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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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auch. Protestresolutionen von Versammlungen/ und schließlich: es bleibt alles
beim alten. So ist der gegenwärtige Stand der Dinge.

^ , Kann nun ein ehrlicher, vernunftbegabter und nicht nur agitatorisch
wkkender Politiker derzeit im Ernst glauben, daß der Bundesrat in die mecklen¬
burgischen Verfassungsstreitigkeiten eingreifen werde? Dem steht, abgesehen von
dem Vorgesagten, die bestimmte Erklärung des Staatssekretärs Delbrück ent¬
gegen, die dieser im Januar 1910 abgegeben-und^ erst kürzlich auf eine kleine
Anfrage erneuert hüt, und dem widerstreitet vor' allem die preußische Wahl¬
rechtsfrage. Denn je stürmischer und leidenschaftlicher die vereinte Demokratie
die Grundmauern des preußischen Königtums, des führenden Bundesstaates.
zu unterminieren beabsichtigt mit dem Endergebnis, daß an Stelle staatlicher
Straffheit, männlicher Entschiedenheit eine Politik des Opportunismus Platz greift
-- umsomehr erwächst allen nicht auf radikale Parteibefehle einexerzierten
Politikern die Pflicht, die in Rede stehenden Bestimmungen der preußischen
Verfassungsurkunde als einen nicht angreifbaren Reservefonds völkischen Ver¬
mögens zu betrachten. Wenn dem aber so ist, dann bleibt zu prüfen, ob die
Verfassungsnöte Mecklenburgs nicht mit anderen Methoden geheilt werden können.
Dies ist keine Unehrlichkeit, denn auch in der Diplomatie pflegt man. wenn
man nicht direkt zwischen den streitenden Parteien unterhandeln kann, auf Um¬
wegen eine Kompromißformel zu finden, auf deren Boden sich die Kontrahenten
schließlich wieder freundschaftlich die Hand reichen können. Aufgabe nachstehender
Betrachtung Muß es also sein, einmal die ständische mecklenburgische Verfassung,
auf' ihre Entwicklungsbedürftigkeit und -fähigkeit zu prüfen, anderseits zu zeigen,
daß auch in Mecklenburg, ohne daß es reichsrechtlicher radikaler Geburtshelfer
bedarf, durchaus die Möglichkeit gegeben ist, zu einer Lösung der Verfassung
auf konstitutioneller Grundlage zu gelangen.

Worin besteht zunächst die Reformbedürftigkeit der mecklenburgischen Ver¬
fassung? Will-man den gegenwärtigen öffentlichen Rechtszustand bei uns auf
eine erschöpfende Formel bringen, so kann man etwa sagen: der Landtag dieses
Landes ist in der Hauptsache eine Zusammenkunft von Trägern privelegierter
Adolsfamilien, flankiert von einigen bürgerlichen Gutsbesitzern und verschiedenen
städtischen Bürgermeistern, denen gegenüber die überwiegende Mehrheit des
mecklenburgischen Volkes in völliger Rechtlosigkeit verharrte, die mecklenburgischen
Regierungen sich bislang vielfach in völliger Hilflosigkeit befanden. Diese
Tatsache schließt selbstverständlich nicht aus, daß auch der mecklenburgische
Landtag vielfach bedeutsames geleistet hat; nur sind viele Interessen des Landes
dort völlig unvertreten. Darunter leiden die Schulverhältnisse, die Verkehrs¬
verhältnisse. Die schlechte Lage vieler mecklenburgischer ritterschaftlicher Lehrer
zum Beispiel ist aus den Tageszeitungen nur zu bekannt, als daß sie an dieser
Stelle besprochen zu werden braucht. Man sollte es aber kaum für möglich
halten, daß wichtige Gebiete Mecklenburgs, namentlich in der unmittelbaren
Nähe der Seestadt Rostock, heute noch nicht dem Eisenbahnverkehr erschlossen


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auch. Protestresolutionen von Versammlungen/ und schließlich: es bleibt alles
beim alten. So ist der gegenwärtige Stand der Dinge.

