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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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vom llriego?

In dieser Beobachtung wurzelt wohl auch die große Frage, die seit Christi
Geburt immer wieder auftaucht und ihrer Lösung harrt: warum denn über¬
haupt ein Krieg? Der ewige Friede ist das Menschheitsideal! In obigem
Satz hätten wir doch die Erklärung dafür, wie denn eigentlich der Gedanke des
Weltfriedens in die Menschheit hineinkommen konnte. Denn wo der Krieg sich
selbst verzehrt, muß er ein krankhaftes Gebilde sein. Begrifflich wird sich wenig
gegen diese Schlußfolgerung einwenden lassen. Aber der Krieg ist eben kein
Ding an sich, sondern wie Clausewitz auseinandersetzt, "gehört der Krieg nicht
in das Gebiet der Kunst- und Wissenschaften, sondern in das Gebiet des gesell¬
schaftlichen Lebens. Er ist ein Konflikt großer Interessen, der sich blutig löst
und nur darin ist er von den anderen verschieden." Schaffe die Interessen
aus der Welt und der Krieg als Element ist tot. Ebenso tot ist dann aber
auch der Friede. Denn der Friede ist ebensowenig ein Ding an sich wie der
Krieg; auch der Friede ist ein Akt des gesellschaftlichen Verkehrs; auch er trägt
seine eigenen Vernichtungskeime mit sich und in sich herum. Wie es im Kriege
einen Stillstand geben nutz, obwohl ein solcher theoretisch widersinnig sein
müßte, -- Clausewitz weist die Notwendigkeit wundervoll nach -- so ist der
Friede der Stillstand im kriegerischen Akt des Weltverkehrs. Das Urelement
des Lebens ist der Kampf, die Tendenz der gegenseitigen Vernichtung; die
Liebe ist das "ermäßigende Prinzip", das den Kampf hindert, sich dem
"Äußersten, dem Absoluten" zu nähern. Kampf und Liebe stehen in "Wechsel¬
wirkung" zueinander. "Denn so bald du dies nicht hast, dieses Stirb und
Werde," singt Goethe und vertritt damit sinngemäß den Clausewitzschen Ver¬
nichtungsgedanken im Kriege.

Und obwohl der Krieg stets hinter seinem absoluten Zweck zurückbleibt, so
muß doch der Wille zur Vernichtung vorherrschen, soll derKricg nur annähernd seinen
Zweck erreichen. Es ist also der Wille die Triebkraft, "um den Gegner zur
Erfüllung unseres Willens zu zwingen." So bestätigt Clausewitz die Wundtsche
Psychologie, die behauptet, daß der Wille die zentrale Funktion des Seelen¬
lebens sei, und er bestätigt den metaphysischen Voluntarismus eines Schopen¬
hauer und E. v. Hartmann, wonach das äußere Sein und Geschehen als
objektivierte Erscheinung einer einheitlichen Willenstätigkeit zu betrachten sei.

Clausewitz selbst freilich zieht diese Schlußfolgerungen in dieser Allgemeinheit
nicht, sondern nur insoweit, als sie sich auf den Krieg beziehen. Sie werden
in diesem Aufsatz aber erwähnt und erweitert, um auf die Tiefe der Gedanken
und auf die schier endlose Verwendbarkeit des Materials hinzuweisen, das in
der "Theorie vom Kriege" steckt. Eigentlich wäre doch diese vervielfältigte An¬
wendung das Natürlichste, das man sich denken kann. Denn will man über¬
haupt aus der Welt der Erscheinungen und Erfahrungen ihr Wesen, ihren Gott
erkennen, so muß sich doch das Geheimnis dort am deutlichsten offenbaren, wo
Mensch oder Volk oder Rasse um Tod und Leben kämpft, wo Vernunft und
Empfindung, wo Geist und Materie in ihrer Urkraft in die Erscheinung treten


vom llriego?

