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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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kleinlicher Stichelei gegen die Monarchen,
daß man ihre Bedeutungslosigkeit kaum zu
widerlegen braucht. -- Immerhin ist die
Veröffentlichung solcher "Ersparnisvorschläge"
besonders deshalb zu bedauern, weil sie von
einem preußischen Stabsoffizier a. D. aus¬
gehen und dadurch den Anschein erwecken, als
stellten sie lediglich die Wiedergabe von
Wünschen aus der Armee selbst dar und ver¬
dienten darum besonderer Beachtung. In
Wirklichkeit kann davon nicht die Rede sein
und das Publikum wird lediglich von den
Hauptpunkten abgelenkt, an denen die ernste
Kritik anzusetzen hätte.

Von den einunddreißigErsparnisvorschlägen
Moraths weisen nur drei, nämlich die Punkte
10, 14, 15 auf Wunde Stellen in unserer
Armee hin. Punkt 10 führt auf die soziale
Seite der Vermehrung der Offizierstellen um
4000 und auf die Frage des Unteroffizier-
ersatzes hin; Punkt 14 und 15 betreffen den
Luxus vielartiger Uniformen und deren Gar¬
nierung mit allen möglichen Abzeichen. Es
wäre sehr wünschenswert, wenn Sachkenner
diese Frage im Reichstage einer eingehenden
Prüfung unterziehen wollten und wenn ins¬
besondere die Frage des Offizier- und Unter¬
offizierersatzes, bei der Ausbildung und späteren
Versorgung genau untersucht würde. Mir
scheint es nunmehr an der Zeit, das; der
Reichstag vom Kriegsministerium eine Denk¬
schrift einforderte, die ein genaues Bild gäbe
von der sozialen und wirtschaftlichen Lage
der Offiziere und Unteroffiziere nebst Vor¬
schlägen darüber, welche Mittel zu ergreifen
wären, uni die vielen Tausende von Offizieren,
die vorzeitig ihre Militärlaufbahn beendigen
müssen, besser zu befähigen, im Kampfe ums
tägliche Brot auszuhalten, als wie es bisher
geschehen. Das, was jetzt als "Offiziers¬
versorgung" vom Kriegsministerium betrieben
wird, ist trotz bester Absichten unzureichend.


Den bedeutsamsten und ernstesten Ein¬
wand gegen die Wehrvorlage hat die Frank¬
furter Zeitung im Abendblatt ihrer Nummer
94 erhoben und damit ausgesprochen, was
bis tief in die Reihen der Konservativen
empfunden wird und am meisten geeignet ist,
die Freude an der Heeresverstärkung herab¬

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zusetzen. Den Auffassungen des Frankfurter
Blattes über die Unfruchtbarkeit der HeereS-
aufwendungen für die deutsche Volkswirtschaft
vermag ich mich nicht anzuschließen. Der
volkswirtschaftliche Effekt erscheint mir ziemlich
gleichwertig für alle Arten des Verbrauchs;
es ist vom Standpunkt der Handelsbilanz
oder des Anlage suchenden Kapitals ziemlich
gleichgültig, was mit Aussicht auf schnellen
Verbrauch produziert wird: Spielsachen, Ka¬
nonen, Champagner oder äessous für die
Halbwelt. Jede Branche wirkt befruchtend
auf die Volkswirtschaft. Nur scheint mir, daß
es wonige Industrien gibt, die durch ihre
Eigenart sowohl, wie durch ihren Umfang
geeignet sind, so stimulierend auf alle Gebiete
der Technik, der Erfindungen und aller natur¬
wissenschaftlichen Forschung zu wirken, wie
gerade jene, die ausschließlich durch die
Heeres- und Flottenrüstungen bestehen. Welche
Kulturerrungenschaften müßten wir uns fort¬
denken, hätte es keine Kriege, keine Heere,
keine Waffenfabriken gegeben I Der Kampf
ist der Vater aller Dinge!

Aber in folgendem muß man der Frank¬
furter Zeitung zustimmen, wenn man lediglich
an Handelswerte denkt: "Die Rüstungen
schreibt sie, "entziehen die Menschen der
Werte schaffenden Arbeit, und vor allem:
ziemlich genau die gleiche Zahl von Menschen,
die wir jetzt für den Heeresdienst ausheben,
müssen wir Jahr für Jahr an ausländischen
Wanderarbeitern aus unseren östlichen Grenz¬
ländern herbeiziehen, um unsere Bergwerke
und vor allem unseren ostelbifchen, getreide¬
bauenden Großgrundbesitz nicht still zu
legen....." Die Leser der Grenzboten er¬
innern sich vielleicht, daß ich dieselben Be¬
denken im Herbst vorigen Jahres aussprach
(Heft 48), erinnern sich Wohl auch des glänzend
geschriebenen Aufsatzes aus der Feder des
Naumburger Arztes Schiele "Die Schicksal¬
stunde der deutschen Landwirtschaft" (Heft 22
von 1912). Die neue Heeresvorlage bedingt
eine Vermehrung der slawischen Arbeiter um
mindestens fünfzigtausend Kopf im ersten und
um hunderttausend Kopf in den weiteren
JahrenI Das ist nun ein Dilemma, dessent¬
wegen wir zwar die Heeresverstärkung nicht
vertagen dürfen, das uns aber doch zwingen
sollte, auf Mittel zu sinnen, die einen Aus-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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kleinlicher Stichelei gegen die Monarchen,
daß man ihre Bedeutungslosigkeit kaum zu
widerlegen braucht. — Immerhin ist die
Veröffentlichung solcher „Ersparnisvorschläge"
besonders deshalb zu bedauern, weil sie von
einem preußischen Stabsoffizier a. D. aus¬
gehen und dadurch den Anschein erwecken, als
stellten sie lediglich die Wiedergabe von
Wünschen aus der Armee selbst dar und ver¬
dienten darum besonderer Beachtung. In
Wirklichkeit kann davon nicht die Rede sein
und das Publikum wird lediglich von den
Hauptpunkten abgelenkt, an denen die ernste
Kritik anzusetzen hätte.

