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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Der wirtschaftliche Wert der bäuerlichen Kolonisation im Göte"

Durchschnitt auf 1 Hektar der landwirtschaftlichen Nutzfläche bei den vier früheren
Gütern ein Gesamtabsatzwert von 102 Mark, bei den Kolonien ein solcher von
177 Mark. Die Parallelgüter vermochten dagegen diesen Wert nur von 115
auf 150 Mark zu steigern.

Dabei ist aber zu bedenken, daß die Zahl der auf derselben Fläche lebenden
Menschen sich fast verdoppelt hat. Es folgt also daraus, daß die innere
Kolonisation ihre bevölkerungspolitische Aufgabe voll erfüllt, ohne daß der
Absatz an die konsumierende Bevölkerung der Städte darunter leidet. Im
Gegenteil, er wächst um erhebliche Summen und wächst gerade in den Pro¬
dukten, die am wichtigsten für die Ernährung des Volkes sind und deren mehr
oder weniger fühlbarer Mangel immer wieder zu politischer Beunruhigung und
Fleischnothetzen führt.

Gleichzeitig legt aber die Innere Kolonisation die Axt an eine andere
Gefahr, die gerade in diesen politisch unsicheren Tagen niemand verkennen wird,
die ausländische Arbeiterfrage. Über dreihundertstebenundneunzigtausend Russen
und Galizier haben im Jahre 1911/12*) unsere heimischen Felder aufgesucht,
um die Ernten bergen zu helfen. Ganz abgesehen davon, daß diese Massen
nach Wohltmann etwa 150 Millionen Mark über die Grenze sühren und damit
ihre eigene Volkswirtschaft befruchten und uns gegenüber konkurrenzfähig machen
helfen -- viel schlimmer ist, daß wir in Zeiten politischer Krisen oder gar des-
Krieges unsere Frucht auf dem Felde jammervoll verkommen lassen müssen und
dadurch an nationaler Stoßkraft einbüßen.

In den Nentengutskolonien aber sind Ausländer so gut wie überflüssig.
Was an fremden Arbeitskräften gezählt wurde, bestand fast ausnahmslos aus
Gesinde und einheimischen Tagelöhnern.

Auch diese Frage hat Chlapowski peinlichst vermieden und selbst in seinem
sonst berechtigten Lobliede auf die Zuckerrübe als ihre volkswirtschaftlich sehr
bedeutsame Schattenseite vergessen. Und doch gibt er vor, die Dinge nicht vom
privatwirtschaftlichen Gesichtspunkte zu betrachten. Gerade der Saisonbetrieb
aber gründet seine große Rentabilität auf dem rein prwatwirtschaftlichen
Kalkül der Ersparung von Arbeitern in der arbeitsschwachen Winterperiode.
Volkswirtschaftliche Gesichtspunkte verlangen Stetigkeit im Arbeitsbedarf, denn
ihr Ziel ist Schaffung und Erhaltung dauernder Erwerbsmöglichkeit für jeden
Schaffenden und nicht zum mindesten für den Arbeiter. Eine zuzeiten geringere
Intensität des bäuerlichen Betriebes gegenüber dem Saisonbetriebe wäre deshalb
volkswirtschaftlich noch kein Vorwurf. Seine weit größere Gleichmäßigkeit im
Aroeitsbeoarf, die besonders durch die für Sorgsamkeit und individuellste
Behandlung allezeit dankbare Viehhaltung neben Flachsbau u. a. möglich ist, sichert
ihm in der Arbeitsverfassung auf alle Fälle den Vorrang. Daß aber auch die
Ausnutzung der einzelnen Arbeitskraft nicht hinter der eines normalen Groß-



") Siehe den Jahresbericht der Deutschen Arbeiterzentrale 1911/t2.
Der wirtschaftliche Wert der bäuerlichen Kolonisation im Göte»

Durchschnitt auf 1 Hektar der landwirtschaftlichen Nutzfläche bei den vier früheren
Gütern ein Gesamtabsatzwert von 102 Mark, bei den Kolonien ein solcher von
177 Mark. Die Parallelgüter vermochten dagegen diesen Wert nur von 115
auf 150 Mark zu steigern.

Dabei ist aber zu bedenken, daß die Zahl der auf derselben Fläche lebenden
Menschen sich fast verdoppelt hat. Es folgt also daraus, daß die innere
Kolonisation ihre bevölkerungspolitische Aufgabe voll erfüllt, ohne daß der
Absatz an die konsumierende Bevölkerung der Städte darunter leidet. Im
Gegenteil, er wächst um erhebliche Summen und wächst gerade in den Pro¬
dukten, die am wichtigsten für die Ernährung des Volkes sind und deren mehr
oder weniger fühlbarer Mangel immer wieder zu politischer Beunruhigung und
Fleischnothetzen führt.

Gleichzeitig legt aber die Innere Kolonisation die Axt an eine andere
Gefahr, die gerade in diesen politisch unsicheren Tagen niemand verkennen wird,
die ausländische Arbeiterfrage. Über dreihundertstebenundneunzigtausend Russen
und Galizier haben im Jahre 1911/12*) unsere heimischen Felder aufgesucht,
um die Ernten bergen zu helfen. Ganz abgesehen davon, daß diese Massen
nach Wohltmann etwa 150 Millionen Mark über die Grenze sühren und damit
ihre eigene Volkswirtschaft befruchten und uns gegenüber konkurrenzfähig machen
helfen — viel schlimmer ist, daß wir in Zeiten politischer Krisen oder gar des-
Krieges unsere Frucht auf dem Felde jammervoll verkommen lassen müssen und
dadurch an nationaler Stoßkraft einbüßen.

