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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Rodia

es spürt, bis das strömende Blut einen auf die Verwundung aufmerksam
macht.

Eine Zeitlang hatte ich von meinem Stein durch das Schilf gespäht, da
bemerkte ich im Flusse eine Bewegung und sah zwei dunkle Erhebungen lang¬
sam näher ziehen. Ich erkannte ein großes Krokodil. Näher und näher kam
das Tier, schon wollte ich die Flinte in die Höhe nehmen, da plötzlich erhob
es sich im gewaltigen Hechtsprung, ein geschuppter Rücken und ein gezähnter
Schwanz wurden sichtbar, und klatschend verschwand das Reptil im hochauf¬
rauschenden Wasser. Ich sah mich ärgerlich um und gewahrte die Ursache der
Störung. Ein Mann kam auf der Straße daher, fein Nahen hatte das Tier
verscheucht.

Es war Widschaja. Aber er ging nicht mit seinem gewöhnlichen elastischen
Schritt, sondern langsam, müde, fast wankend. Es mußte ihm etwas zu¬
gestoßen sein. Schnell sprang ich auf, eilte über die Wiese, trat ihm entgegen
und erschrack. Seine Jacke war zerrissen und schmutzig, sein Haar hing wirr
herunter, seine Hände waren voll Erde, und über dem Auge auf der Stirn
dunkelte eine blutrünstige Beule. Wild sah er mich ein. "Laß mich, laß mich,"
schrie er mir gellend zu. Ich faßte seine Hand, er wollte mich zurückstoßen,
aber plötzlich brach er in strömende Tränen aus, und warf sich auf den Boden.

Endlich faßte er sich, und ich erfuhr, was sich zugetragen. Widschaja war
lange Wochen krank gewesen. Zur Untätigkeit verdammt, auf der Matte in
der elenden Hütte Tag und Nacht liegend, ohne Zerstreuung, ohne neue Ein¬
drücke war der ganze Jammer seines verlorenen Lebens mit voller Wucht
auf ihn eingedrungen. In den letzten Tagen war es mit ihm zwar
besser geworden, aber der seelische Druck hatte nicht weichen wollen. Spät
war er in der vergangenen Nacht eingeschlafen. Ein leichter Traum war
über ihn gekommen, hatte ihn in die schöne Zeit versetzt, da er noch im
Dorf der Königssproß gewesen war. Da hatte ihn etwas aus dem Schlaf
geschreckt, er war aufgefahren und hatte Kuweni und die Rodias im Halb-
dunkel der Hütte erblickt mit mitleidig auf ihn gerichteten Augen. Der schroffe
Gegensatz zwischen Traum und Wirklichkeit war zu groß gewesen. Widschaja,
seiner nicht mehr mächtig, hatte Kuweni so heftig von sich gestoßen, daß sie
aufstöhnend an der Wand niedergestürzt war. Da war ihr Vater an den
Liegenden herangetreten. Zum erstenmal hatte der alte Mann seine bescheidene
Zurückhaltung aufgegeben und Widschaja sein heftiges, ungerechtes Handeln
vorgehalten. Das aber hatte der Selbstbeherrschung des Singhalesen den Rest
gegeben. "So, du fühlst dich nun mir gleich," hatte er gerufen, "du willst
mein Vater sein, der mich tadelt, der Herr dieser Hütte, dem die anderen zu
gehorchen haben? Ich will dir zeigen, daß ich doch noch nicht so sehr Rodia
bin, wie ihrl" Damit war er hinausgestürzt.

In der stillen Hoffnung, daß der Traum ein gutes Zeichen bedeute, war
Widschaja dann ohne Halt zu machen zum Dorfe geeilt.


Die Rodia

es spürt, bis das strömende Blut einen auf die Verwundung aufmerksam
macht.

Eine Zeitlang hatte ich von meinem Stein durch das Schilf gespäht, da
bemerkte ich im Flusse eine Bewegung und sah zwei dunkle Erhebungen lang¬
sam näher ziehen. Ich erkannte ein großes Krokodil. Näher und näher kam
das Tier, schon wollte ich die Flinte in die Höhe nehmen, da plötzlich erhob
es sich im gewaltigen Hechtsprung, ein geschuppter Rücken und ein gezähnter
Schwanz wurden sichtbar, und klatschend verschwand das Reptil im hochauf¬
rauschenden Wasser. Ich sah mich ärgerlich um und gewahrte die Ursache der
Störung. Ein Mann kam auf der Straße daher, fein Nahen hatte das Tier
verscheucht.

Es war Widschaja. Aber er ging nicht mit seinem gewöhnlichen elastischen
Schritt, sondern langsam, müde, fast wankend. Es mußte ihm etwas zu¬
gestoßen sein. Schnell sprang ich auf, eilte über die Wiese, trat ihm entgegen
und erschrack. Seine Jacke war zerrissen und schmutzig, sein Haar hing wirr
herunter, seine Hände waren voll Erde, und über dem Auge auf der Stirn
dunkelte eine blutrünstige Beule. Wild sah er mich ein. „Laß mich, laß mich,"
schrie er mir gellend zu. Ich faßte seine Hand, er wollte mich zurückstoßen,
aber plötzlich brach er in strömende Tränen aus, und warf sich auf den Boden.

