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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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waren, konnte es vorkommen, daß eine Unterbrechung der Verbindung
mit Bülow von nur zwei Tagen genügte, um den Vizepräsidenten des
Staatsministeriums außerstand zu setzen, richtig im Parlament zu operieren.
Bülow stand nicht in direktem Konnex mit Staatssekretären und Ministern,
sondern fast ausschließlich durch die Vermittlung seiner drei Getreuen.
Bülow fehlte die Hingabe an die Materie, die Bismarck besaß, viel¬
leicht ausschließlich aus dem so menschlichen Grunde, daß er aus dem
interessanten Gebiet ins Trockne, aus der auswärtigen Politik in die innere
kam. Aber die Tatsache bleibt: nachdem er nur widerstrebend Reichskanzler
geworden war, in seiner Aktionsfreiheit durch den Kaiser stark beschränkt, wurde
er geradezu in die Rolle des Regisseurs hineingedrängt, dessen wichtigste Auf¬
gabe darin bestand, zu bestehen schien, Parlament und Presse vorzutäuschen,
daß dieser Regisseur trotz der starken Persönlichkeit des Monarchen ein wirklicher
Regierer war. Bei dieser persönlichen Umrahmung seiner Stellung war das
System Bülow schwer gefährdet, sobald er einen von den drei Vertrauten ver¬
lor, die dreieinig die Funktionen des Reichskanzlers ausübten. Die Katastrophe
aber trat bald nach dem Tode des Freiherrn von Richthofen ein, nachdem
dessen zwei Nachfolger sowohl im speziellen wie im allgemeinen als Mitarbeiter
Bülows versagten und der büreaukratische Apparat, selbständigen Handelns ent¬
wöhnt, sich als unzureichend erwies. Die 1908er Novemberereignisse mit allen
ihren Folgeerscheinungen, vor allen Dingen mit der Preisgabe der Beamten
des Auswärtigen Amts, waren Ergebnisse einer Amtsführung, deren Haupt¬
augenmerk der Regiekunst galt.

Bülows Methoden sind nicht spurlos an uns vorüber gegangen, er hat
Schule gemacht. Die öffentliche Meinung hat er sich unterworfen, die Presse
hat er an seinen Karren gefesselt und in ihrem nationalen Teil vorübergehend
geradezu unfrei gemacht. Wenn mir russische Parlamentarier seinerzeit in Peters¬
burg sagten: "Sprechen Sie nicht von der deutschen Presse, -- nächstens wird
der Vorwärts Bülow-offiziös", so lag darin ein Körnchen Wahrheit. Als
Parlamentsredner war Bülow vorbildlich. Erschien er im Reichstage, so ge¬
schah es als Prima Ballerina im Mittelpunkt eines sorgsam einstudierten Aus¬
stattungsstückes. Daranhatten sich Publikum und Presse in den zehn Jahren gewöhnt.

Trotz der schlechten Erfahrungen, die die Liberalen mit Bülows Regierungs¬
kunst gemacht haben, sind für viele von ihnen, wenn auch unbewußt, Regie und Re¬
gierung noch gleichwertige Begriffe. Potemkins Geist hat von unserem öffentlichen
Leben Besitz genommen, herrscht ebenso in den Volksversammlungen der Sozial¬
demokraten, wie bei sonstigen Schaustellungen, und Max Reinhardt ist so recht
eigentlich der führende Geist unserer Zeit! d.h. führend insofern, als er ein allgemein
anerkanntes Bedürfnis seiner Zeitgenossen genial zu erfassen und in Pseudowerte
umzuprägen vermochte. Wer diesem Bedürfnis unserer Zeit nicht auch als
Politiker gerecht zu werden vermag, wird kaum als ihr Führer gelten. Max
Reinhardt kann erfolgreich bleiben, weil er kein Politiker ist; jeder seiner


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waren, konnte es vorkommen, daß eine Unterbrechung der Verbindung
mit Bülow von nur zwei Tagen genügte, um den Vizepräsidenten des
Staatsministeriums außerstand zu setzen, richtig im Parlament zu operieren.
Bülow stand nicht in direktem Konnex mit Staatssekretären und Ministern,
sondern fast ausschließlich durch die Vermittlung seiner drei Getreuen.
Bülow fehlte die Hingabe an die Materie, die Bismarck besaß, viel¬
leicht ausschließlich aus dem so menschlichen Grunde, daß er aus dem
interessanten Gebiet ins Trockne, aus der auswärtigen Politik in die innere
kam. Aber die Tatsache bleibt: nachdem er nur widerstrebend Reichskanzler
geworden war, in seiner Aktionsfreiheit durch den Kaiser stark beschränkt, wurde
er geradezu in die Rolle des Regisseurs hineingedrängt, dessen wichtigste Auf¬
gabe darin bestand, zu bestehen schien, Parlament und Presse vorzutäuschen,
daß dieser Regisseur trotz der starken Persönlichkeit des Monarchen ein wirklicher
Regierer war. Bei dieser persönlichen Umrahmung seiner Stellung war das
System Bülow schwer gefährdet, sobald er einen von den drei Vertrauten ver¬
lor, die dreieinig die Funktionen des Reichskanzlers ausübten. Die Katastrophe
aber trat bald nach dem Tode des Freiherrn von Richthofen ein, nachdem
dessen zwei Nachfolger sowohl im speziellen wie im allgemeinen als Mitarbeiter
Bülows versagten und der büreaukratische Apparat, selbständigen Handelns ent¬
wöhnt, sich als unzureichend erwies. Die 1908er Novemberereignisse mit allen
ihren Folgeerscheinungen, vor allen Dingen mit der Preisgabe der Beamten
des Auswärtigen Amts, waren Ergebnisse einer Amtsführung, deren Haupt¬
augenmerk der Regiekunst galt.

