Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Ivirtschastliche Ivert der bäuerlichen Kolonisation im Gsten

und die Versuche in Lauchstädt und Pentkowo*), wo zahlenmäßige Werte dafür
ersichtlich sind. Hinzufügen will ich nur noch, daß die Kolonien auch in der
Anwendung künstlicher Düngemittel trotz dieser überragenden Stalldunggaben
nicht erheblich hinter den Parallelgütern zurückstanden.

Innerhalb der Viehbestände sind es gerade die produktivsten Tiergattungen,
deren Zahl sich am meisten vermehrt. So stieg die Anzahl der Schweine,
trotzdem bei den Gütern die Bestände in den Leutewirtschaften mit berücksichtigt
sind, regelmäßig auf das Drei- bis Vierfache. Im gleichen Maße vermehrten
sich die Milchkühe und in noch erheblich höherem die Zuchtsauen. Es kann
daher nicht wundernehmen, wenn auch der Absatz tierischer Produkte eine ent¬
sprechende, ganz außerordentliche Förderung durch die Anstedlung erfährt, eine
Tatsache, die Chlapowski, trotzdem sie wegen der andauernden Fleischnotkrisen
ganz besonders wichtig ist, sonderbarerweise mit keinem Worte berührt. Es
betrug wiederum unter Zugrundelegung gleicher Preissätze der jährliche Wert
des tierischen Absatzes für die vier früheren Güter zusammen rund 110000 Mark,
für die vier heutigen Kolonien rund 385000 Mark. Die vier Parallelgüter
dagegen steigerten die entsprechenden Summen nur von rund 121000 auf
143000 Mark.

Gewiß wird der Gegner einwenden, daß nach herrschender Ansicht der
Großgrundbesitz in der Regel mehr Brodgetreide zu liefern vermag als die
Bauern. Aber erstens ist die Beschaffung von Fleisch durch die heimische Land¬
wirtschaft die bei weitem wichtigere Aufgabe. Denn seine Einführung in Gestalt
lebenden Viehes würde einen großen Teil unseres Nationalvermögens mit mehr
oder weniger großer Vernichtung durch Seuchen bedrohen, in Gestalt von
Gefrierfleisch usw. aber die Qualität ganz erheblich leiden lassen und unter
Umständen sogar hygienischen Bedenken für die Konsumenten begegnen müssen.
Außerdem aber stellt es ein hochwertigeres, schwerer transportables Gut dar,
das mit viel fremder Arbeit belastet ist. All diese Bedenken treffen beim Ge¬
treide viel weniger oder gar nicht zu. Es ist einer der vornehmsten volks¬
wirtschaftlichen Grundsätze, das im Inland e Arbeit und Erwerb schaffende ver¬
edelte Produkt dem Rohprodukt an Wichtigkeit voranzustellen und in erster
Linie zu schützen und zu fördern. Zweitens aber ist jene Regel von der Über¬
legenheit des Großbetriebes in der Brotgetreidelieferung mindestens nicht fest¬
stehend. Die beiden neumärkischen Kolonien, die über viel weizenfähigen Boden
verfügen, zeigen, daß unter gegebenen Verhältnissen auch in dieser Frage der
bäuerliche Betrieb mit dem Großbetriebe konkurrieren kann. Der Weizen und
teilweise auch die Gerste geben als ausgesprochene Marktfrüchte auch dem
Bauernbetriebe die Tendenz zur Getreidewirtschaft. Während deshalb die neu¬
märkischen Kolonien in der Viehhaltung und im tierischen Absatz bei weitem
nicht mit den pommerschen Kolonien wetteifern können, zeigen sie ihre Stärke



*) Siehe Thiels Jahrbuch 1902 und 1904 und Keup u. Mührer, Groß- und Kleinbetrieb
S. 132.
Der Ivirtschastliche Ivert der bäuerlichen Kolonisation im Gsten

und die Versuche in Lauchstädt und Pentkowo*), wo zahlenmäßige Werte dafür
ersichtlich sind. Hinzufügen will ich nur noch, daß die Kolonien auch in der
Anwendung künstlicher Düngemittel trotz dieser überragenden Stalldunggaben
nicht erheblich hinter den Parallelgütern zurückstanden.

