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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Begriffe und Vorstellungen." Dieser Satz durchzieht wie ein Leitmotiv das
ganze Werk, den er mit der zähen Konsequenz eines großen Geistes verfolgt,
ohne ihm jemals untreu zu werden.

In weiser Beschränkung verliert er sich nie in einem Gedanken bis zu
dessen Unendlichkeit, wie es so gern Halbphilosophen tun, die dann den Boden
unter den Füßen verlieren, sondern immer wieder vergleicht er ihn mit der
Wirklichkeit und stutzt ihm die Flügel, damit er menschlich brauchbar werde.
Wie der Physiker oder Phnsiologe betrachtet er sinnend die Mannigfaltigkeit
der Erscheinungen, um ihre Ursachen und Wirkungen zu enträtseln und ihre
Zusammenhänge festzustellen, bis er das ihnen gemeinsame Grundgesetz gefunden.

Clausewitz verwahrt sich ganz ausdrücklich dagegen, daß er eine Lehre vom
Kriege habe schreiben wollen, aus der man sich etwa mathematisch sein Handeln
errechnen könne. Es ist somit kein Buch, das lediglich den Soldaten interessieren
könne, sondern aus seinem Inhalt kann die ganze Menschheit lernen. Jeder
wird vielerlei Brauchbares für sich darin finden.

Dem Begriff nach "ist der Krieg ein Akt der Gewalt, um den Gegner
zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen. Soll dieser Zweck in seinem
ganzen Umfange erreicht werden, muß der Gegner wehrlos, d. h. vernichtet
werden. So kann es in der Anwendung der Gewalt keine Grenzen geben;
theoretisch muß also der Krieg zum Äußersten führen. Dies ist nun aber in
Wirklichkeit niemals der Fall; der Krieg bleibt in seinem Zweck immer hinter
dem Absoluten zurück"; er trägt in sich selbst seine eigenen Vernichtungskeime,
deren hauptsächlichster der ist, daß der Krieg eben kein Ding an sich ist, "kein
isolierter Akt", sondern in Wirklichkeit "eine bloße Fortsetzung der Politik mit
anderen Mitteln; er ist ein politisches Instrument". Soll dieses aber wiederum
zweckerfüllend gebraucht werden, muß der Krieg "unter seinem Begriff wie unter
einem höchsten Gesetz stehen"; d.h. der Krieg muß in der Idee den Gegner ab¬
solut vernichten wollen, obgleich er dies niemals aus sich heraus erreichen wird.

Dieser Gedanke wird in dem ersten Buch, das über "die Natur des
Krieges" handelt, in streng logischer Tiefe und überzeugend allgemeinverständ¬
licher Darstellungsweise von allen Seiten beleuchtet, entwickelt und als End¬
ergebnis unwiderleglich hingestellt.

Wenn man nun meint, daß dieses Gesetz und dessen Begründung nur
sür den Soldaten Wichtigkeit habe, so betrachtet man mit dieser Meinung
lediglich die eine Seite des Gedankens. Genauer besehen, ist er von ganz
allgemeiner und tief in alle Lebensverhältnisse eingreifender Bedeutung. Schon
derjenige, der die kriegerischen Verwicklungen und Abwicklungen der neuesten
Zeit mit Aufmerksamkeit verfolgt, wird ihn mit Vorteil gebrauchen können,
will er Übersicht und Klarheit gewinnen über diese wichtigste der menschlichen Hand¬
lungen. Der russisch-japanische Krieg und der jetzige Balkankrieg wird ihm in seinem
Endresultat verständlich erscheinen. Denn keins der beteiligten Völker ist vernichtet
worden und wird vernichtet werden, obwohl die Tendenz dazu unstreitig vorlag.


Grenzbulen II 1918 6
vom Aru'ge?

Begriffe und Vorstellungen." Dieser Satz durchzieht wie ein Leitmotiv das
ganze Werk, den er mit der zähen Konsequenz eines großen Geistes verfolgt,
ohne ihm jemals untreu zu werden.

In weiser Beschränkung verliert er sich nie in einem Gedanken bis zu
dessen Unendlichkeit, wie es so gern Halbphilosophen tun, die dann den Boden
unter den Füßen verlieren, sondern immer wieder vergleicht er ihn mit der
Wirklichkeit und stutzt ihm die Flügel, damit er menschlich brauchbar werde.
Wie der Physiker oder Phnsiologe betrachtet er sinnend die Mannigfaltigkeit
der Erscheinungen, um ihre Ursachen und Wirkungen zu enträtseln und ihre
Zusammenhänge festzustellen, bis er das ihnen gemeinsame Grundgesetz gefunden.

Clausewitz verwahrt sich ganz ausdrücklich dagegen, daß er eine Lehre vom
Kriege habe schreiben wollen, aus der man sich etwa mathematisch sein Handeln
errechnen könne. Es ist somit kein Buch, das lediglich den Soldaten interessieren
könne, sondern aus seinem Inhalt kann die ganze Menschheit lernen. Jeder
wird vielerlei Brauchbares für sich darin finden.

Dem Begriff nach „ist der Krieg ein Akt der Gewalt, um den Gegner
zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen. Soll dieser Zweck in seinem
ganzen Umfange erreicht werden, muß der Gegner wehrlos, d. h. vernichtet
werden. So kann es in der Anwendung der Gewalt keine Grenzen geben;
theoretisch muß also der Krieg zum Äußersten führen. Dies ist nun aber in
Wirklichkeit niemals der Fall; der Krieg bleibt in seinem Zweck immer hinter
dem Absoluten zurück"; er trägt in sich selbst seine eigenen Vernichtungskeime,
deren hauptsächlichster der ist, daß der Krieg eben kein Ding an sich ist, „kein
isolierter Akt", sondern in Wirklichkeit „eine bloße Fortsetzung der Politik mit
anderen Mitteln; er ist ein politisches Instrument". Soll dieses aber wiederum
zweckerfüllend gebraucht werden, muß der Krieg „unter seinem Begriff wie unter
einem höchsten Gesetz stehen"; d.h. der Krieg muß in der Idee den Gegner ab¬
solut vernichten wollen, obgleich er dies niemals aus sich heraus erreichen wird.

Dieser Gedanke wird in dem ersten Buch, das über „die Natur des
Krieges" handelt, in streng logischer Tiefe und überzeugend allgemeinverständ¬
licher Darstellungsweise von allen Seiten beleuchtet, entwickelt und als End¬
ergebnis unwiderleglich hingestellt.

Wenn man nun meint, daß dieses Gesetz und dessen Begründung nur
sür den Soldaten Wichtigkeit habe, so betrachtet man mit dieser Meinung
lediglich die eine Seite des Gedankens. Genauer besehen, ist er von ganz
allgemeiner und tief in alle Lebensverhältnisse eingreifender Bedeutung. Schon
derjenige, der die kriegerischen Verwicklungen und Abwicklungen der neuesten
Zeit mit Aufmerksamkeit verfolgt, wird ihn mit Vorteil gebrauchen können,
will er Übersicht und Klarheit gewinnen über diese wichtigste der menschlichen Hand¬
lungen. Der russisch-japanische Krieg und der jetzige Balkankrieg wird ihm in seinem
Endresultat verständlich erscheinen. Denn keins der beteiligten Völker ist vernichtet
worden und wird vernichtet werden, obwohl die Tendenz dazu unstreitig vorlag.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/125>, abgerufen am 27.07.2024.