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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Aodia

dadurch sogar noch höher als vorher, sah er mich wieder voll an und
erwiderte:

"Nein, Herr, ich bin gesunken. Ob mit, ob ohne Schuld, ich stehe tiefer
als vorher. Ich bin wie der Fisch des großen Stromes, der in einen engen
Teich geworfen ist. Er fühlt sich nicht mehr frei, er kann sich nicht recht regen,
ist nicht in seinem Element. So ist auch mir, als ob ich nicht mehr atmen könnte."

"Aber deine Kuweni?"

"Ich tat nicht recht, als ich ihr diesen Namen gab. Es war ein schlimmes
Vorzeichen. Jene erste Kuweni machte ihren Gatten zwar nicht zum Verachteten,
sondern sie wurde emporgehoben, wurde Herrscherin. Aber König Widschaja
konnte sich doch nicht an der Seite einer Frau wohl fühlen, die zu einem tief
unter dem seinen stehenden Volke gehörte. Er verstieß seine Gattin und freite
eine andere von gleichem Rang und Blut. Und Kuweni nahm Wohnung auf
einem hohen Berg bei Kurunegalla und flehte Tag und Nacht die Rache ihrer
Götter auf den Ungetreuen herab."

"Aber du wirst doch deine Kuweni nicht verstoßen?"

"Nein," sagte er fest, "das werde ich nicht. Zuerst schlug mich ihr Körper
in Fesseln, nun fühle ich mich auch zu ihrer Seele hingezogen. Ein reineres,
unberührteres Mädchengemüt kann es nicht geben. Kein Wort des Zornes geht
je von ihren Lippen. Sie verehrt mich wie einen Gott. Jedes freundliche
Wort, das ich ihr sage, jede Liebkosung nimmt sie wie ein Geschenk entgegen,
und ihre großen Augen verklären sich dann in strahlendem Dank. Vom ersten
Sonnenstrahl bis zum letzten arbeitet, denkt sie für mich. Es müßte wunderbar
sein, diese Knospe zu pflegen, bis sie zur Blüte wird und Frucht bringt. Aber
ich bin nicht der Gärtner dafür."

"Und warum nicht, Widschaja," fragte ich.

"Ich habe versucht, sie zu lehren." erwiderte er, "aber nur kurze Zeit ging
es, dann versagte mir die Kraft. Wenn Lehre Frucht bringen soll, muß zuerst
der Lehrer seinen Geist frei entfalten können, aber auf meine Seele drückt die
Rodiaumgebung. Ich liebe Kuweni wirklich, aber manchmal stößt es mich selbst
von ihr mitten in einer Liebkosung zurück. In mir fließt eben das Blut der
höchsten Kaste, und diesem muß die Abneigung gegen Rodiablut eingeboren sein.
Ich habe mir Mühe gegeben, es zu überwinden, aber ich kann nicht, ich
kann nicht!"

Seine Stimme verschleierte sich, er wandte sich ab. Plötzlich sprang er auf.

"Und die Eltern, die vermag ich nicht zu sehenI Ja, auch sie verehren
mich, tun was ich will ehe ich es noch gesagt habe, aber ihnen gegenüber, wo
die Liebe fehlt, ist mein Rodiaekel unbezähmbar. Wenn ich sie nur von fern
erblicke, zieht Abneigung in mir ein, und sind sie gar nahe, so ist mir die
Kehle wie zugeschnürt. Ich kann dann nicht arbeiten, nicht essen, alles drängt
in mir, sie fortzustoßen, weg. aus meinen Augen! Manches heftige, ungerechte
Wort habe ich ihnen schon zugeschleudert, sie sind dann still gegangen, und ich


Die Aodia

dadurch sogar noch höher als vorher, sah er mich wieder voll an und
erwiderte:

„Nein, Herr, ich bin gesunken. Ob mit, ob ohne Schuld, ich stehe tiefer
als vorher. Ich bin wie der Fisch des großen Stromes, der in einen engen
Teich geworfen ist. Er fühlt sich nicht mehr frei, er kann sich nicht recht regen,
ist nicht in seinem Element. So ist auch mir, als ob ich nicht mehr atmen könnte."

„Aber deine Kuweni?"

„Ich tat nicht recht, als ich ihr diesen Namen gab. Es war ein schlimmes
Vorzeichen. Jene erste Kuweni machte ihren Gatten zwar nicht zum Verachteten,
sondern sie wurde emporgehoben, wurde Herrscherin. Aber König Widschaja
konnte sich doch nicht an der Seite einer Frau wohl fühlen, die zu einem tief
unter dem seinen stehenden Volke gehörte. Er verstieß seine Gattin und freite
eine andere von gleichem Rang und Blut. Und Kuweni nahm Wohnung auf
einem hohen Berg bei Kurunegalla und flehte Tag und Nacht die Rache ihrer
Götter auf den Ungetreuen herab."

„Aber du wirst doch deine Kuweni nicht verstoßen?"

„Nein," sagte er fest, „das werde ich nicht. Zuerst schlug mich ihr Körper
in Fesseln, nun fühle ich mich auch zu ihrer Seele hingezogen. Ein reineres,
unberührteres Mädchengemüt kann es nicht geben. Kein Wort des Zornes geht
je von ihren Lippen. Sie verehrt mich wie einen Gott. Jedes freundliche
Wort, das ich ihr sage, jede Liebkosung nimmt sie wie ein Geschenk entgegen,
und ihre großen Augen verklären sich dann in strahlendem Dank. Vom ersten
Sonnenstrahl bis zum letzten arbeitet, denkt sie für mich. Es müßte wunderbar
sein, diese Knospe zu pflegen, bis sie zur Blüte wird und Frucht bringt. Aber
ich bin nicht der Gärtner dafür."