Innerhalb der Viehbestände sind es gerade die produktivsten Tiergattungen,
deren Zahl sich am meisten vermehrt. So stieg die Anzahl der Schweine,
trotzdem bei den Gütern die Bestände in den Leutewirtschaften mit berücksichtigt
sind, regelmäßig auf das Drei- bis Vierfache. Im gleichen Maße vermehrten
sich die Milchkühe und in noch erheblich höherem die Zuchtsauen. Es kann
daher nicht wundernehmen, wenn auch der Absatz tierischer Produkte eine ent¬
sprechende, ganz außerordentliche Förderung durch die Anstedlung erfährt, eine
Tatsache, die Chlapowski, trotzdem sie wegen der andauernden Fleischnotkrisen
ganz besonders wichtig ist, sonderbarerweise mit keinem Worte berührt. Es
betrug wiederum unter Zugrundelegung gleicher Preissätze der jährliche Wert
des tierischen Absatzes für die vier früheren Güter zusammen rund 110000 Mark,
für die vier heutigen Kolonien rund 385000 Mark. Die vier Parallelgüter
dagegen steigerten die entsprechenden Summen nur von rund 121000 auf
143000 Mark.

Gewiß wird der Gegner einwenden, daß nach herrschender Ansicht der
Großgrundbesitz in der Regel mehr Brodgetreide zu liefern vermag als die
Bauern. Aber erstens ist die Beschaffung von Fleisch durch die heimische Land¬
wirtschaft die bei weitem wichtigere Aufgabe. Denn seine Einführung in Gestalt
lebenden Viehes würde einen großen Teil unseres Nationalvermögens mit mehr
oder weniger großer Vernichtung durch Seuchen bedrohen, in Gestalt von
Gefrierfleisch usw. aber die Qualität ganz erheblich leiden lassen und unter
Umständen sogar hygienischen Bedenken für die Konsumenten begegnen müssen.
Außerdem aber stellt es ein hochwertigeres, schwerer transportables Gut dar,
das mit viel fremder Arbeit belastet ist. All diese Bedenken treffen beim Ge¬
treide viel weniger oder gar nicht zu. Es ist einer der vornehmsten volks¬
wirtschaftlichen Grundsätze, das im Inland e Arbeit und Erwerb schaffende ver¬
edelte Produkt dem Rohprodukt an Wichtigkeit voranzustellen und in erster
Linie zu schützen und zu fördern. Zweitens aber ist jene Regel von der Über¬
legenheit des Großbetriebes in der Brotgetreidelieferung mindestens nicht fest¬
stehend. Die beiden neumärkischen Kolonien, die über viel weizenfähigen Boden
verfügen, zeigen, daß unter gegebenen Verhältnissen auch in dieser Frage der
bäuerliche Betrieb mit dem Großbetriebe konkurrieren kann. Der Weizen und
teilweise auch die Gerste geben als ausgesprochene Marktfrüchte auch dem
Bauernbetriebe die Tendenz zur Getreidewirtschaft. Während deshalb die neu¬
märkischen Kolonien in der Viehhaltung und im tierischen Absatz bei weitem
nicht mit den pommerschen Kolonien wetteifern können, zeigen sie ihre Stärke



