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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Rodia

Ast ein langer Farnbüschel herunternickte. Die hereinfallenden Sonnenstrahlen
verliehen dem freundlichen Waldbilde lichtvolle Klarheit und zarten Duft.
Große schwarzblaue Schmetterlinge flogen über den Pfad, eine Affenherde schwang
sich an den Lianen vorüber, ihr dumpfes "hun hun" verklang in der Ferne.
Von allen Seiten tönte durch die sonnige Einsamkeit der trommelnde Gesang
des grünen Vogels, den die Singhalesen Kotoruwa nennen, das Gurren der
Waldtauben und das kecke Krähen des Dschcmgelhahnes. In der Bewunderung
des reichen, immer wieder von neuem interessanten Tierlebens hatte ich den
Zweck meines Ganges fast vergessen, als plötzlich, es konnte nur noch wenige
Schritte von der Lichtung sein, Widschaja mir entgegentrat.

"Geh nicht weiter, Herr," sagte er, mir die Hand reichend, "die Leute in
der Hütte sind scheu wie die Tiere des Waldes. Ein Fremder erschreckt sie,
denn sie sind es gewohnt, in jedem einen Feind und Verfolger zu sehen. Kehre
wieder um, ich werde dich begleiten."

Ich wandte mich und ging voran, Widschaja folgte, denn ein Nebeneinander
erlaubte die Enge des Weges nicht, auf dem man sich überdies vor den her¬
überhängenden stacheltragenden Blattgeißeln der Rotanglianen zu hüten hatte.
Nur kurze Fragen und Antworten konnten daher zwischen uns fallen. Aus
ihnen erfuhr ich, daß in der Urwaldhütte außer Widschaja und Kuweni nur
noch deren Eltern wohnten. Zu essen bot der kleinen Familie das Gärtchen
auf der Lichtung und der Wald. Dazu verstand Kuwenis Mutter Körbe zu
flechten, während der Vater aus Eben- und Eisenholz, das im Walde wuchs,
kleine Elefanten und andere Schnitzereien fertigte. War von beiden eine gewisse
Anzahl beisammen, so brach er nach Mitternacht auf, durchschritt das Dorf,
während alles schlief, und wanderte weiter bis Galle, wo er an indoarabische
Händler seine Sachen verkaufte, um dann das wenige, was der kleinen Familie
noch fehlte, sich zu besorgen. Viel war es ja nicht, was die bedürfnislosen
Leute brauchten, vor allem Reis, dazu als Würze kleine gesalzene Fischchen,
dann Töpfe und von Zeit zu Zeit ein neues Rocktuch.

Unterdessen waren wir aus dem Walde herausgekommen. Ich trat Widschaja
an die Seite und wir schritten zusammen bis zu einer Bank, die am Beginn
meiner Pflanzung stand; auf diese setzten wir uns. Jetzt, wo ich meinen
singhalesischen Freund voll anschauen konnte, fiel mir auf, daß er sich verändert
hatte. Zwar trug er wieder das Rocktuch und die weiße Jacke, aber das Haar
war nicht mehr so peinlich geordnet wie früher und vor allem war der Blick
unstät geworden. Widschaja vermied es, mich anzusehen.

Zuerst war er wortkarg und gab nur kurze Antworten. Das Zusammen¬
sein mit mir, mit dem er früher als geachteter Singhalese hoher Kaste verkehrt
hatte, war ihm offenbar in seiner jetzigen Lage peinlich. Aber allmählich
wurde er wärmer. Er spürte, daß ich ihm noch gerade so freundlich gesinnt
war wie früher. Und als ich, um ihn heiterer zu stimmen, frei heraussagte,
er sei durch eine edle Tat zu den Nodias gekommen, und für mich stünde er


Die Rodia

Ast ein langer Farnbüschel herunternickte. Die hereinfallenden Sonnenstrahlen
verliehen dem freundlichen Waldbilde lichtvolle Klarheit und zarten Duft.
Große schwarzblaue Schmetterlinge flogen über den Pfad, eine Affenherde schwang
sich an den Lianen vorüber, ihr dumpfes „hun hun" verklang in der Ferne.
Von allen Seiten tönte durch die sonnige Einsamkeit der trommelnde Gesang
des grünen Vogels, den die Singhalesen Kotoruwa nennen, das Gurren der
Waldtauben und das kecke Krähen des Dschcmgelhahnes. In der Bewunderung
des reichen, immer wieder von neuem interessanten Tierlebens hatte ich den
Zweck meines Ganges fast vergessen, als plötzlich, es konnte nur noch wenige
Schritte von der Lichtung sein, Widschaja mir entgegentrat.

„Geh nicht weiter, Herr," sagte er, mir die Hand reichend, „die Leute in
der Hütte sind scheu wie die Tiere des Waldes. Ein Fremder erschreckt sie,
denn sie sind es gewohnt, in jedem einen Feind und Verfolger zu sehen. Kehre
wieder um, ich werde dich begleiten."