Bülows Methoden sind nicht spurlos an uns vorüber gegangen, er hat
Schule gemacht. Die öffentliche Meinung hat er sich unterworfen, die Presse
hat er an seinen Karren gefesselt und in ihrem nationalen Teil vorübergehend
geradezu unfrei gemacht. Wenn mir russische Parlamentarier seinerzeit in Peters¬
burg sagten: „Sprechen Sie nicht von der deutschen Presse, — nächstens wird
der Vorwärts Bülow-offiziös", so lag darin ein Körnchen Wahrheit. Als
Parlamentsredner war Bülow vorbildlich. Erschien er im Reichstage, so ge¬
schah es als Prima Ballerina im Mittelpunkt eines sorgsam einstudierten Aus¬
stattungsstückes. Daranhatten sich Publikum und Presse in den zehn Jahren gewöhnt.

Trotz der schlechten Erfahrungen, die die Liberalen mit Bülows Regierungs¬
kunst gemacht haben, sind für viele von ihnen, wenn auch unbewußt, Regie und Re¬
gierung noch gleichwertige Begriffe. Potemkins Geist hat von unserem öffentlichen
Leben Besitz genommen, herrscht ebenso in den Volksversammlungen der Sozial¬
demokraten, wie bei sonstigen Schaustellungen, und Max Reinhardt ist so recht
eigentlich der führende Geist unserer Zeit! d.h. führend insofern, als er ein allgemein
anerkanntes Bedürfnis seiner Zeitgenossen genial zu erfassen und in Pseudowerte
umzuprägen vermochte. Wer diesem Bedürfnis unserer Zeit nicht auch als
Politiker gerecht zu werden vermag, wird kaum als ihr Führer gelten. Max
Reinhardt kann erfolgreich bleiben, weil er kein Politiker ist; jeder seiner


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[0113] Kanzlerrcden waren, konnte es vorkommen, daß eine Unterbrechung der Verbindung mit Bülow von nur zwei Tagen genügte, um den Vizepräsidenten des Staatsministeriums außerstand zu setzen, richtig im Parlament zu operieren. Bülow stand nicht in direktem Konnex mit Staatssekretären und Ministern, sondern fast ausschließlich durch die Vermittlung seiner drei Getreuen. Bülow fehlte die Hingabe an die Materie, die Bismarck besaß, viel¬ leicht ausschließlich aus dem so menschlichen Grunde, daß er aus dem interessanten Gebiet ins Trockne, aus der auswärtigen Politik in die innere kam. Aber die Tatsache bleibt: nachdem er nur widerstrebend Reichskanzler geworden war, in seiner Aktionsfreiheit durch den Kaiser stark beschränkt, wurde er geradezu in die Rolle des Regisseurs hineingedrängt, dessen wichtigste Auf¬ gabe darin bestand, zu bestehen schien, Parlament und Presse vorzutäuschen, daß dieser Regisseur trotz der starken Persönlichkeit des Monarchen ein wirklicher Regierer war. Bei dieser persönlichen Umrahmung seiner Stellung war das System Bülow schwer gefährdet, sobald er einen von den drei Vertrauten ver¬ lor, die dreieinig die Funktionen des Reichskanzlers ausübten. Die Katastrophe aber trat bald nach dem Tode des Freiherrn von Richthofen ein, nachdem dessen zwei Nachfolger sowohl im speziellen wie im allgemeinen als Mitarbeiter Bülows versagten und der büreaukratische Apparat, selbständigen Handelns ent¬ wöhnt, sich als unzureichend erwies. Die 1908er Novemberereignisse mit allen ihren Folgeerscheinungen, vor allen Dingen mit der Preisgabe der Beamten des Auswärtigen Amts, waren Ergebnisse einer Amtsführung, deren Haupt¬ augenmerk der Regiekunst galt. Bülows Methoden sind nicht spurlos an uns vorüber gegangen, er hat Schule gemacht. Die öffentliche Meinung hat er sich unterworfen, die Presse hat er an seinen Karren gefesselt und in ihrem nationalen Teil vorübergehend geradezu unfrei gemacht. Wenn mir russische Parlamentarier seinerzeit in Peters¬ burg sagten: „Sprechen Sie nicht von der deutschen Presse, — nächstens wird der Vorwärts Bülow-offiziös", so lag darin ein Körnchen Wahrheit. Als Parlamentsredner war Bülow vorbildlich. Erschien er im Reichstage, so ge¬ schah es als Prima Ballerina im Mittelpunkt eines sorgsam einstudierten Aus¬ stattungsstückes. Daranhatten sich Publikum und Presse in den zehn Jahren gewöhnt. Trotz der schlechten Erfahrungen, die die Liberalen mit Bülows Regierungs¬ kunst gemacht haben, sind für viele von ihnen, wenn auch unbewußt, Regie und Re¬ gierung noch gleichwertige Begriffe. Potemkins Geist hat von unserem öffentlichen Leben Besitz genommen, herrscht ebenso in den Volksversammlungen der Sozial¬ demokraten, wie bei sonstigen Schaustellungen, und Max Reinhardt ist so recht eigentlich der führende Geist unserer Zeit! d.h. führend insofern, als er ein allgemein anerkanntes Bedürfnis seiner Zeitgenossen genial zu erfassen und in Pseudowerte umzuprägen vermochte. Wer diesem Bedürfnis unserer Zeit nicht auch als Politiker gerecht zu werden vermag, wird kaum als ihr Führer gelten. Max Reinhardt kann erfolgreich bleiben, weil er kein Politiker ist; jeder seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/113>, abgerufen am 27.07.2024.