*) Siehe Thiels Jahrbuch 1902 und 1904 und Keup u. Mührer, Groß- und Kleinbetrieb
S. 132.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325694"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Ivirtschastliche Ivert der bäuerlichen Kolonisation im Gsten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_699" prev="#ID_698"> und die Versuche in Lauchstädt und Pentkowo*), wo zahlenmäßige Werte dafür<lb/>
ersichtlich sind. Hinzufügen will ich nur noch, daß die Kolonien auch in der<lb/>
Anwendung künstlicher Düngemittel trotz dieser überragenden Stalldunggaben<lb/>
nicht erheblich hinter den Parallelgütern zurückstanden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_700"> Innerhalb der Viehbestände sind es gerade die produktivsten Tiergattungen,<lb/>
deren Zahl sich am meisten vermehrt. So stieg die Anzahl der Schweine,<lb/>
trotzdem bei den Gütern die Bestände in den Leutewirtschaften mit berücksichtigt<lb/>
sind, regelmäßig auf das Drei- bis Vierfache. Im gleichen Maße vermehrten<lb/>
sich die Milchkühe und in noch erheblich höherem die Zuchtsauen. Es kann<lb/>
daher nicht wundernehmen, wenn auch der Absatz tierischer Produkte eine ent¬<lb/>
sprechende, ganz außerordentliche Förderung durch die Anstedlung erfährt, eine<lb/>
Tatsache, die Chlapowski, trotzdem sie wegen der andauernden Fleischnotkrisen<lb/>
ganz besonders wichtig ist, sonderbarerweise mit keinem Worte berührt. Es<lb/>
betrug wiederum unter Zugrundelegung gleicher Preissätze der jährliche Wert<lb/>
des tierischen Absatzes für die vier früheren Güter zusammen rund 110000 Mark,<lb/>
für die vier heutigen Kolonien rund 385000 Mark. Die vier Parallelgüter<lb/>
dagegen steigerten die entsprechenden Summen nur von rund 121000 auf<lb/>
143000 Mark.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_701" next="#ID_702"> Gewiß wird der Gegner einwenden, daß nach herrschender Ansicht der<lb/>
Großgrundbesitz in der Regel mehr Brodgetreide zu liefern vermag als die<lb/>
Bauern. Aber erstens ist die Beschaffung von Fleisch durch die heimische Land¬<lb/>
wirtschaft die bei weitem wichtigere Aufgabe. Denn seine Einführung in Gestalt<lb/>
lebenden Viehes würde einen großen Teil unseres Nationalvermögens mit mehr<lb/>
oder weniger großer Vernichtung durch Seuchen bedrohen, in Gestalt von<lb/>
Gefrierfleisch usw. aber die Qualität ganz erheblich leiden lassen und unter<lb/>
Umständen sogar hygienischen Bedenken für die Konsumenten begegnen müssen.<lb/>
Außerdem aber stellt es ein hochwertigeres, schwerer transportables Gut dar,<lb/>
das mit viel fremder Arbeit belastet ist. All diese Bedenken treffen beim Ge¬<lb/>
treide viel weniger oder gar nicht zu. Es ist einer der vornehmsten volks¬<lb/>
wirtschaftlichen Grundsätze, das im Inland e Arbeit und Erwerb schaffende ver¬<lb/>
edelte Produkt dem Rohprodukt an Wichtigkeit voranzustellen und in erster<lb/>
Linie zu schützen und zu fördern. Zweitens aber ist jene Regel von der Über¬<lb/>
legenheit des Großbetriebes in der Brotgetreidelieferung mindestens nicht fest¬<lb/>
stehend. Die beiden neumärkischen Kolonien, die über viel weizenfähigen Boden<lb/>
verfügen, zeigen, daß unter gegebenen Verhältnissen auch in dieser Frage der<lb/>
bäuerliche Betrieb mit dem Großbetriebe konkurrieren kann. Der Weizen und<lb/>
teilweise auch die Gerste geben als ausgesprochene Marktfrüchte auch dem<lb/>
Bauernbetriebe die Tendenz zur Getreidewirtschaft. Während deshalb die neu¬<lb/>
märkischen Kolonien in der Viehhaltung und im tierischen Absatz bei weitem<lb/>