In den Nentengutskolonien aber sind Ausländer so gut wie überflüssig.
Was an fremden Arbeitskräften gezählt wurde, bestand fast ausnahmslos aus
Gesinde und einheimischen Tagelöhnern.

Auch diese Frage hat Chlapowski peinlichst vermieden und selbst in seinem
sonst berechtigten Lobliede auf die Zuckerrübe als ihre volkswirtschaftlich sehr
bedeutsame Schattenseite vergessen. Und doch gibt er vor, die Dinge nicht vom
privatwirtschaftlichen Gesichtspunkte zu betrachten. Gerade der Saisonbetrieb
aber gründet seine große Rentabilität auf dem rein prwatwirtschaftlichen
Kalkül der Ersparung von Arbeitern in der arbeitsschwachen Winterperiode.
Volkswirtschaftliche Gesichtspunkte verlangen Stetigkeit im Arbeitsbedarf, denn
ihr Ziel ist Schaffung und Erhaltung dauernder Erwerbsmöglichkeit für jeden
Schaffenden und nicht zum mindesten für den Arbeiter. Eine zuzeiten geringere
Intensität des bäuerlichen Betriebes gegenüber dem Saisonbetriebe wäre deshalb
volkswirtschaftlich noch kein Vorwurf. Seine weit größere Gleichmäßigkeit im
Aroeitsbeoarf, die besonders durch die für Sorgsamkeit und individuellste
Behandlung allezeit dankbare Viehhaltung neben Flachsbau u. a. möglich ist, sichert
ihm in der Arbeitsverfassung auf alle Fälle den Vorrang. Daß aber auch die
Ausnutzung der einzelnen Arbeitskraft nicht hinter der eines normalen Groß-



") Siehe den Jahresbericht der Deutschen Arbeiterzentrale 1911/t2.
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[0176] Der wirtschaftliche Wert der bäuerlichen Kolonisation im Göte» Durchschnitt auf 1 Hektar der landwirtschaftlichen Nutzfläche bei den vier früheren Gütern ein Gesamtabsatzwert von 102 Mark, bei den Kolonien ein solcher von 177 Mark. Die Parallelgüter vermochten dagegen diesen Wert nur von 115 auf 150 Mark zu steigern. Dabei ist aber zu bedenken, daß die Zahl der auf derselben Fläche lebenden Menschen sich fast verdoppelt hat. Es folgt also daraus, daß die innere Kolonisation ihre bevölkerungspolitische Aufgabe voll erfüllt, ohne daß der Absatz an die konsumierende Bevölkerung der Städte darunter leidet. Im Gegenteil, er wächst um erhebliche Summen und wächst gerade in den Pro¬ dukten, die am wichtigsten für die Ernährung des Volkes sind und deren mehr oder weniger fühlbarer Mangel immer wieder zu politischer Beunruhigung und Fleischnothetzen führt. Gleichzeitig legt aber die Innere Kolonisation die Axt an eine andere Gefahr, die gerade in diesen politisch unsicheren Tagen niemand verkennen wird, die ausländische Arbeiterfrage. Über dreihundertstebenundneunzigtausend Russen und Galizier haben im Jahre 1911/12*) unsere heimischen Felder aufgesucht, um die Ernten bergen zu helfen. Ganz abgesehen davon, daß diese Massen nach Wohltmann etwa 150 Millionen Mark über die Grenze sühren und damit ihre eigene Volkswirtschaft befruchten und uns gegenüber konkurrenzfähig machen helfen — viel schlimmer ist, daß wir in Zeiten politischer Krisen oder gar des- Krieges unsere Frucht auf dem Felde jammervoll verkommen lassen müssen und dadurch an nationaler Stoßkraft einbüßen. In den Nentengutskolonien aber sind Ausländer so gut wie überflüssig. Was an fremden Arbeitskräften gezählt wurde, bestand fast ausnahmslos aus Gesinde und einheimischen Tagelöhnern. Auch diese Frage hat Chlapowski peinlichst vermieden und selbst in seinem sonst berechtigten Lobliede auf die Zuckerrübe als ihre volkswirtschaftlich sehr bedeutsame Schattenseite vergessen. Und doch gibt er vor, die Dinge nicht vom privatwirtschaftlichen Gesichtspunkte zu betrachten. Gerade der Saisonbetrieb aber gründet seine große Rentabilität auf dem rein prwatwirtschaftlichen Kalkül der Ersparung von Arbeitern in der arbeitsschwachen Winterperiode. Volkswirtschaftliche Gesichtspunkte verlangen Stetigkeit im Arbeitsbedarf, denn ihr Ziel ist Schaffung und Erhaltung dauernder Erwerbsmöglichkeit für jeden Schaffenden und nicht zum mindesten für den Arbeiter. Eine zuzeiten geringere Intensität des bäuerlichen Betriebes gegenüber dem Saisonbetriebe wäre deshalb volkswirtschaftlich noch kein Vorwurf. Seine weit größere Gleichmäßigkeit im Aroeitsbeoarf, die besonders durch die für Sorgsamkeit und individuellste Behandlung allezeit dankbare Viehhaltung neben Flachsbau u. a. möglich ist, sichert ihm in der Arbeitsverfassung auf alle Fälle den Vorrang. Daß aber auch die Ausnutzung der einzelnen Arbeitskraft nicht hinter der eines normalen Groß- ") Siehe den Jahresbericht der Deutschen Arbeiterzentrale 1911/t2.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/176>, abgerufen am 22.12.2024.