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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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vcrfassungskämpfe in Mecklenburg

walter Schiedsgericht im Jahre 1850 ins Leben trat, das die konstitutionelle
Verfassung, die im Jahre 1849 in Schwerin erlassen war, für ungültig
erklärte.

Zahllos sind die Reformversuche gewesen, die seitdem unternommen worden
sind, um die Zivilrechtstheorie des Ständestaats in ein System konstitutioneller
Begriffe überzuführen. Aber immer war es die Ritterschaft, die wiederholt
mit zäher Leidenschaft und Scheingründen ihre Ablehnung gegen allgemeine
Wahlen der Bevölkerung bekundete. Wir sagten vorhin schon, daß der Beschluß
eines Standes genügt, um jedes Gesetz zu vereiteln, und es ist hiernach klar,
daß die Ritterschaft von diesem Rechte der nie" in partss bei den Verfafsungs-
debatten umfassend Gebrauch gemacht hat. Sie konnte auch tatsächlich auf gewisse
Erfolge zurückblicken, denn seit dem Tode des Großherzogs Friedrich Franz des
Zweiten im Jahre1883 bis zum Jahre 1907 unterblieb jeder Reformnersuch. Und
es wäre vielleicht auch heute noch nicht die Verfassungsreform erneut in Fluß
gekommen, wenn nicht die Kassen der Renterei eine bedenkliche Leere zeigten,
wenn nicht dadurch wichtige Landesinteressen benachteiligt würden, da die Land¬
schaft (d. h. die Büchermeister) es ablehnten, der Renterei einen Zuschuß aus
der Landessteuerkasse zu bewilligen. Diese Ablehnung geschah, nachdem die
Regierung in Schwerin zwar viele energische Worte fand, die Verfassungsreform
zu fordern, den Worten aber die Taten nicht entsprachen. Heute war sie sü
allgemeine Wahlen der Bevölkerung, entgegen den Anschauungen der Ritter¬
schaft, morgen legte sie einen Entwurf vor, der auf rein ständischer Basis auf¬
gebaut war, der den Wünschen der Ritterschaft entsprach. An sich kann man
gegen berufsständische Wahlen Bedenken unbedingt nicht hegen, denn sie er¬
möglichen es, alle Kräfte der Bevölkerung zur Teilnahme an den Staats¬
geschäften heranzuziehen, ohne die Brutalisierung seelisch differenzierterer Naturen
und Personenkreise durch ungebildete Wählermassen zu bewirken. Bedenkt
man aber, daß die Landschaft sich auf allgemeine Wahlen festgelegt hat, daß
ohne die Mitwirkung der Landschaft ein positives Ergebnis der Beratungen
derzeit nicht zu erzielen ist, so muß im vorliegenden Falle von der Verfolgung
des Planes abgesehen werden, so sehr man sich vielleicht theoretisch mit berufs¬
ständischen Wahlen grundsätzlich einverstanden erklären kann.

Auch auf dem letzten Landtage, der am 12. November v. I. in Malchin
zusammentrat und am 20. Dezember geschlossen wurde, scheiterte zweimal die
Regierungsvorlage wegen Verfassungsänderung, wie anderseits die Landschaft
den Rentereizuschuß erneut ablehnte. Und diese letzte Tatsache scheint der Re¬
gierung in Schwerin nicht gerade genehm gewesen zu sein, denn die Landschaft
wurde von ihr in ziemlich unsanften Tönen getadelt; abgesehen von der zweifel¬
haften Berechtigung der Regierung zu dieser Zensur, hätte sie es doch mit Freuden
begrüßen müssen, daß die Landschaft ihr die Position stärkte. Aber von der
Regierung in Schwerin, die in einer Zitadelle zu leben scheint, von der sie
sorglos auf das Leben und Treiben des Volkes hinabschaut, vernimmt man


vcrfassungskämpfe in Mecklenburg

walter Schiedsgericht im Jahre 1850 ins Leben trat, das die konstitutionelle
Verfassung, die im Jahre 1849 in Schwerin erlassen war, für ungültig
erklärte.

Zahllos sind die Reformversuche gewesen, die seitdem unternommen worden
sind, um die Zivilrechtstheorie des Ständestaats in ein System konstitutioneller
Begriffe überzuführen. Aber immer war es die Ritterschaft, die wiederholt
mit zäher Leidenschaft und Scheingründen ihre Ablehnung gegen allgemeine
Wahlen der Bevölkerung bekundete. Wir sagten vorhin schon, daß der Beschluß
eines Standes genügt, um jedes Gesetz zu vereiteln, und es ist hiernach klar,
daß die Ritterschaft von diesem Rechte der nie» in partss bei den Verfafsungs-
debatten umfassend Gebrauch gemacht hat. Sie konnte auch tatsächlich auf gewisse
Erfolge zurückblicken, denn seit dem Tode des Großherzogs Friedrich Franz des
Zweiten im Jahre1883 bis zum Jahre 1907 unterblieb jeder Reformnersuch. Und
es wäre vielleicht auch heute noch nicht die Verfassungsreform erneut in Fluß
gekommen, wenn nicht die Kassen der Renterei eine bedenkliche Leere zeigten,
wenn nicht dadurch wichtige Landesinteressen benachteiligt würden, da die Land¬
schaft (d. h. die Büchermeister) es ablehnten, der Renterei einen Zuschuß aus
der Landessteuerkasse zu bewilligen. Diese Ablehnung geschah, nachdem die
Regierung in Schwerin zwar viele energische Worte fand, die Verfassungsreform
zu fordern, den Worten aber die Taten nicht entsprachen. Heute war sie sü
allgemeine Wahlen der Bevölkerung, entgegen den Anschauungen der Ritter¬
schaft, morgen legte sie einen Entwurf vor, der auf rein ständischer Basis auf¬
gebaut war, der den Wünschen der Ritterschaft entsprach. An sich kann man
gegen berufsständische Wahlen Bedenken unbedingt nicht hegen, denn sie er¬
möglichen es, alle Kräfte der Bevölkerung zur Teilnahme an den Staats¬
geschäften heranzuziehen, ohne die Brutalisierung seelisch differenzierterer Naturen
und Personenkreise durch ungebildete Wählermassen zu bewirken. Bedenkt
man aber, daß die Landschaft sich auf allgemeine Wahlen festgelegt hat, daß
ohne die Mitwirkung der Landschaft ein positives Ergebnis der Beratungen
derzeit nicht zu erzielen ist, so muß im vorliegenden Falle von der Verfolgung
des Planes abgesehen werden, so sehr man sich vielleicht theoretisch mit berufs¬
ständischen Wahlen grundsätzlich einverstanden erklären kann.

Auch auf dem letzten Landtage, der am 12. November v. I. in Malchin
zusammentrat und am 20. Dezember geschlossen wurde, scheiterte zweimal die
Regierungsvorlage wegen Verfassungsänderung, wie anderseits die Landschaft
den Rentereizuschuß erneut ablehnte. Und diese letzte Tatsache scheint der Re¬
gierung in Schwerin nicht gerade genehm gewesen zu sein, denn die Landschaft
wurde von ihr in ziemlich unsanften Tönen getadelt; abgesehen von der zweifel¬
haften Berechtigung der Regierung zu dieser Zensur, hätte sie es doch mit Freuden
begrüßen müssen, daß die Landschaft ihr die Position stärkte. Aber von der
Regierung in Schwerin, die in einer Zitadelle zu leben scheint, von der sie
sorglos auf das Leben und Treiben des Volkes hinabschaut, vernimmt man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/160>, abgerufen am 27.07.2024.