nicht mit den pommerschen Kolonien wetteifern können, zeigen sie ihre Stärke</p><lb/>
          <note xml:id="FID_26" place="foot"> *) Siehe Thiels Jahrbuch 1902 und 1904 und Keup u. Mührer, Groß- und Kleinbetrieb<lb/>
S. 132.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0174] Der Ivirtschastliche Ivert der bäuerlichen Kolonisation im Gsten und die Versuche in Lauchstädt und Pentkowo*), wo zahlenmäßige Werte dafür ersichtlich sind. Hinzufügen will ich nur noch, daß die Kolonien auch in der Anwendung künstlicher Düngemittel trotz dieser überragenden Stalldunggaben nicht erheblich hinter den Parallelgütern zurückstanden. Innerhalb der Viehbestände sind es gerade die produktivsten Tiergattungen, deren Zahl sich am meisten vermehrt. So stieg die Anzahl der Schweine, trotzdem bei den Gütern die Bestände in den Leutewirtschaften mit berücksichtigt sind, regelmäßig auf das Drei- bis Vierfache. Im gleichen Maße vermehrten sich die Milchkühe und in noch erheblich höherem die Zuchtsauen. Es kann daher nicht wundernehmen, wenn auch der Absatz tierischer Produkte eine ent¬ sprechende, ganz außerordentliche Förderung durch die Anstedlung erfährt, eine Tatsache, die Chlapowski, trotzdem sie wegen der andauernden Fleischnotkrisen ganz besonders wichtig ist, sonderbarerweise mit keinem Worte berührt. Es betrug wiederum unter Zugrundelegung gleicher Preissätze der jährliche Wert des tierischen Absatzes für die vier früheren Güter zusammen rund 110000 Mark, für die vier heutigen Kolonien rund 385000 Mark. Die vier Parallelgüter dagegen steigerten die entsprechenden Summen nur von rund 121000 auf 143000 Mark. Gewiß wird der Gegner einwenden, daß nach herrschender Ansicht der Großgrundbesitz in der Regel mehr Brodgetreide zu liefern vermag als die Bauern. Aber erstens ist die Beschaffung von Fleisch durch die heimische Land¬ wirtschaft die bei weitem wichtigere Aufgabe. Denn seine Einführung in Gestalt lebenden Viehes würde einen großen Teil unseres Nationalvermögens mit mehr oder weniger großer Vernichtung durch Seuchen bedrohen, in Gestalt von Gefrierfleisch usw. aber die Qualität ganz erheblich leiden lassen und unter Umständen sogar hygienischen Bedenken für die Konsumenten begegnen müssen. Außerdem aber stellt es ein hochwertigeres, schwerer transportables Gut dar, das mit viel fremder Arbeit belastet ist. All diese Bedenken treffen beim Ge¬ treide viel weniger oder gar nicht zu. Es ist einer der vornehmsten volks¬ wirtschaftlichen Grundsätze, das im Inland e Arbeit und Erwerb schaffende ver¬ edelte Produkt dem Rohprodukt an Wichtigkeit voranzustellen und in erster Linie zu schützen und zu fördern. Zweitens aber ist jene Regel von der Über¬ legenheit des Großbetriebes in der Brotgetreidelieferung mindestens nicht fest¬ stehend. Die beiden neumärkischen Kolonien, die über viel weizenfähigen Boden verfügen, zeigen, daß unter gegebenen Verhältnissen auch in dieser Frage der bäuerliche Betrieb mit dem Großbetriebe konkurrieren kann. Der Weizen und teilweise auch die Gerste geben als ausgesprochene Marktfrüchte auch dem Bauernbetriebe die Tendenz zur Getreidewirtschaft. Während deshalb die neu¬ märkischen Kolonien in der Viehhaltung und im tierischen Absatz bei weitem nicht mit den pommerschen Kolonien wetteifern können, zeigen sie ihre Stärke *) Siehe Thiels Jahrbuch 1902 und 1904 und Keup u. Mührer, Groß- und Kleinbetrieb S. 132.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/174
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/174>, abgerufen am 27.07.2024.