In dieser Beobachtung wurzelt wohl auch die große Frage, die seit Christi
Geburt immer wieder auftaucht und ihrer Lösung harrt: warum denn über¬
haupt ein Krieg? Der ewige Friede ist das Menschheitsideal! In obigem
Satz hätten wir doch die Erklärung dafür, wie denn eigentlich der Gedanke des
Weltfriedens in die Menschheit hineinkommen konnte. Denn wo der Krieg sich
selbst verzehrt, muß er ein krankhaftes Gebilde sein. Begrifflich wird sich wenig
gegen diese Schlußfolgerung einwenden lassen. Aber der Krieg ist eben kein
Ding an sich, sondern wie Clausewitz auseinandersetzt, „gehört der Krieg nicht
in das Gebiet der Kunst- und Wissenschaften, sondern in das Gebiet des gesell¬
schaftlichen Lebens. Er ist ein Konflikt großer Interessen, der sich blutig löst
und nur darin ist er von den anderen verschieden." Schaffe die Interessen
aus der Welt und der Krieg als Element ist tot. Ebenso tot ist dann aber
auch der Friede. Denn der Friede ist ebensowenig ein Ding an sich wie der
Krieg; auch der Friede ist ein Akt des gesellschaftlichen Verkehrs; auch er trägt
seine eigenen Vernichtungskeime mit sich und in sich herum. Wie es im Kriege
einen Stillstand geben nutz, obwohl ein solcher theoretisch widersinnig sein
müßte, — Clausewitz weist die Notwendigkeit wundervoll nach — so ist der
Friede der Stillstand im kriegerischen Akt des Weltverkehrs. Das Urelement
des Lebens ist der Kampf, die Tendenz der gegenseitigen Vernichtung; die
Liebe ist das „ermäßigende Prinzip", das den Kampf hindert, sich dem
„Äußersten, dem Absoluten" zu nähern. Kampf und Liebe stehen in „Wechsel¬
wirkung" zueinander. „Denn so bald du dies nicht hast, dieses Stirb und
Werde," singt Goethe und vertritt damit sinngemäß den Clausewitzschen Ver¬
nichtungsgedanken im Kriege.

Und obwohl der Krieg stets hinter seinem absoluten Zweck zurückbleibt, so
muß doch der Wille zur Vernichtung vorherrschen, soll derKricg nur annähernd seinen
Zweck erreichen. Es ist also der Wille die Triebkraft, „um den Gegner zur
Erfüllung unseres Willens zu zwingen." So bestätigt Clausewitz die Wundtsche
Psychologie, die behauptet, daß der Wille die zentrale Funktion des Seelen¬
lebens sei, und er bestätigt den metaphysischen Voluntarismus eines Schopen¬
hauer und E. v. Hartmann, wonach das äußere Sein und Geschehen als
objektivierte Erscheinung einer einheitlichen Willenstätigkeit zu betrachten sei.

Clausewitz selbst freilich zieht diese Schlußfolgerungen in dieser Allgemeinheit
nicht, sondern nur insoweit, als sie sich auf den Krieg beziehen. Sie werden
in diesem Aufsatz aber erwähnt und erweitert, um auf die Tiefe der Gedanken
und auf die schier endlose Verwendbarkeit des Materials hinzuweisen, das in
der „Theorie vom Kriege" steckt. Eigentlich wäre doch diese vervielfältigte An¬
wendung das Natürlichste, das man sich denken kann. Denn will man über¬
haupt aus der Welt der Erscheinungen und Erfahrungen ihr Wesen, ihren Gott
erkennen, so muß sich doch das Geheimnis dort am deutlichsten offenbaren, wo
Mensch oder Volk oder Rasse um Tod und Leben kämpft, wo Vernunft und
Empfindung, wo Geist und Materie in ihrer Urkraft in die Erscheinung treten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/126>, abgerufen am 22.12.2024.