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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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politischen Fachgenossen muß Schiffbruch leiden, weil die politischen Kämpfe
auf Realitäten beruhen und eben deshalb nicht ungestraft zu Schaustellungen
herabgewürdigt werden dürfen. Das Kulisseuwerk der politischen Schaustücke
kann als solches nur dann nachhaltig wirken und dauernd nützlich sein, wenn
es recht eigentlich kein Kulissenwerk mehr ist, sondern organischer Bestandteil der
politischen Materie, wenn es herausgewachsen ist aus den Fasern und Säften
der einzelnen schwebenden politischen Fragen; jenes andere Kulissenwerk, das
gleich den Requisiten des Schnürbodens nur leicht angeschraubt wird an die
Bretter der Bühne, wird zerflattern und zerfallen, sobald auch nur der dünnste
Sonnenstrahl Wahrheit darauf fällt.




Nach Bismarck und Büloiv betritt nun seit fast vier Jahren Herr von
Bethmann Hollweg die Parlamentstribüne als Reichskanzler. Es bedarf keiner
Erläuterung: als ein geschickter Regisseur erscheint dieser einfache Mann nicht.
Jedenfalls sind nirgends künstliche Kulissen zu erkennen. Öffentlichkeit und
Presse, soweit sie sich mit seiner Person beschäftigen, steht er innerlich ab¬
lehnend gegenüber: um beide höher einschätzen zu können, ist er zu sehr preußi¬
scher Beamter und auch wohl Philosoph. Ob er ein Regierer, der Regierer ist,
dessen wir bedürfen, läßt sich heut noch nicht entscheiden. Vor großen Konflikten
der inneren Politik hat er noch nicht gestanden: die elsässische Frage konnte er
durch weitgehende Nachgiebigkeit durchführen; von der preußischen Wahlrechts¬
frage durfte er im stillen Einverständnis mit den nationalen Parteien zurück¬
treten; in der Jesuitenfrage hat er scheinbar geschickt opperiert, doch ist sie ebenso¬
wenig erledigt, wie die Wahlrechtsangelegenheit. Bleibt uns der Weltfriede er¬
halten, dann wird Bethmanns Beurteilung davon abhängen, was er von den
Problemen der inneren Politik als seine wichtigste Aufgabe auffaßt. Verzichtet
er weiter auf äußeren Schein, so werden seine Parlamentsreden nach wie vor
lieber gelesen als gehört werden. Ich glaube aber, daß er damit im Inland und
Ausland mehr Vertrauen und Freundschaft erwirbt, als mit oratorischen Theater¬
effekten. Könnte die Schlichtheit und Straffheit seiner Reden, trotz aller Kühle
des Temperaments, das Wahrzeichen der deutschen Politik sein, so glaube ich,
dürften wir in ihm den Regierer begrüßen, den wir gerade gebrauchen und
leichten Herzens auf die großen Tage im Reichshause verzichten.


G. Lleinow


politischen Fachgenossen muß Schiffbruch leiden, weil die politischen Kämpfe
auf Realitäten beruhen und eben deshalb nicht ungestraft zu Schaustellungen
herabgewürdigt werden dürfen. Das Kulisseuwerk der politischen Schaustücke
kann als solches nur dann nachhaltig wirken und dauernd nützlich sein, wenn
es recht eigentlich kein Kulissenwerk mehr ist, sondern organischer Bestandteil der
politischen Materie, wenn es herausgewachsen ist aus den Fasern und Säften
der einzelnen schwebenden politischen Fragen; jenes andere Kulissenwerk, das
gleich den Requisiten des Schnürbodens nur leicht angeschraubt wird an die
Bretter der Bühne, wird zerflattern und zerfallen, sobald auch nur der dünnste
Sonnenstrahl Wahrheit darauf fällt.




