Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.Die Rodia "Du hast ein Kind, Widschaja?" fragte ich erschüttert. "Dort in der Hütte schläft mein und Kuwenis Kind," erwiderte er leise. Ich war tief bewegt. Einen Blick noch warf ich auf die tote Mutter unter "Ich danke dir," klang es mir aus übervollen Herzen entgegen. Über Der Pflanzer hatte geendet. Eine Weile hörte man nur das Schrillen "Kommen Sie," sagte er statt aller Antwort. Wir schritten die Stufen Ein Märchen tat sich vor meinen Augen aus! In traulichem Raume Wir gingen hinaus. "Das ist Widschajas und Kuwenis Kind," sagte der Die Rodia „Du hast ein Kind, Widschaja?" fragte ich erschüttert. „Dort in der Hütte schläft mein und Kuwenis Kind," erwiderte er leise. Ich war tief bewegt. Einen Blick noch warf ich auf die tote Mutter unter „Ich danke dir," klang es mir aus übervollen Herzen entgegen. Über Der Pflanzer hatte geendet. Eine Weile hörte man nur das Schrillen „Kommen Sie," sagte er statt aller Antwort. Wir schritten die Stufen Ein Märchen tat sich vor meinen Augen aus! In traulichem Raume Wir gingen hinaus. „Das ist Widschajas und Kuwenis Kind," sagte der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0137" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325657"/> <fw type="header" place="top"> Die Rodia</fw><lb/> <p xml:id="ID_576"> „Du hast ein Kind, Widschaja?" fragte ich erschüttert.</p><lb/> <p xml:id="ID_577"> „Dort in der Hütte schläft mein und Kuwenis Kind," erwiderte er leise.<lb/> „Die Eltern werden es versorgen, aber sie sind früh gealtert und werden die<lb/> Kraft zum Heranziehen eines frischen Menschenlebens nicht mehr haben. Dazu<lb/> drückt der Gedanke auf meine Seele, daß das kleine Wesen glücklos in ein<lb/> jammervolles Dasein tritt."</p><lb/> <p xml:id="ID_578"> Ich war tief bewegt. Einen Blick noch warf ich auf die tote Mutter unter<lb/> den Blumen, dann sagte ich zu Widschaja: „Ich will für das Kind sorgen, es<lb/> soll kein Rodia werden."</p><lb/> <p xml:id="ID_579"> „Ich danke dir," klang es mir aus übervollen Herzen entgegen. Über<lb/> den: Grabe reichten wir uns die Hände. Die Tote sah es nicht, konnte uns<lb/> den Muttersegen nicht geben. Es war dunkel geworden. Nur im Weste»<lb/> flammte der Himmel in strahlendem Rot und über uns zogen lichte Wolken,<lb/> von goldenen Rändern umsäumt, über die klare Bläue.. In Widschajas Augen<lb/> aber leuchtete der Glanz des Himmels wieder.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_580"> Der Pflanzer hatte geendet. Eine Weile hörte man nur das Schrillen<lb/> der Insekten in der tropischen Nacht da draußen. Dann fragte ich: „Und was<lb/> ist aus dem Kinde geworden?"</p><lb/> <p xml:id="ID_581"> „Kommen Sie," sagte er statt aller Antwort. Wir schritten die Stufen<lb/> der Veranda hinab. Der Mond hatte sich hinter den Bäumen verborgen, aber<lb/> die Sterne funkelten vom Himmel und überall zwischen den Bäumen flogen die<lb/> Leuchtkäfer, indem sie ihr grünes Väterlichen in kurzen Rhythmen aufleuchten und<lb/> verlöschen ließen. Wir kamen an eine Wiese, über der Millionen grüner Lichter<lb/> glitzerten, ein lautloses, verwirrendes Funkenstieben. Ein kleines Häuschen lag<lb/> da. von zwei hohen Palmen überragt. Wir gingen näher heran. Von einer<lb/> weißen Treppe erhob sich eine Gestalt, ich erkannte die launische Frau. Sie<lb/> trat nach einigen geflüsterten Worten zur Seite. Der Pflanzer wandte sich zu<lb/> mir, legte den Finger auf die Lippen und schritt hinein. Ich folgte.</p><lb/> <p xml:id="ID_582"> Ein Märchen tat sich vor meinen Augen aus! In traulichem Raume<lb/> schwebte eine rote Ampel und goß mildes Licht auf ein Mädchen, das auf einem<lb/> Lager ruhte. Die Züge waren von wunderbarer Schönheit, schwarzes, glän¬<lb/> zendes Haar umfloß die reizende Gestalt. Alte indische Sagen erwachten.<lb/> „Draupadi", klang es in mir, „Sakuntala". Ruhig schlief das Mädchen, sanfte<lb/> Atemzüge hoben und senkten die liebliche Brust.</p><lb/> <p xml:id="ID_583" next="#ID_584"> Wir gingen hinaus. „Das ist Widschajas und Kuwenis Kind," sagte der<lb/> Pflanzer, „ich pflege diese Blume. Ihretwegen vor allem habe ich meine erste<lb/> Pflanzung aufgegeben. Niemand weiß hier von ihrer Herkunft, aber ich lasse<lb/> sie doch nur wenig mit meinen Dienstboten in Berührung kommen, wenn ich<lb/> auch zu diesen jetzt vorsorglich nur Tannen nehme. Eine treue Dienerin habe</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0137]
Die Rodia
„Du hast ein Kind, Widschaja?" fragte ich erschüttert.