Von den einunddreißigErsparnisvorschlägen
Moraths weisen nur drei, nämlich die Punkte
10, 14, 15 auf Wunde Stellen in unserer
Armee hin. Punkt 10 führt auf die soziale
Seite der Vermehrung der Offizierstellen um
4000 und auf die Frage des Unteroffizier-
ersatzes hin; Punkt 14 und 15 betreffen den
Luxus vielartiger Uniformen und deren Gar¬
nierung mit allen möglichen Abzeichen. Es
wäre sehr wünschenswert, wenn Sachkenner
diese Frage im Reichstage einer eingehenden
Prüfung unterziehen wollten und wenn ins¬
besondere die Frage des Offizier- und Unter¬
offizierersatzes, bei der Ausbildung und späteren
Versorgung genau untersucht würde. Mir
scheint es nunmehr an der Zeit, das; der
Reichstag vom Kriegsministerium eine Denk¬
schrift einforderte, die ein genaues Bild gäbe
von der sozialen und wirtschaftlichen Lage
der Offiziere und Unteroffiziere nebst Vor¬
schlägen darüber, welche Mittel zu ergreifen
wären, uni die vielen Tausende von Offizieren,
die vorzeitig ihre Militärlaufbahn beendigen
müssen, besser zu befähigen, im Kampfe ums
tägliche Brot auszuhalten, als wie es bisher
geschehen. Das, was jetzt als „Offiziers¬
versorgung" vom Kriegsministerium betrieben
wird, ist trotz bester Absichten unzureichend.


Den bedeutsamsten und ernstesten Ein¬
wand gegen die Wehrvorlage hat die Frank¬
furter Zeitung im Abendblatt ihrer Nummer
94 erhoben und damit ausgesprochen, was
bis tief in die Reihen der Konservativen
empfunden wird und am meisten geeignet ist,
die Freude an der Heeresverstärkung herab¬

[Spaltenumbruch]

zusetzen. Den Auffassungen des Frankfurter
Blattes über die Unfruchtbarkeit der HeereS-
aufwendungen für die deutsche Volkswirtschaft
vermag ich mich nicht anzuschließen. Der
volkswirtschaftliche Effekt erscheint mir ziemlich
gleichwertig für alle Arten des Verbrauchs;
es ist vom Standpunkt der Handelsbilanz
oder des Anlage suchenden Kapitals ziemlich
gleichgültig, was mit Aussicht auf schnellen
Verbrauch produziert wird: Spielsachen, Ka¬
nonen, Champagner oder äessous für die
Halbwelt. Jede Branche wirkt befruchtend
auf die Volkswirtschaft. Nur scheint mir, daß
es wonige Industrien gibt, die durch ihre
Eigenart sowohl, wie durch ihren Umfang
geeignet sind, so stimulierend auf alle Gebiete
der Technik, der Erfindungen und aller natur¬
wissenschaftlichen Forschung zu wirken, wie
gerade jene, die ausschließlich durch die
Heeres- und Flottenrüstungen bestehen. Welche
Kulturerrungenschaften müßten wir uns fort¬
denken, hätte es keine Kriege, keine Heere,
keine Waffenfabriken gegeben I Der Kampf
ist der Vater aller Dinge!

Aber in folgendem muß man der Frank¬
furter Zeitung zustimmen, wenn man lediglich
an Handelswerte denkt: „Die Rüstungen
schreibt sie, „entziehen die Menschen der
Werte schaffenden Arbeit, und vor allem:
ziemlich genau die gleiche Zahl von Menschen,
die wir jetzt für den Heeresdienst ausheben,
müssen wir Jahr für Jahr an ausländischen
Wanderarbeitern aus unseren östlichen Grenz¬
ländern herbeiziehen, um unsere Bergwerke
und vor allem unseren ostelbifchen, getreide¬
bauenden Großgrundbesitz nicht still zu
legen....." Die Leser der Grenzboten er¬
innern sich vielleicht, daß ich dieselben Be¬
denken im Herbst vorigen Jahres aussprach
(Heft 48), erinnern sich Wohl auch des glänzend
geschriebenen Aufsatzes aus der Feder des
Naumburger Arztes Schiele „Die Schicksal¬
stunde der deutschen Landwirtschaft" (Heft 22
von 1912). Die neue Heeresvorlage bedingt
eine Vermehrung der slawischen Arbeiter um
mindestens fünfzigtausend Kopf im ersten und
um hunderttausend Kopf in den weiteren
JahrenI Das ist nun ein Dilemma, dessent¬
wegen wir zwar die Heeresverstärkung nicht
vertagen dürfen, das uns aber doch zwingen
sollte, auf Mittel zu sinnen, die einen Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/102>, abgerufen am 21.12.2024.