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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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verfassungskämxfe i" Mecklenburg

auch jetzt keinen Laut, ja es ist mir sogar, als ich kürzlich im "Tag" der Re¬
gierung derzeit eine Entschlossenheit in der Durchführung der Verfassungsreform
vindizierte, vom Landrat von Arenstorff in Form stilistisch-juristischer Aphorismen
entgegnet worden, daß meine Annahme im Wortlaut des Landtagsabschieds
keine sichere Stütze findet. Ich hätte geglaubt, daß die Schweriner Regierung
sich gegen diese Unterstellung energisch gewandt hätte. Allein nichts dergleichen
geschah. Und auffallend ist folgendes: während beim Schluß des letzten Land¬
tags mit Bestimmtheit verlautete, daß Anfang dieses Jahres ein Nachlandtag
stattfinden werde, auf dem die Verfassungsreform "endlich" verabschiedet werden
würde, hat man bislang, wie gesagt, nichts über die Ansichten und Absichten der
Schweriner Regierungskreise vernommen. In der Tat: in jedem anderen Lande
wäre eine Regierung, die fortgesetzt solche Niederlagen erleidet, politisch unmöglich.
Und es muß tatsächlich die Frage aufgeworfen werden, ob man wirklich glaubt,
heute, wo auch in Mecklenburg die Sozialdemokratie einen bedrohlichen Umfang
angenommen hat, nach Rezepten regieren zu können, die vielleicht früher ratsam
waren, heute aber nur Wasser auf die Mühlen des Radikalismus bei den
Reichstagswahlen zuführen?

Mecklenburg ist ein Agrarland durch und durch. Und es sollte bei der
Stellung der liberalen Partei zur Landwirtschaft, bei der gehässigen Form, mit
der gerade diese Presse die Landwirtschaft vielfach bekämpft, als ausgeschlossen
angesehen werden, daß Mecklenburg derzeit durch einen Sozialdemokraten, vier
Liberale und nur durch einen Konservativen im Reichstage vertreten ist. Und
dieser Konservative verdankt seine Wahl nur dem Umstände, daß er energisch --
trotz der Opposition der Ritterschaft -- in der Verfassungsfrage Farbe bekannt
hat. Die Erbitterung der Bevölkerung über die seit dem Jahre 1907 sich hin¬
schleppenden Verfassungsverhandlungen ist zwar zu verstehen; politisch klug ist
sie aber nicht. Denn indem der Wagen der Verfassungsfrage von radikalen
Agitatoren immer auf den Sackweg der Reichsinterventton geschleppt wird,
wird nur die Stellung der Ritterschaft gestärkt. Diese kennt doch die eingangs
geschilderten Stimmungen und Strömungen in der Berliner Wilhelmstraße zu
genau, um nicht zu wissen, daß ihr von dort keine Gefahren drohen können.
Eine Möglichkeit ist aber vorhanden, den Widerstand der Ritterschaft zu brechen,
und diese Möglichkeit ist gegeben, indem der Großherzog von dem ihm im landes-
grundgesetzlichen Erbvergleich gewährten Manutenenzrecht Gebrauch macht und
eine Verfassung auf konstitutioneller Grundlage oktroyiert, sofern seitens der
Ritterschaft auf dem Nachlandtage Zugeständnisse im Sinne allgemeiner Wahlen
der Bevölkerung nicht gemacht werden sollten. Die Erkenntnis von der Not-
wendigkeit und ZweckmäßiMt einer solchen Maßnahme ist bis in die kon¬
servativen Reihen, bis in die Reihen des Bundes der Landwirte stark verbreitet.
Denn, wer je in der Wahlagitation zugunsten der rechtsstehenden Parteien
tätig gewesen ist (wie Schreiber dieser ZeiKn), weiß, daß die leidige Frage
"endlich" zuni Abschluß gelangen muß.


verfassungskämxfe i» Mecklenburg

auch jetzt keinen Laut, ja es ist mir sogar, als ich kürzlich im „Tag" der Re¬
gierung derzeit eine Entschlossenheit in der Durchführung der Verfassungsreform
vindizierte, vom Landrat von Arenstorff in Form stilistisch-juristischer Aphorismen
entgegnet worden, daß meine Annahme im Wortlaut des Landtagsabschieds
keine sichere Stütze findet. Ich hätte geglaubt, daß die Schweriner Regierung
sich gegen diese Unterstellung energisch gewandt hätte. Allein nichts dergleichen
geschah. Und auffallend ist folgendes: während beim Schluß des letzten Land¬
tags mit Bestimmtheit verlautete, daß Anfang dieses Jahres ein Nachlandtag
stattfinden werde, auf dem die Verfassungsreform „endlich" verabschiedet werden
würde, hat man bislang, wie gesagt, nichts über die Ansichten und Absichten der
Schweriner Regierungskreise vernommen. In der Tat: in jedem anderen Lande
wäre eine Regierung, die fortgesetzt solche Niederlagen erleidet, politisch unmöglich.
Und es muß tatsächlich die Frage aufgeworfen werden, ob man wirklich glaubt,
heute, wo auch in Mecklenburg die Sozialdemokratie einen bedrohlichen Umfang
angenommen hat, nach Rezepten regieren zu können, die vielleicht früher ratsam
waren, heute aber nur Wasser auf die Mühlen des Radikalismus bei den
Reichstagswahlen zuführen?

Mecklenburg ist ein Agrarland durch und durch. Und es sollte bei der
Stellung der liberalen Partei zur Landwirtschaft, bei der gehässigen Form, mit
der gerade diese Presse die Landwirtschaft vielfach bekämpft, als ausgeschlossen
angesehen werden, daß Mecklenburg derzeit durch einen Sozialdemokraten, vier
Liberale und nur durch einen Konservativen im Reichstage vertreten ist. Und
dieser Konservative verdankt seine Wahl nur dem Umstände, daß er energisch —
trotz der Opposition der Ritterschaft — in der Verfassungsfrage Farbe bekannt
hat. Die Erbitterung der Bevölkerung über die seit dem Jahre 1907 sich hin¬
schleppenden Verfassungsverhandlungen ist zwar zu verstehen; politisch klug ist
sie aber nicht. Denn indem der Wagen der Verfassungsfrage von radikalen
Agitatoren immer auf den Sackweg der Reichsinterventton geschleppt wird,
wird nur die Stellung der Ritterschaft gestärkt. Diese kennt doch die eingangs
geschilderten Stimmungen und Strömungen in der Berliner Wilhelmstraße zu
genau, um nicht zu wissen, daß ihr von dort keine Gefahren drohen können.
Eine Möglichkeit ist aber vorhanden, den Widerstand der Ritterschaft zu brechen,
und diese Möglichkeit ist gegeben, indem der Großherzog von dem ihm im landes-
grundgesetzlichen Erbvergleich gewährten Manutenenzrecht Gebrauch macht und
eine Verfassung auf konstitutioneller Grundlage oktroyiert, sofern seitens der
Ritterschaft auf dem Nachlandtage Zugeständnisse im Sinne allgemeiner Wahlen
der Bevölkerung nicht gemacht werden sollten. Die Erkenntnis von der Not-
wendigkeit und ZweckmäßiMt einer solchen Maßnahme ist bis in die kon¬
servativen Reihen, bis in die Reihen des Bundes der Landwirte stark verbreitet.
Denn, wer je in der Wahlagitation zugunsten der rechtsstehenden Parteien
tätig gewesen ist (wie Schreiber dieser ZeiKn), weiß, daß die leidige Frage
„endlich" zuni Abschluß gelangen muß.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/161>, abgerufen am 27.07.2024.