Endlich faßte er sich, und ich erfuhr, was sich zugetragen. Widschaja war
lange Wochen krank gewesen. Zur Untätigkeit verdammt, auf der Matte in
der elenden Hütte Tag und Nacht liegend, ohne Zerstreuung, ohne neue Ein¬
drücke war der ganze Jammer seines verlorenen Lebens mit voller Wucht
auf ihn eingedrungen. In den letzten Tagen war es mit ihm zwar
besser geworden, aber der seelische Druck hatte nicht weichen wollen. Spät
war er in der vergangenen Nacht eingeschlafen. Ein leichter Traum war
über ihn gekommen, hatte ihn in die schöne Zeit versetzt, da er noch im
Dorf der Königssproß gewesen war. Da hatte ihn etwas aus dem Schlaf
geschreckt, er war aufgefahren und hatte Kuweni und die Rodias im Halb-
dunkel der Hütte erblickt mit mitleidig auf ihn gerichteten Augen. Der schroffe
Gegensatz zwischen Traum und Wirklichkeit war zu groß gewesen. Widschaja,
seiner nicht mehr mächtig, hatte Kuweni so heftig von sich gestoßen, daß sie
aufstöhnend an der Wand niedergestürzt war. Da war ihr Vater an den
Liegenden herangetreten. Zum erstenmal hatte der alte Mann seine bescheidene
Zurückhaltung aufgegeben und Widschaja sein heftiges, ungerechtes Handeln
vorgehalten. Das aber hatte der Selbstbeherrschung des Singhalesen den Rest
gegeben. „So, du fühlst dich nun mir gleich," hatte er gerufen, „du willst
mein Vater sein, der mich tadelt, der Herr dieser Hütte, dem die anderen zu
gehorchen haben? Ich will dir zeigen, daß ich doch noch nicht so sehr Rodia
bin, wie ihrl" Damit war er hinausgestürzt.

In der stillen Hoffnung, daß der Traum ein gutes Zeichen bedeute, war
Widschaja dann ohne Halt zu machen zum Dorfe geeilt.


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[0133] Die Rodia es spürt, bis das strömende Blut einen auf die Verwundung aufmerksam macht. Eine Zeitlang hatte ich von meinem Stein durch das Schilf gespäht, da bemerkte ich im Flusse eine Bewegung und sah zwei dunkle Erhebungen lang¬ sam näher ziehen. Ich erkannte ein großes Krokodil. Näher und näher kam das Tier, schon wollte ich die Flinte in die Höhe nehmen, da plötzlich erhob es sich im gewaltigen Hechtsprung, ein geschuppter Rücken und ein gezähnter Schwanz wurden sichtbar, und klatschend verschwand das Reptil im hochauf¬ rauschenden Wasser. Ich sah mich ärgerlich um und gewahrte die Ursache der Störung. Ein Mann kam auf der Straße daher, fein Nahen hatte das Tier verscheucht. Es war Widschaja. Aber er ging nicht mit seinem gewöhnlichen elastischen Schritt, sondern langsam, müde, fast wankend. Es mußte ihm etwas zu¬ gestoßen sein. Schnell sprang ich auf, eilte über die Wiese, trat ihm entgegen und erschrack. Seine Jacke war zerrissen und schmutzig, sein Haar hing wirr herunter, seine Hände waren voll Erde, und über dem Auge auf der Stirn dunkelte eine blutrünstige Beule. Wild sah er mich ein. „Laß mich, laß mich," schrie er mir gellend zu. Ich faßte seine Hand, er wollte mich zurückstoßen, aber plötzlich brach er in strömende Tränen aus, und warf sich auf den Boden. Endlich faßte er sich, und ich erfuhr, was sich zugetragen. Widschaja war lange Wochen krank gewesen. Zur Untätigkeit verdammt, auf der Matte in der elenden Hütte Tag und Nacht liegend, ohne Zerstreuung, ohne neue Ein¬ drücke war der ganze Jammer seines verlorenen Lebens mit voller Wucht auf ihn eingedrungen. In den letzten Tagen war es mit ihm zwar besser geworden, aber der seelische Druck hatte nicht weichen wollen. Spät war er in der vergangenen Nacht eingeschlafen. Ein leichter Traum war über ihn gekommen, hatte ihn in die schöne Zeit versetzt, da er noch im Dorf der Königssproß gewesen war. Da hatte ihn etwas aus dem Schlaf geschreckt, er war aufgefahren und hatte Kuweni und die Rodias im Halb- dunkel der Hütte erblickt mit mitleidig auf ihn gerichteten Augen. Der schroffe Gegensatz zwischen Traum und Wirklichkeit war zu groß gewesen. Widschaja, seiner nicht mehr mächtig, hatte Kuweni so heftig von sich gestoßen, daß sie aufstöhnend an der Wand niedergestürzt war. Da war ihr Vater an den Liegenden herangetreten. Zum erstenmal hatte der alte Mann seine bescheidene Zurückhaltung aufgegeben und Widschaja sein heftiges, ungerechtes Handeln vorgehalten. Das aber hatte der Selbstbeherrschung des Singhalesen den Rest gegeben. „So, du fühlst dich nun mir gleich," hatte er gerufen, „du willst mein Vater sein, der mich tadelt, der Herr dieser Hütte, dem die anderen zu gehorchen haben? Ich will dir zeigen, daß ich doch noch nicht so sehr Rodia bin, wie ihrl" Damit war er hinausgestürzt. In der stillen Hoffnung, daß der Traum ein gutes Zeichen bedeute, war Widschaja dann ohne Halt zu machen zum Dorfe geeilt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/133>, abgerufen am 27.07.2024.