Nach Bismarck und Büloiv betritt nun seit fast vier Jahren Herr von
Bethmann Hollweg die Parlamentstribüne als Reichskanzler. Es bedarf keiner
Erläuterung: als ein geschickter Regisseur erscheint dieser einfache Mann nicht.
Jedenfalls sind nirgends künstliche Kulissen zu erkennen. Öffentlichkeit und
Presse, soweit sie sich mit seiner Person beschäftigen, steht er innerlich ab¬
lehnend gegenüber: um beide höher einschätzen zu können, ist er zu sehr preußi¬
scher Beamter und auch wohl Philosoph. Ob er ein Regierer, der Regierer ist,
dessen wir bedürfen, läßt sich heut noch nicht entscheiden. Vor großen Konflikten
der inneren Politik hat er noch nicht gestanden: die elsässische Frage konnte er
durch weitgehende Nachgiebigkeit durchführen; von der preußischen Wahlrechts¬
frage durfte er im stillen Einverständnis mit den nationalen Parteien zurück¬
treten; in der Jesuitenfrage hat er scheinbar geschickt opperiert, doch ist sie ebenso¬
wenig erledigt, wie die Wahlrechtsangelegenheit. Bleibt uns der Weltfriede er¬
halten, dann wird Bethmanns Beurteilung davon abhängen, was er von den
Problemen der inneren Politik als seine wichtigste Aufgabe auffaßt. Verzichtet
er weiter auf äußeren Schein, so werden seine Parlamentsreden nach wie vor
lieber gelesen als gehört werden. Ich glaube aber, daß er damit im Inland und
Ausland mehr Vertrauen und Freundschaft erwirbt, als mit oratorischen Theater¬
effekten. Könnte die Schlichtheit und Straffheit seiner Reden, trotz aller Kühle
des Temperaments, das Wahrzeichen der deutschen Politik sein, so glaube ich,
dürften wir in ihm den Regierer begrüßen, den wir gerade gebrauchen und
leichten Herzens auf die großen Tage im Reichshause verzichten.


G. Lleinow


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[0114] politischen Fachgenossen muß Schiffbruch leiden, weil die politischen Kämpfe auf Realitäten beruhen und eben deshalb nicht ungestraft zu Schaustellungen herabgewürdigt werden dürfen. Das Kulisseuwerk der politischen Schaustücke kann als solches nur dann nachhaltig wirken und dauernd nützlich sein, wenn es recht eigentlich kein Kulissenwerk mehr ist, sondern organischer Bestandteil der politischen Materie, wenn es herausgewachsen ist aus den Fasern und Säften der einzelnen schwebenden politischen Fragen; jenes andere Kulissenwerk, das gleich den Requisiten des Schnürbodens nur leicht angeschraubt wird an die Bretter der Bühne, wird zerflattern und zerfallen, sobald auch nur der dünnste Sonnenstrahl Wahrheit darauf fällt. Nach Bismarck und Büloiv betritt nun seit fast vier Jahren Herr von Bethmann Hollweg die Parlamentstribüne als Reichskanzler. Es bedarf keiner Erläuterung: als ein geschickter Regisseur erscheint dieser einfache Mann nicht. Jedenfalls sind nirgends künstliche Kulissen zu erkennen. Öffentlichkeit und Presse, soweit sie sich mit seiner Person beschäftigen, steht er innerlich ab¬ lehnend gegenüber: um beide höher einschätzen zu können, ist er zu sehr preußi¬ scher Beamter und auch wohl Philosoph. Ob er ein Regierer, der Regierer ist, dessen wir bedürfen, läßt sich heut noch nicht entscheiden. Vor großen Konflikten der inneren Politik hat er noch nicht gestanden: die elsässische Frage konnte er durch weitgehende Nachgiebigkeit durchführen; von der preußischen Wahlrechts¬ frage durfte er im stillen Einverständnis mit den nationalen Parteien zurück¬ treten; in der Jesuitenfrage hat er scheinbar geschickt opperiert, doch ist sie ebenso¬ wenig erledigt, wie die Wahlrechtsangelegenheit. Bleibt uns der Weltfriede er¬ halten, dann wird Bethmanns Beurteilung davon abhängen, was er von den Problemen der inneren Politik als seine wichtigste Aufgabe auffaßt. Verzichtet er weiter auf äußeren Schein, so werden seine Parlamentsreden nach wie vor lieber gelesen als gehört werden. Ich glaube aber, daß er damit im Inland und Ausland mehr Vertrauen und Freundschaft erwirbt, als mit oratorischen Theater¬ effekten. Könnte die Schlichtheit und Straffheit seiner Reden, trotz aller Kühle des Temperaments, das Wahrzeichen der deutschen Politik sein, so glaube ich, dürften wir in ihm den Regierer begrüßen, den wir gerade gebrauchen und leichten Herzens auf die großen Tage im Reichshause verzichten. G. Lleinow

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/114>, abgerufen am 27.07.2024.