Ich wandte mich und ging voran, Widschaja folgte, denn ein Nebeneinander
erlaubte die Enge des Weges nicht, auf dem man sich überdies vor den her¬
überhängenden stacheltragenden Blattgeißeln der Rotanglianen zu hüten hatte.
Nur kurze Fragen und Antworten konnten daher zwischen uns fallen. Aus
ihnen erfuhr ich, daß in der Urwaldhütte außer Widschaja und Kuweni nur
noch deren Eltern wohnten. Zu essen bot der kleinen Familie das Gärtchen
auf der Lichtung und der Wald. Dazu verstand Kuwenis Mutter Körbe zu
flechten, während der Vater aus Eben- und Eisenholz, das im Walde wuchs,
kleine Elefanten und andere Schnitzereien fertigte. War von beiden eine gewisse
Anzahl beisammen, so brach er nach Mitternacht auf, durchschritt das Dorf,
während alles schlief, und wanderte weiter bis Galle, wo er an indoarabische
Händler seine Sachen verkaufte, um dann das wenige, was der kleinen Familie
noch fehlte, sich zu besorgen. Viel war es ja nicht, was die bedürfnislosen
Leute brauchten, vor allem Reis, dazu als Würze kleine gesalzene Fischchen,
dann Töpfe und von Zeit zu Zeit ein neues Rocktuch.

Unterdessen waren wir aus dem Walde herausgekommen. Ich trat Widschaja
an die Seite und wir schritten zusammen bis zu einer Bank, die am Beginn
meiner Pflanzung stand; auf diese setzten wir uns. Jetzt, wo ich meinen
singhalesischen Freund voll anschauen konnte, fiel mir auf, daß er sich verändert
hatte. Zwar trug er wieder das Rocktuch und die weiße Jacke, aber das Haar
war nicht mehr so peinlich geordnet wie früher und vor allem war der Blick
unstät geworden. Widschaja vermied es, mich anzusehen.

Zuerst war er wortkarg und gab nur kurze Antworten. Das Zusammen¬
sein mit mir, mit dem er früher als geachteter Singhalese hoher Kaste verkehrt
hatte, war ihm offenbar in seiner jetzigen Lage peinlich. Aber allmählich
wurde er wärmer. Er spürte, daß ich ihm noch gerade so freundlich gesinnt
war wie früher. Und als ich, um ihn heiterer zu stimmen, frei heraussagte,
er sei durch eine edle Tat zu den Nodias gekommen, und für mich stünde er


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[0130] Die Rodia Ast ein langer Farnbüschel herunternickte. Die hereinfallenden Sonnenstrahlen verliehen dem freundlichen Waldbilde lichtvolle Klarheit und zarten Duft. Große schwarzblaue Schmetterlinge flogen über den Pfad, eine Affenherde schwang sich an den Lianen vorüber, ihr dumpfes „hun hun" verklang in der Ferne. Von allen Seiten tönte durch die sonnige Einsamkeit der trommelnde Gesang des grünen Vogels, den die Singhalesen Kotoruwa nennen, das Gurren der Waldtauben und das kecke Krähen des Dschcmgelhahnes. In der Bewunderung des reichen, immer wieder von neuem interessanten Tierlebens hatte ich den Zweck meines Ganges fast vergessen, als plötzlich, es konnte nur noch wenige Schritte von der Lichtung sein, Widschaja mir entgegentrat. „Geh nicht weiter, Herr," sagte er, mir die Hand reichend, „die Leute in der Hütte sind scheu wie die Tiere des Waldes. Ein Fremder erschreckt sie, denn sie sind es gewohnt, in jedem einen Feind und Verfolger zu sehen. Kehre wieder um, ich werde dich begleiten." Ich wandte mich und ging voran, Widschaja folgte, denn ein Nebeneinander erlaubte die Enge des Weges nicht, auf dem man sich überdies vor den her¬ überhängenden stacheltragenden Blattgeißeln der Rotanglianen zu hüten hatte. Nur kurze Fragen und Antworten konnten daher zwischen uns fallen. Aus ihnen erfuhr ich, daß in der Urwaldhütte außer Widschaja und Kuweni nur noch deren Eltern wohnten. Zu essen bot der kleinen Familie das Gärtchen auf der Lichtung und der Wald. Dazu verstand Kuwenis Mutter Körbe zu flechten, während der Vater aus Eben- und Eisenholz, das im Walde wuchs, kleine Elefanten und andere Schnitzereien fertigte. War von beiden eine gewisse Anzahl beisammen, so brach er nach Mitternacht auf, durchschritt das Dorf, während alles schlief, und wanderte weiter bis Galle, wo er an indoarabische Händler seine Sachen verkaufte, um dann das wenige, was der kleinen Familie noch fehlte, sich zu besorgen. Viel war es ja nicht, was die bedürfnislosen Leute brauchten, vor allem Reis, dazu als Würze kleine gesalzene Fischchen, dann Töpfe und von Zeit zu Zeit ein neues Rocktuch. Unterdessen waren wir aus dem Walde herausgekommen. Ich trat Widschaja an die Seite und wir schritten zusammen bis zu einer Bank, die am Beginn meiner Pflanzung stand; auf diese setzten wir uns. Jetzt, wo ich meinen singhalesischen Freund voll anschauen konnte, fiel mir auf, daß er sich verändert hatte. Zwar trug er wieder das Rocktuch und die weiße Jacke, aber das Haar war nicht mehr so peinlich geordnet wie früher und vor allem war der Blick unstät geworden. Widschaja vermied es, mich anzusehen. Zuerst war er wortkarg und gab nur kurze Antworten. Das Zusammen¬ sein mit mir, mit dem er früher als geachteter Singhalese hoher Kaste verkehrt hatte, war ihm offenbar in seiner jetzigen Lage peinlich. Aber allmählich wurde er wärmer. Er spürte, daß ich ihm noch gerade so freundlich gesinnt war wie früher. Und als ich, um ihn heiterer zu stimmen, frei heraussagte, er sei durch eine edle Tat zu den Nodias gekommen, und für mich stünde er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/130>, abgerufen am 27.07.2024.