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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Triumphe feierte. Bülows Auftreten im Reichstage war immer bis ins Kleinste vor¬
bereitet; jeder, auch der kleinste Mitspieler hatte seinen Platz und wenn Graf
Ballestrem oder Graf Stolberg dem fürstlichen Kanzler das Wort erteilte, stand
Bülows Persönlichkeit im Brennpunkt des Interesses, Übergossen von dem Licht¬
schimmer eines unsichtbaren Scheinwerfers, den er sich selbst gerichtet hatte.

Wenn behauptet wurde, Bülow habe das Drum und Dran in seinen
Reden aus Vüchmanns Zitatenschatz zusammengesucht, so darf man das nicht
wörtlich nehmen, denn er war ein viel belesener Mann und seine Arbeits¬
methode war überhaupt nur möglich bei einem hervorragend guten Gedächt¬
nis. Er gab nur wieder, was die Geister, mit denen er sein Leben lang in
engstem Gedankenaustausch gestanden hatte, ihm während der Überarbeitung
der von andern im Rohblock hergestellten Reden zuflüsterten. Des Mannes
Gedankenwelt, der mit Mommsen, Gregorovius, Malvida von Meusenbug,
mit Turgenieff und den beiden Charmes, mit de Cesare und Grigorowitsch
intimen Verkehr unterhielt, schafft sich andere Bilder als der eines Bismarck,
der selbst als Staatenbauer gewirkt hatte. Auch der Umstand, daß Bülow der
inneren Politik ziemlich fremd gegenüberstand, als er ihr Leiter wurde, konnte
nicht ohne Einfluß auf die Gestaltung seiner Reden bleiben.

Schlaglichtartig beleuchtet wird die Arbeitsmethode Bülows, wenn wir
sehen, wie er sich beim Staatssekretär des Auswärtigen in Fragen der inneren
Politik Rats holt und ihn mit Ausarbeitungen für eine Rede beauftragt, wegen
ergänzenden Materials aber an den Chef der Presseabteilung Hamann verweist
und hinzufügt: "An Umfang nicht zu groß. Kurze Sätze. Das Drum und
Dran füge ich selbst hinzu."

Bülow lernte seine Rollen leicht und gut. Ein Freund langer Kon¬
ferenzen und tiefdringender Aussprachen war er nicht. Das überließ er Richt-
hofen, den er ebenso wie Loebell und Hamann durch fortlaufend hinter-
eincmderfolgende weiße Zettel oder wasserblaue Karten und Briefe, mit Blei¬
stift oder Tinte von Schäfers schneller Hand geschrieben, dirigierte. Manchmal
treffen an einem Tage ein Dutzend oder mehr solcher Schriftstücke bei den
einzelnen ein und man weiß nun, wozu die große Anzahl feingespitzter Blei¬
stifte und Stöße von Notizpapier und Umschlägen in verschiedener Größe in
seinem Zimmer aufgeschichtet waren, "während außerdem nicht ein Blatt oder
eine Spur von irgendwelchen Zeitungen, Manuskripten oder Briefen... zu
sehen war . . .," wie der Engländer Sidney Whitman berichtet ("Deutsche
Erinnerungen". Stuttgart-Berlin, Deutsche ' Verlagsanstalt, 1913, S. 274).
Bismarcks Arbeitsmethode hatte zur Folge, daß er oft viele Tage für die
laufenden bureaukratischen Geschäfte nicht zu erreichen war, freilich ohne daß
die Politik darunter gelitten hätte. Bülow war in ständiger Verbindung mit
allen Einzelheiten, die ihm zugetragen wurden, mochte er in Norderney, Flott-
beck oder Berlin sein. Aber während unter Bismarck die Staatssekretäre und
Minister ständig über ihre Aufgaben der Öffentlichkeit gegenüber unterrichtet


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Triumphe feierte. Bülows Auftreten im Reichstage war immer bis ins Kleinste vor¬
bereitet; jeder, auch der kleinste Mitspieler hatte seinen Platz und wenn Graf
Ballestrem oder Graf Stolberg dem fürstlichen Kanzler das Wort erteilte, stand
Bülows Persönlichkeit im Brennpunkt des Interesses, Übergossen von dem Licht¬
schimmer eines unsichtbaren Scheinwerfers, den er sich selbst gerichtet hatte.

Wenn behauptet wurde, Bülow habe das Drum und Dran in seinen
Reden aus Vüchmanns Zitatenschatz zusammengesucht, so darf man das nicht
wörtlich nehmen, denn er war ein viel belesener Mann und seine Arbeits¬
methode war überhaupt nur möglich bei einem hervorragend guten Gedächt¬
nis. Er gab nur wieder, was die Geister, mit denen er sein Leben lang in
engstem Gedankenaustausch gestanden hatte, ihm während der Überarbeitung
der von andern im Rohblock hergestellten Reden zuflüsterten. Des Mannes
Gedankenwelt, der mit Mommsen, Gregorovius, Malvida von Meusenbug,
mit Turgenieff und den beiden Charmes, mit de Cesare und Grigorowitsch
intimen Verkehr unterhielt, schafft sich andere Bilder als der eines Bismarck,
der selbst als Staatenbauer gewirkt hatte. Auch der Umstand, daß Bülow der
inneren Politik ziemlich fremd gegenüberstand, als er ihr Leiter wurde, konnte
nicht ohne Einfluß auf die Gestaltung seiner Reden bleiben.

Schlaglichtartig beleuchtet wird die Arbeitsmethode Bülows, wenn wir
sehen, wie er sich beim Staatssekretär des Auswärtigen in Fragen der inneren
Politik Rats holt und ihn mit Ausarbeitungen für eine Rede beauftragt, wegen
ergänzenden Materials aber an den Chef der Presseabteilung Hamann verweist
und hinzufügt: „An Umfang nicht zu groß. Kurze Sätze. Das Drum und
Dran füge ich selbst hinzu."

Bülow lernte seine Rollen leicht und gut. Ein Freund langer Kon¬
ferenzen und tiefdringender Aussprachen war er nicht. Das überließ er Richt-
hofen, den er ebenso wie Loebell und Hamann durch fortlaufend hinter-
eincmderfolgende weiße Zettel oder wasserblaue Karten und Briefe, mit Blei¬
stift oder Tinte von Schäfers schneller Hand geschrieben, dirigierte. Manchmal
treffen an einem Tage ein Dutzend oder mehr solcher Schriftstücke bei den
einzelnen ein und man weiß nun, wozu die große Anzahl feingespitzter Blei¬
stifte und Stöße von Notizpapier und Umschlägen in verschiedener Größe in
seinem Zimmer aufgeschichtet waren, „während außerdem nicht ein Blatt oder
eine Spur von irgendwelchen Zeitungen, Manuskripten oder Briefen... zu
sehen war . . .," wie der Engländer Sidney Whitman berichtet („Deutsche
Erinnerungen". Stuttgart-Berlin, Deutsche ' Verlagsanstalt, 1913, S. 274).
Bismarcks Arbeitsmethode hatte zur Folge, daß er oft viele Tage für die
laufenden bureaukratischen Geschäfte nicht zu erreichen war, freilich ohne daß
die Politik darunter gelitten hätte. Bülow war in ständiger Verbindung mit
allen Einzelheiten, die ihm zugetragen wurden, mochte er in Norderney, Flott-
beck oder Berlin sein. Aber während unter Bismarck die Staatssekretäre und
Minister ständig über ihre Aufgaben der Öffentlichkeit gegenüber unterrichtet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/112>, abgerufen am 27.07.2024.