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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Wir haben in so langen schönen Jahren,
Die unsre Seele nie vergißt,
An unsrem eig'nen Wohl und Heil erfahren,
Wie tief Ihr Werth begründet istl
Wir haben dies, was wir so heiß empfanden,
Nur, weil uns die Gelegenheit
Noch nie gelächelt hat, nicht laut gestanden,
Doch heute ist die rechte ZeitI
Wir können Nichts, als danken und beloben,
Doch jedem Wirken reicht den Lohn
Der Ewige bei jenen Sternen droben,
Und that er das nicht heute schon?

Für Mohr spricht endlich das Zeugnis, das er seinem Schreibgehilfeu am
13. Oktober 1834 ausstellte (abgedruckt im Hebbel-Kalender für 1905, S. 136
bis 138) und auf das sich als auf die Urkunde eines "gewissenhaften Mannes"
Hebbel in seiner Abrechnung mit Amalie Schoppe (II, 42) ausdrücklich beruft,
um die Gönnerin ins Unrecht zu setzen. Nach den anerkennenden Worten Mohrs
begreift man freilich nicht, daß er die Aufforderung von Hamburg aus, sich an
den Sammlungen für Hebbel zu beteiligen, wie Bartels ("Christian Friedrich
Hebbel" sReclams Universalbibliothel^ S. 26) hervorhebt, abgelehnt hat. Zwischen
dem 13. Oktober 1834 und dem 14, Februar 1835, dem Tage der "Hedschra",
müssen Ereignisse liegen, die das Verhältnis zwischen Herrn und Diener un¬
günstiger beeinflußt haben. Wir kennen sie nicht, werden sie vielleicht nie¬
mals erfahren. Von Wohlwollen und einer wenigstens nicht ganz falschen
Beurteilung von Hebbels Fähigkeiten kündet dieses Schriftstück unzweifelhaft.
Und dürfen wir es dem in der Welt der Akten lebenden Juristen menschlich
so schwer verargen, daß er die staunenswerte Entwicklung seines Untergebenen
auf poetischem Gebiete nicht voll ermessen konnte? Bedauern mögen wir ihn
und den Titanen, der unter Kleinlichkeit zu leiden hatte; verdammen können
wir den in Vorurteilen Befangenen aber nicht.

Nur um zu zeigen, daß bei Hebbel sich in seinen Angaben Wahrheit und
Dichtung zuweilen vermengen, nicht um anzuklagen, lenke ich die Aufmerksamkeit
meiner Leser auf einen Fall, der mit Mohr nichts zu tun hat und doch geeignet
erscheint, auf den Mohrs Ehre so empfindlich treffenden Brief ein Licht zu
werfen. Es ist die Angelegenheit von Hebbels Doktorpromotion. Die Würde
eines Doktors der Philosophie hätte der Dichter gern, um seinen Münchner
Studienjahren einen äußeren Abschluß zu geben, gegen das Jahr 1839 er¬
worben. Sein Wissen wäre mehr als ausreichend gewesen, aber die Mittel
fehlten ihm. Erst in der Pariser Zeit sandte er der Erlanger Fakultät eine
Arbeit ein; Regierungsrat Rousseau in Ansbach, der Vater eines früh ver¬
storbenen Jugendfreundes, gab ihm verlangte Auskünfte (Brief an diesen vom
1. April 1844 M, 64 f.^j und weiter Erwähnung der Angelegenheit im Schreiben
an Elise Lenstng vom 3. Mai ^III, 85^ und in einem Briefe an Charlotte


Wir haben in so langen schönen Jahren,
Die unsre Seele nie vergißt,
An unsrem eig'nen Wohl und Heil erfahren,
Wie tief Ihr Werth begründet istl
Wir haben dies, was wir so heiß empfanden,
Nur, weil uns die Gelegenheit
Noch nie gelächelt hat, nicht laut gestanden,
Doch heute ist die rechte ZeitI
Wir können Nichts, als danken und beloben,
Doch jedem Wirken reicht den Lohn
Der Ewige bei jenen Sternen droben,
Und that er das nicht heute schon?

Für Mohr spricht endlich das Zeugnis, das er seinem Schreibgehilfeu am
13. Oktober 1834 ausstellte (abgedruckt im Hebbel-Kalender für 1905, S. 136
bis 138) und auf das sich als auf die Urkunde eines „gewissenhaften Mannes"
Hebbel in seiner Abrechnung mit Amalie Schoppe (II, 42) ausdrücklich beruft,
um die Gönnerin ins Unrecht zu setzen. Nach den anerkennenden Worten Mohrs
begreift man freilich nicht, daß er die Aufforderung von Hamburg aus, sich an
den Sammlungen für Hebbel zu beteiligen, wie Bartels („Christian Friedrich
Hebbel" sReclams Universalbibliothel^ S. 26) hervorhebt, abgelehnt hat. Zwischen
dem 13. Oktober 1834 und dem 14, Februar 1835, dem Tage der „Hedschra",
müssen Ereignisse liegen, die das Verhältnis zwischen Herrn und Diener un¬
günstiger beeinflußt haben. Wir kennen sie nicht, werden sie vielleicht nie¬
mals erfahren. Von Wohlwollen und einer wenigstens nicht ganz falschen
Beurteilung von Hebbels Fähigkeiten kündet dieses Schriftstück unzweifelhaft.
Und dürfen wir es dem in der Welt der Akten lebenden Juristen menschlich
so schwer verargen, daß er die staunenswerte Entwicklung seines Untergebenen
auf poetischem Gebiete nicht voll ermessen konnte? Bedauern mögen wir ihn
und den Titanen, der unter Kleinlichkeit zu leiden hatte; verdammen können
wir den in Vorurteilen Befangenen aber nicht.

Nur um zu zeigen, daß bei Hebbel sich in seinen Angaben Wahrheit und
Dichtung zuweilen vermengen, nicht um anzuklagen, lenke ich die Aufmerksamkeit
meiner Leser auf einen Fall, der mit Mohr nichts zu tun hat und doch geeignet
erscheint, auf den Mohrs Ehre so empfindlich treffenden Brief ein Licht zu
werfen. Es ist die Angelegenheit von Hebbels Doktorpromotion. Die Würde
eines Doktors der Philosophie hätte der Dichter gern, um seinen Münchner
Studienjahren einen äußeren Abschluß zu geben, gegen das Jahr 1839 er¬
worben. Sein Wissen wäre mehr als ausreichend gewesen, aber die Mittel
fehlten ihm. Erst in der Pariser Zeit sandte er der Erlanger Fakultät eine
Arbeit ein; Regierungsrat Rousseau in Ansbach, der Vater eines früh ver¬
storbenen Jugendfreundes, gab ihm verlangte Auskünfte (Brief an diesen vom
1. April 1844 M, 64 f.^j und weiter Erwähnung der Angelegenheit im Schreiben
an Elise Lenstng vom 3. Mai ^III, 85^ und in einem Briefe an Charlotte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/122>, abgerufen am 22.12.2024.