein äußerlichen Betonung der Handarbeit, der Verbindung manueller Tätigkeit mit jedem herkömmlichen Unterrichtsgebiet der Schule das Schlagwort „Arbeitsschule" in üblen Ruf gebracht. Namentlich bei den meisten Vertretern der höheren Schulen. Die Anhänger der Schulreform allerdings haben längst eingesehen, was Kerschen¬ steiner auch für uns bedeutet, aber das sind wenige, und nur zu oft begegnet man noch dem Vorurteil, daß Arbeitsschule gleichbedeutend sei mit Modellier¬ bogen, Laubsägearbeit, Plastilin usw. Demgegenüber sagt Kerschensteiner selbst scharf aber richtig: wer glaube, dem Geschichtsunterricht in den oberen Klassen der Volksschulen durch die erwähnten manuellen Tätigkeiten den Charakter von Arbeitsunterricht gegeben zu haben, handele genau so wie einer der „sich den Begriff des kategorischen Imperativs zu erarbeiten glaubt, wenn er — einen Holzschnitt von Kant nachzeichnet". Wir müssen uns gewöhnen, von all diesen Äußerlichkeiten abzusehen, wenn wir dem Geist der Arbeitsschule nahekommen wollen. Man verkennt Kerfchen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/179>, abgerufen am 27.07.2024.