^ , Kann nun ein ehrlicher, vernunftbegabter und nicht nur agitatorisch
wkkender Politiker derzeit im Ernst glauben, daß der Bundesrat in die mecklen¬
burgischen Verfassungsstreitigkeiten eingreifen werde? Dem steht, abgesehen von
dem Vorgesagten, die bestimmte Erklärung des Staatssekretärs Delbrück ent¬
gegen, die dieser im Januar 1910 abgegeben-und^ erst kürzlich auf eine kleine
Anfrage erneuert hüt, und dem widerstreitet vor' allem die preußische Wahl¬
rechtsfrage. Denn je stürmischer und leidenschaftlicher die vereinte Demokratie
die Grundmauern des preußischen Königtums, des führenden Bundesstaates.
zu unterminieren beabsichtigt mit dem Endergebnis, daß an Stelle staatlicher
Straffheit, männlicher Entschiedenheit eine Politik des Opportunismus Platz greift
— umsomehr erwächst allen nicht auf radikale Parteibefehle einexerzierten
Politikern die Pflicht, die in Rede stehenden Bestimmungen der preußischen
Verfassungsurkunde als einen nicht angreifbaren Reservefonds völkischen Ver¬
mögens zu betrachten. Wenn dem aber so ist, dann bleibt zu prüfen, ob die
Verfassungsnöte Mecklenburgs nicht mit anderen Methoden geheilt werden können.
Dies ist keine Unehrlichkeit, denn auch in der Diplomatie pflegt man. wenn
man nicht direkt zwischen den streitenden Parteien unterhandeln kann, auf Um¬
wegen eine Kompromißformel zu finden, auf deren Boden sich die Kontrahenten
schließlich wieder freundschaftlich die Hand reichen können. Aufgabe nachstehender
Betrachtung Muß es also sein, einmal die ständische mecklenburgische Verfassung,
auf' ihre Entwicklungsbedürftigkeit und -fähigkeit zu prüfen, anderseits zu zeigen,
daß auch in Mecklenburg, ohne daß es reichsrechtlicher radikaler Geburtshelfer
bedarf, durchaus die Möglichkeit gegeben ist, zu einer Lösung der Verfassung
auf konstitutioneller Grundlage zu gelangen.

Worin besteht zunächst die Reformbedürftigkeit der mecklenburgischen Ver¬
fassung? Will-man den gegenwärtigen öffentlichen Rechtszustand bei uns auf
eine erschöpfende Formel bringen, so kann man etwa sagen: der Landtag dieses
Landes ist in der Hauptsache eine Zusammenkunft von Trägern privelegierter
Adolsfamilien, flankiert von einigen bürgerlichen Gutsbesitzern und verschiedenen
städtischen Bürgermeistern, denen gegenüber die überwiegende Mehrheit des
mecklenburgischen Volkes in völliger Rechtlosigkeit verharrte, die mecklenburgischen
Regierungen sich bislang vielfach in völliger Hilflosigkeit befanden. Diese
Tatsache schließt selbstverständlich nicht aus, daß auch der mecklenburgische
Landtag vielfach bedeutsames geleistet hat; nur sind viele Interessen des Landes
dort völlig unvertreten. Darunter leiden die Schulverhältnisse, die Verkehrs¬
verhältnisse. Die schlechte Lage vieler mecklenburgischer ritterschaftlicher Lehrer
zum Beispiel ist aus den Tageszeitungen nur zu bekannt, als daß sie an dieser
Stelle besprochen zu werden braucht. Man sollte es aber kaum für möglich
halten, daß wichtige Gebiete Mecklenburgs, namentlich in der unmittelbaren
Nähe der Seestadt Rostock, heute noch nicht dem Eisenbahnverkehr erschlossen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/158>, abgerufen am 27.07.2024.