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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Rodia

sah im Auge meiner Kmveni eine Träne. Das ist das schlimmste an meinem
Schicksal: ich werde schlecht!"

Ich wollte antworten, trösten, aber er unterbrach mich. "Was du auch
sagen willst, es ist alles umsonst. Mein Schicksal muß ich tragen, und zwar
allein. Darum bitte ich dich, suche mich nicht mehr auf. Ich würde weglaufen.
Soweit bin ich schon Rodia geworden, daß auch ich jetzt Scheu und Scham
vor anderen Menschen habe. Doch verspreche ich dir, ich will, so schwer es
mir auch werden mag, von Zeit zu Zeit zu dir kommen. Und nun lebe wohl."

Und ehe ich noch etwas sagen konnte, war er raschen Schrittes zwischen
den Bäumen verschwunden.

Widschaja hielt Wort. Aber nur sehr selten kam er zu mir, und wenn
er mich aufsuchte und wenige Worte mit mir sprach, stimmte es mich traurig.
Teun jedesmal spürte auch ich es mehr, daß mein singhalesischer Freund
herunterkam. Die mit Verachtung gesättigte Rodialuft brachte auch ihn all¬
mählich zur Selbstverachtung, und der Ekel, den er vor seiner Umgebung
empfand, zerstörte das Gleichgewicht seiner Seele. Seine frühere schöne Ruhe,
getragen durch das Selbstbewußtsein edlen Blutes, sein wirklich vornehmes
Wesen, das er sich und seiner Abstammung schuldig zu sein glaubte, alles war
dahin. Er war zerfahren und voll Unruhe geworden. Wenn er von seinem
Elend erzählte, konnte er heftig werden, und seine Stimme wurde gellend. So
vermochte zwischen uns die frühere Harmonie nicht mehr auszukommen. Und
sein Stolz, der immer wieder stoßweise und oft fast unheimlich aus der Selbst-
verachtung aufflammte, sagte ihm, daß seine Gegenwart auch für mich nieder¬
drückend war, denn nach einiger Zeit blieb er ganz fort. Zweimal versuchte
ich trotz seiner Ablehnung ihn in seiner Hütte aufzusuchen, aber er schämte sich
offenbar, mich in sein Elend blicken zu lassen, und versteckte sich wie die anderen.
Ich zog unverrichteter Sache ab und fand mich endlich darein, Widschaja seinem
traurigen Schicksal überlassen zu müssen.

Es war ungefähr ein Jahr seit jener verhängnisvollen Nacht vergangen,
als ich an einen: Nachmittage wieder einmal zur Flinte griff, um ein Krokodil
zu schießen. Sie werden es als Zoologe wissen, daß diese trägen Bestien,
denen es auch hier so nahe am Äquator noch nicht heiß genug zu sein scheint,
erst wenn die Sonne am stärksten brennt, das Wasser verlassend Sie legen sich
dann am Ufer nieder, um sich die prallen Strahlen auf den geschuppten Rücken
brennen zu lassen.

Ich trat nahe meiner Pflanzung vom Wege herunter. Hier dehnte sich
noch eine schmale Wiese bis zum Flusse aus, um im weiteren Verlaufe des
Weges spitz zu enden. Ich schritt durch das hohe Gras und setzte mich am
Wasser auf einen großen von Schilf umgebenen Stein. Denn im Grase konnte
ich mich nicht verstecken, weil dort sofort von allen Seiten die Landblutegel
herbeigckrochen wären. Sie kennen ja diese Plage Ceylons; die spanuer-
raupenähnlichen Tierchen klettern unter die Wäsche und beißen, ohne daß man


Die Rodia

sah im Auge meiner Kmveni eine Träne. Das ist das schlimmste an meinem
Schicksal: ich werde schlecht!"

Ich wollte antworten, trösten, aber er unterbrach mich. „Was du auch
sagen willst, es ist alles umsonst. Mein Schicksal muß ich tragen, und zwar
allein. Darum bitte ich dich, suche mich nicht mehr auf. Ich würde weglaufen.
Soweit bin ich schon Rodia geworden, daß auch ich jetzt Scheu und Scham
vor anderen Menschen habe. Doch verspreche ich dir, ich will, so schwer es
mir auch werden mag, von Zeit zu Zeit zu dir kommen. Und nun lebe wohl."

Und ehe ich noch etwas sagen konnte, war er raschen Schrittes zwischen
den Bäumen verschwunden.

Widschaja hielt Wort. Aber nur sehr selten kam er zu mir, und wenn
er mich aufsuchte und wenige Worte mit mir sprach, stimmte es mich traurig.
Teun jedesmal spürte auch ich es mehr, daß mein singhalesischer Freund
herunterkam. Die mit Verachtung gesättigte Rodialuft brachte auch ihn all¬
mählich zur Selbstverachtung, und der Ekel, den er vor seiner Umgebung
empfand, zerstörte das Gleichgewicht seiner Seele. Seine frühere schöne Ruhe,
getragen durch das Selbstbewußtsein edlen Blutes, sein wirklich vornehmes
Wesen, das er sich und seiner Abstammung schuldig zu sein glaubte, alles war
dahin. Er war zerfahren und voll Unruhe geworden. Wenn er von seinem
Elend erzählte, konnte er heftig werden, und seine Stimme wurde gellend. So
vermochte zwischen uns die frühere Harmonie nicht mehr auszukommen. Und
sein Stolz, der immer wieder stoßweise und oft fast unheimlich aus der Selbst-
verachtung aufflammte, sagte ihm, daß seine Gegenwart auch für mich nieder¬
drückend war, denn nach einiger Zeit blieb er ganz fort. Zweimal versuchte
ich trotz seiner Ablehnung ihn in seiner Hütte aufzusuchen, aber er schämte sich
offenbar, mich in sein Elend blicken zu lassen, und versteckte sich wie die anderen.
Ich zog unverrichteter Sache ab und fand mich endlich darein, Widschaja seinem
traurigen Schicksal überlassen zu müssen.

