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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Kirchspiclvogt Mohr

Rousseau vom 17. August des gleichen Jahres ^III. 15M Hebbel war offenbar
der Meinung, er dürfe den Titel führen, sobald die Doktorschrift angenommen
worden war, und selbst in einer Gingabe an den König von Dänemark, Rom,
20. Dezember 1844, unterzeichnete er sich als "Friedrich Hebbel. Dr. pkil,".
Das Diplom konnte erst viel später, kurz vor seiner Verheiratung, eingelöst
werden, denn am 6. Juni 1846 (III, 326) bedankt er sich bei Rousseau für die
Gefälligkeit. Mit der Zahlung der Kosten und mit dem Diplom hatte er endlich
das Recht erlangt, sich Doktor zu nennen.

Um diese Formalitäten hat sich der ehemalige Student der Rechte freilich
nicht gekümmert. Merkwürdig erscheint es allerdings, daß er. noch ehe die
Arbeit abgesandt war, seine Briefe an Elise Lensing mit der Aufschrift "Madame,
Madame Dr. Hebbel" versieht, noch sonderbarer, daß er Samt Rene? Taillcm-
dier im Jahre 1852 berichtet, er habe bereits in München den Doktorgrad
erworben (VIII, 34), und geradezu unbegreiflich ist die Flunkerei gegenüber
dem Wesselburener Kirchspielschreiber Voß (am 25. Juli 18391): "Hievon
(nämlich von Honoraren) habe ich mir gleich 11 sLouisd'ore^ auszahlen lassen,
welche nöthig waren, um mein Diplom als vvctor plril: einzulösen, das ich zu
meinem größten Verdruß, obgleich ich mein Philosoph. Examen gemacht und
meine Dissertation eingeliefert hatte, wegen Geldmangels nicht mitbringen konnte.
Jetzt ist es Gott lob schon seit drei Tagen in meinen Händen, und ich bin nun
anch an Rang und Stand jedem Narren gleich, der mich ehemals über die
Achseln ansah." Die Anmerkung Werners zu dieser Stelle (II, 5), Hebbel
scheine nicht streng den Tatsachen gefolgt zu sein, klingt viel zu harmlos. Es
läßt sich allenfalls begreifen, warum hier die Unwahrheit gesagt wurde; der
Brief sollte gewiß seinem Inhalt nach mit an Mohr gerichtet sein. Eine be¬
absichtigte Täuschung steht aber fest; man beachte auch, wie in dem nämlichen
Schreiben ein Brief Tiecks sehr geschickt "umredigiert" wird.

Hebbel im Falle Mohr jedes Wort zu glauben, ist deshalb sehr bedenklich.
Wie der Sohn über den Vater, so dachte übrigens der Wesselburener Pastor
über den einflußreichen Mann. Wenn Karl Zeiß in der biographischen Ein¬
leitung zu seiner Hebbelcmsgo.be über Mohr sänftlicher urteilt, so kommt das
daher, daß er sich nach eignem Geständnis durch die Angaben des Pastors
Sierk in Dresden, "der lange Zeit Geistlicher in Wesselburen war und Mohr
genau gekannt hat" (ebenda S. 19). hat mitbestimmen lassen.

Die Mahnung "Hab' Achtung vor dem Menschenbild!" mag der Kirchspiel¬
vogt, zum Teil aus Unverständnis, gegenüber seinem genialen Schreiber öfters
außer acht gelassen haben, doch geht man schwerlich zu weit, wenn man beim
Streite Hebbel-Mohr den Dichter selbst, dem sich fast alles Mißgeschick seiner
trüben Jugendzeit an den Namen Mohr knüpfte, -- mit Bedauern sei es
gesagt -- der Nichtbeachtung dieses herrlichen Wortes beschuldigt.




Kirchspiclvogt Mohr

Rousseau vom 17. August des gleichen Jahres ^III. 15M Hebbel war offenbar
der Meinung, er dürfe den Titel führen, sobald die Doktorschrift angenommen
worden war, und selbst in einer Gingabe an den König von Dänemark, Rom,
20. Dezember 1844, unterzeichnete er sich als „Friedrich Hebbel. Dr. pkil,".
Das Diplom konnte erst viel später, kurz vor seiner Verheiratung, eingelöst
werden, denn am 6. Juni 1846 (III, 326) bedankt er sich bei Rousseau für die
Gefälligkeit. Mit der Zahlung der Kosten und mit dem Diplom hatte er endlich
das Recht erlangt, sich Doktor zu nennen.

Um diese Formalitäten hat sich der ehemalige Student der Rechte freilich
nicht gekümmert. Merkwürdig erscheint es allerdings, daß er. noch ehe die
Arbeit abgesandt war, seine Briefe an Elise Lensing mit der Aufschrift „Madame,
Madame Dr. Hebbel" versieht, noch sonderbarer, daß er Samt Rene? Taillcm-
dier im Jahre 1852 berichtet, er habe bereits in München den Doktorgrad
erworben (VIII, 34), und geradezu unbegreiflich ist die Flunkerei gegenüber
dem Wesselburener Kirchspielschreiber Voß (am 25. Juli 18391): „Hievon
(nämlich von Honoraren) habe ich mir gleich 11 sLouisd'ore^ auszahlen lassen,
welche nöthig waren, um mein Diplom als vvctor plril: einzulösen, das ich zu
meinem größten Verdruß, obgleich ich mein Philosoph. Examen gemacht und
meine Dissertation eingeliefert hatte, wegen Geldmangels nicht mitbringen konnte.
Jetzt ist es Gott lob schon seit drei Tagen in meinen Händen, und ich bin nun
anch an Rang und Stand jedem Narren gleich, der mich ehemals über die
Achseln ansah." Die Anmerkung Werners zu dieser Stelle (II, 5), Hebbel
scheine nicht streng den Tatsachen gefolgt zu sein, klingt viel zu harmlos. Es
läßt sich allenfalls begreifen, warum hier die Unwahrheit gesagt wurde; der
Brief sollte gewiß seinem Inhalt nach mit an Mohr gerichtet sein. Eine be¬
absichtigte Täuschung steht aber fest; man beachte auch, wie in dem nämlichen
Schreiben ein Brief Tiecks sehr geschickt „umredigiert" wird.

Hebbel im Falle Mohr jedes Wort zu glauben, ist deshalb sehr bedenklich.
Wie der Sohn über den Vater, so dachte übrigens der Wesselburener Pastor
über den einflußreichen Mann. Wenn Karl Zeiß in der biographischen Ein¬
leitung zu seiner Hebbelcmsgo.be über Mohr sänftlicher urteilt, so kommt das
daher, daß er sich nach eignem Geständnis durch die Angaben des Pastors
Sierk in Dresden, „der lange Zeit Geistlicher in Wesselburen war und Mohr
genau gekannt hat" (ebenda S. 19). hat mitbestimmen lassen.

Die Mahnung „Hab' Achtung vor dem Menschenbild!" mag der Kirchspiel¬
vogt, zum Teil aus Unverständnis, gegenüber seinem genialen Schreiber öfters
außer acht gelassen haben, doch geht man schwerlich zu weit, wenn man beim
Streite Hebbel-Mohr den Dichter selbst, dem sich fast alles Mißgeschick seiner
trüben Jugendzeit an den Namen Mohr knüpfte, — mit Bedauern sei es
gesagt — der Nichtbeachtung dieses herrlichen Wortes beschuldigt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/123>, abgerufen am 21.12.2024.