„Und warum nicht, Widschaja," fragte ich.

„Ich habe versucht, sie zu lehren." erwiderte er, „aber nur kurze Zeit ging
es, dann versagte mir die Kraft. Wenn Lehre Frucht bringen soll, muß zuerst
der Lehrer seinen Geist frei entfalten können, aber auf meine Seele drückt die
Rodiaumgebung. Ich liebe Kuweni wirklich, aber manchmal stößt es mich selbst
von ihr mitten in einer Liebkosung zurück. In mir fließt eben das Blut der
höchsten Kaste, und diesem muß die Abneigung gegen Rodiablut eingeboren sein.
Ich habe mir Mühe gegeben, es zu überwinden, aber ich kann nicht, ich
kann nicht!"

Seine Stimme verschleierte sich, er wandte sich ab. Plötzlich sprang er auf.

„Und die Eltern, die vermag ich nicht zu sehenI Ja, auch sie verehren
mich, tun was ich will ehe ich es noch gesagt habe, aber ihnen gegenüber, wo
die Liebe fehlt, ist mein Rodiaekel unbezähmbar. Wenn ich sie nur von fern
erblicke, zieht Abneigung in mir ein, und sind sie gar nahe, so ist mir die
Kehle wie zugeschnürt. Ich kann dann nicht arbeiten, nicht essen, alles drängt
in mir, sie fortzustoßen, weg. aus meinen Augen! Manches heftige, ungerechte
Wort habe ich ihnen schon zugeschleudert, sie sind dann still gegangen, und ich


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[0131] Die Aodia dadurch sogar noch höher als vorher, sah er mich wieder voll an und erwiderte: „Nein, Herr, ich bin gesunken. Ob mit, ob ohne Schuld, ich stehe tiefer als vorher. Ich bin wie der Fisch des großen Stromes, der in einen engen Teich geworfen ist. Er fühlt sich nicht mehr frei, er kann sich nicht recht regen, ist nicht in seinem Element. So ist auch mir, als ob ich nicht mehr atmen könnte." „Aber deine Kuweni?" „Ich tat nicht recht, als ich ihr diesen Namen gab. Es war ein schlimmes Vorzeichen. Jene erste Kuweni machte ihren Gatten zwar nicht zum Verachteten, sondern sie wurde emporgehoben, wurde Herrscherin. Aber König Widschaja konnte sich doch nicht an der Seite einer Frau wohl fühlen, die zu einem tief unter dem seinen stehenden Volke gehörte. Er verstieß seine Gattin und freite eine andere von gleichem Rang und Blut. Und Kuweni nahm Wohnung auf einem hohen Berg bei Kurunegalla und flehte Tag und Nacht die Rache ihrer Götter auf den Ungetreuen herab." „Aber du wirst doch deine Kuweni nicht verstoßen?" „Nein," sagte er fest, „das werde ich nicht. Zuerst schlug mich ihr Körper in Fesseln, nun fühle ich mich auch zu ihrer Seele hingezogen. Ein reineres, unberührteres Mädchengemüt kann es nicht geben. Kein Wort des Zornes geht je von ihren Lippen. Sie verehrt mich wie einen Gott. Jedes freundliche Wort, das ich ihr sage, jede Liebkosung nimmt sie wie ein Geschenk entgegen, und ihre großen Augen verklären sich dann in strahlendem Dank. Vom ersten Sonnenstrahl bis zum letzten arbeitet, denkt sie für mich. Es müßte wunderbar sein, diese Knospe zu pflegen, bis sie zur Blüte wird und Frucht bringt. Aber ich bin nicht der Gärtner dafür." „Und warum nicht, Widschaja," fragte ich. „Ich habe versucht, sie zu lehren." erwiderte er, „aber nur kurze Zeit ging es, dann versagte mir die Kraft. Wenn Lehre Frucht bringen soll, muß zuerst der Lehrer seinen Geist frei entfalten können, aber auf meine Seele drückt die Rodiaumgebung. Ich liebe Kuweni wirklich, aber manchmal stößt es mich selbst von ihr mitten in einer Liebkosung zurück. In mir fließt eben das Blut der höchsten Kaste, und diesem muß die Abneigung gegen Rodiablut eingeboren sein. Ich habe mir Mühe gegeben, es zu überwinden, aber ich kann nicht, ich kann nicht!" Seine Stimme verschleierte sich, er wandte sich ab. Plötzlich sprang er auf. „Und die Eltern, die vermag ich nicht zu sehenI Ja, auch sie verehren mich, tun was ich will ehe ich es noch gesagt habe, aber ihnen gegenüber, wo die Liebe fehlt, ist mein Rodiaekel unbezähmbar. Wenn ich sie nur von fern erblicke, zieht Abneigung in mir ein, und sind sie gar nahe, so ist mir die Kehle wie zugeschnürt. Ich kann dann nicht arbeiten, nicht essen, alles drängt in mir, sie fortzustoßen, weg. aus meinen Augen! Manches heftige, ungerechte Wort habe ich ihnen schon zugeschleudert, sie sind dann still gegangen, und ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/131>, abgerufen am 27.07.2024.