Es war ungefähr ein Jahr seit jener verhängnisvollen Nacht vergangen,
als ich an einen: Nachmittage wieder einmal zur Flinte griff, um ein Krokodil
zu schießen. Sie werden es als Zoologe wissen, daß diese trägen Bestien,
denen es auch hier so nahe am Äquator noch nicht heiß genug zu sein scheint,
erst wenn die Sonne am stärksten brennt, das Wasser verlassend Sie legen sich
dann am Ufer nieder, um sich die prallen Strahlen auf den geschuppten Rücken
brennen zu lassen.

Ich trat nahe meiner Pflanzung vom Wege herunter. Hier dehnte sich
noch eine schmale Wiese bis zum Flusse aus, um im weiteren Verlaufe des
Weges spitz zu enden. Ich schritt durch das hohe Gras und setzte mich am
Wasser auf einen großen von Schilf umgebenen Stein. Denn im Grase konnte
ich mich nicht verstecken, weil dort sofort von allen Seiten die Landblutegel
herbeigckrochen wären. Sie kennen ja diese Plage Ceylons; die spanuer-
raupenähnlichen Tierchen klettern unter die Wäsche und beißen, ohne daß man


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[0132] Die Rodia sah im Auge meiner Kmveni eine Träne. Das ist das schlimmste an meinem Schicksal: ich werde schlecht!" Ich wollte antworten, trösten, aber er unterbrach mich. „Was du auch sagen willst, es ist alles umsonst. Mein Schicksal muß ich tragen, und zwar allein. Darum bitte ich dich, suche mich nicht mehr auf. Ich würde weglaufen. Soweit bin ich schon Rodia geworden, daß auch ich jetzt Scheu und Scham vor anderen Menschen habe. Doch verspreche ich dir, ich will, so schwer es mir auch werden mag, von Zeit zu Zeit zu dir kommen. Und nun lebe wohl." Und ehe ich noch etwas sagen konnte, war er raschen Schrittes zwischen den Bäumen verschwunden. Widschaja hielt Wort. Aber nur sehr selten kam er zu mir, und wenn er mich aufsuchte und wenige Worte mit mir sprach, stimmte es mich traurig. Teun jedesmal spürte auch ich es mehr, daß mein singhalesischer Freund herunterkam. Die mit Verachtung gesättigte Rodialuft brachte auch ihn all¬ mählich zur Selbstverachtung, und der Ekel, den er vor seiner Umgebung empfand, zerstörte das Gleichgewicht seiner Seele. Seine frühere schöne Ruhe, getragen durch das Selbstbewußtsein edlen Blutes, sein wirklich vornehmes Wesen, das er sich und seiner Abstammung schuldig zu sein glaubte, alles war dahin. Er war zerfahren und voll Unruhe geworden. Wenn er von seinem Elend erzählte, konnte er heftig werden, und seine Stimme wurde gellend. So vermochte zwischen uns die frühere Harmonie nicht mehr auszukommen. Und sein Stolz, der immer wieder stoßweise und oft fast unheimlich aus der Selbst- verachtung aufflammte, sagte ihm, daß seine Gegenwart auch für mich nieder¬ drückend war, denn nach einiger Zeit blieb er ganz fort. Zweimal versuchte ich trotz seiner Ablehnung ihn in seiner Hütte aufzusuchen, aber er schämte sich offenbar, mich in sein Elend blicken zu lassen, und versteckte sich wie die anderen. Ich zog unverrichteter Sache ab und fand mich endlich darein, Widschaja seinem traurigen Schicksal überlassen zu müssen. Es war ungefähr ein Jahr seit jener verhängnisvollen Nacht vergangen, als ich an einen: Nachmittage wieder einmal zur Flinte griff, um ein Krokodil zu schießen. Sie werden es als Zoologe wissen, daß diese trägen Bestien, denen es auch hier so nahe am Äquator noch nicht heiß genug zu sein scheint, erst wenn die Sonne am stärksten brennt, das Wasser verlassend Sie legen sich dann am Ufer nieder, um sich die prallen Strahlen auf den geschuppten Rücken brennen zu lassen. Ich trat nahe meiner Pflanzung vom Wege herunter. Hier dehnte sich noch eine schmale Wiese bis zum Flusse aus, um im weiteren Verlaufe des Weges spitz zu enden. Ich schritt durch das hohe Gras und setzte mich am Wasser auf einen großen von Schilf umgebenen Stein. Denn im Grase konnte ich mich nicht verstecken, weil dort sofort von allen Seiten die Landblutegel herbeigckrochen wären. Sie kennen ja diese Plage Ceylons; die spanuer- raupenähnlichen Tierchen klettern unter die Wäsche und beißen, ohne daß man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/132>, abgerufen am 27.07.2024.