„Dort in der Hütte schläft mein und Kuwenis Kind," erwiderte er leise.
„Die Eltern werden es versorgen, aber sie sind früh gealtert und werden die
Kraft zum Heranziehen eines frischen Menschenlebens nicht mehr haben. Dazu
drückt der Gedanke auf meine Seele, daß das kleine Wesen glücklos in ein
jammervolles Dasein tritt."
Ich war tief bewegt. Einen Blick noch warf ich auf die tote Mutter unter
den Blumen, dann sagte ich zu Widschaja: „Ich will für das Kind sorgen, es
soll kein Rodia werden."
„Ich danke dir," klang es mir aus übervollen Herzen entgegen. Über
den: Grabe reichten wir uns die Hände. Die Tote sah es nicht, konnte uns
den Muttersegen nicht geben. Es war dunkel geworden. Nur im Weste»
flammte der Himmel in strahlendem Rot und über uns zogen lichte Wolken,
von goldenen Rändern umsäumt, über die klare Bläue.. In Widschajas Augen
aber leuchtete der Glanz des Himmels wieder.
Der Pflanzer hatte geendet. Eine Weile hörte man nur das Schrillen
der Insekten in der tropischen Nacht da draußen. Dann fragte ich: „Und was
ist aus dem Kinde geworden?"
„Kommen Sie," sagte er statt aller Antwort. Wir schritten die Stufen
der Veranda hinab. Der Mond hatte sich hinter den Bäumen verborgen, aber
die Sterne funkelten vom Himmel und überall zwischen den Bäumen flogen die
Leuchtkäfer, indem sie ihr grünes Väterlichen in kurzen Rhythmen aufleuchten und
verlöschen ließen. Wir kamen an eine Wiese, über der Millionen grüner Lichter
glitzerten, ein lautloses, verwirrendes Funkenstieben. Ein kleines Häuschen lag
da. von zwei hohen Palmen überragt. Wir gingen näher heran. Von einer
weißen Treppe erhob sich eine Gestalt, ich erkannte die launische Frau. Sie
trat nach einigen geflüsterten Worten zur Seite. Der Pflanzer wandte sich zu
mir, legte den Finger auf die Lippen und schritt hinein. Ich folgte.
Ein Märchen tat sich vor meinen Augen aus! In traulichem Raume
schwebte eine rote Ampel und goß mildes Licht auf ein Mädchen, das auf einem
Lager ruhte. Die Züge waren von wunderbarer Schönheit, schwarzes, glän¬
zendes Haar umfloß die reizende Gestalt. Alte indische Sagen erwachten.
„Draupadi", klang es in mir, „Sakuntala". Ruhig schlief das Mädchen, sanfte
Atemzüge hoben und senkten die liebliche Brust.
Wir gingen hinaus. „Das ist Widschajas und Kuwenis Kind," sagte der
Pflanzer, „ich pflege diese Blume. Ihretwegen vor allem habe ich meine erste
Pflanzung aufgegeben. Niemand weiß hier von ihrer Herkunft, aber ich lasse
sie doch nur wenig mit meinen Dienstboten in Berührung kommen, wenn ich
auch zu diesen jetzt vorsorglich nur Tannen nehme. Eine treue Dienerin habe
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