Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Engländer in Indien

Küste die ersten englischen Handelsfaktoreien wie Surat (1611), Madras (1626),
Bombay (1661) und Kalkutta (1686).

Auf Eroberungen hatte man es bei diesen Gründungen nicht abgesehen.
Die Leiter des ganzen Unternehmens, "tke court of c!ireetor8", waren Londoner
Kaufleute, und dieses Kollegium konnte recht unangenehm werden, wenn die
Einkünfte der Faktoreien mager ausfielen oder gar infolge kostspieliger Kriegszüge
Zuzahlungen aus der Tasche der Aktionäre erforderten. So schrieb im Jahre
1616 der Agent der Kompagnie am Hof zu Delhi, Sir Thomas Roe, an seine
Londoner Auftraggeber: "Selbst wenn der Kaiser mir zehn Forts zur Verfügung
stellen wollte, ich würde nicht eins annehmen. Wenn Sie zu verdienen wünschen,
suchen Sie den Gewinn zur See und im friedlichen Handel*)."

Erst der den Engländern von den Franzosen aufgedrängte Entscheidungs¬
kampf um Indien zeigte der Welt, daß die Londoner Handelsherren, wenn es
not tat, auch nach höheren Gesichtspunkten handeln konnten, und daß in ihnen
ein besserer Kern steckte als in den Pariser Krämerseelen. Durch den Sieg bei
Plasseu*") (am 23. Juni 1756) gewann der geniale Clive der englisch-ostindischen
Kompagnie die Provinz Bengalen und tat so den ersten Schritt auf dem langen
Wege, der vom demütigen, an der Küste kaum geduldeten Kaufmann zum stolzen
Beherrscher Indiens führte.

Nun sind fünfundfünfzig Jahre vergangen seit den Kämpfen der mutiny,
den letzten Zuckungen des sich gegen die Fremdherrschaft auflehnenden Riesen¬
reiches. Kein Wunder, daß man nun auch die Zeit für gekommen hält, um
den letzten Schein zu verwischen, als ruhe Englands Herrschaft nur auf seinen
Schiffen und auf der Tragweite ihrer Kanonen.

Wie in grauer Vorzeit, so sieht noch heute das indische Volk Delhi als die
einzige rechtmäßige Hauptstadt des Landes an. Jeder der vielen Eroberer, die
seit Mohamed von Ghor aus den afghanischen Bergen hervorbrachen, um die
Herrschaft über die reichen Ebenen an sich zu reißen, beeilte sich stets, seine
Hand auf Delhi zu legen. Wurde erst in den dortigen Moscheen das Freitags¬
gebet für ihn gesprochen, so konnte er seine Herrschaft meist als gesichert
betrachten. In den Augen des stark an äußeren Formen und äußerem Prunk
hängenden Volkes kann also das Ansehen der Engländer nur wachsen, wenn
der englische Vizekönig in aller Form von dem verwaisten Kaiserthron Besitz
ergreift, wenn in der Ebene an der Dschumna, die schon manche Dynastie




"1 In demselben Bericht macht der Gesandte eine für die Zustände in, Reiche des Gro߬
moguls recht charakteristische Bemerkung: "Uhu no v-V stisll corrupt all den's court to be
your Slaves."
Der Ort heißt eigentlich P-Mi. Clive schlug hier mit einem Heer von nur drei¬
tausend Mann, darunter nur tausend Engländern, ein dreißigtausend Mann starkes Heer
des Nawabs Suradsch-e-Dankes von Bengalen und dessen französische Hilfstruppen. Aller¬
dings hatte Clive diesen Erfolg durch ein ganzes System von Bestechungen und Intrigen
vorbereitet.
Die Engländer in Indien

Küste die ersten englischen Handelsfaktoreien wie Surat (1611), Madras (1626),
Bombay (1661) und Kalkutta (1686).

Auf Eroberungen hatte man es bei diesen Gründungen nicht abgesehen.
Die Leiter des ganzen Unternehmens, „tke court of c!ireetor8", waren Londoner
Kaufleute, und dieses Kollegium konnte recht unangenehm werden, wenn die
Einkünfte der Faktoreien mager ausfielen oder gar infolge kostspieliger Kriegszüge
Zuzahlungen aus der Tasche der Aktionäre erforderten. So schrieb im Jahre
1616 der Agent der Kompagnie am Hof zu Delhi, Sir Thomas Roe, an seine
Londoner Auftraggeber: „Selbst wenn der Kaiser mir zehn Forts zur Verfügung
stellen wollte, ich würde nicht eins annehmen. Wenn Sie zu verdienen wünschen,
suchen Sie den Gewinn zur See und im friedlichen Handel*)."

Erst der den Engländern von den Franzosen aufgedrängte Entscheidungs¬
kampf um Indien zeigte der Welt, daß die Londoner Handelsherren, wenn es
not tat, auch nach höheren Gesichtspunkten handeln konnten, und daß in ihnen
ein besserer Kern steckte als in den Pariser Krämerseelen. Durch den Sieg bei
Plasseu*") (am 23. Juni 1756) gewann der geniale Clive der englisch-ostindischen
Kompagnie die Provinz Bengalen und tat so den ersten Schritt auf dem langen
Wege, der vom demütigen, an der Küste kaum geduldeten Kaufmann zum stolzen
Beherrscher Indiens führte.

Nun sind fünfundfünfzig Jahre vergangen seit den Kämpfen der mutiny,
den letzten Zuckungen des sich gegen die Fremdherrschaft auflehnenden Riesen¬
reiches. Kein Wunder, daß man nun auch die Zeit für gekommen hält, um
den letzten Schein zu verwischen, als ruhe Englands Herrschaft nur auf seinen
Schiffen und auf der Tragweite ihrer Kanonen.

Wie in grauer Vorzeit, so sieht noch heute das indische Volk Delhi als die
einzige rechtmäßige Hauptstadt des Landes an. Jeder der vielen Eroberer, die
seit Mohamed von Ghor aus den afghanischen Bergen hervorbrachen, um die
Herrschaft über die reichen Ebenen an sich zu reißen, beeilte sich stets, seine
Hand auf Delhi zu legen. Wurde erst in den dortigen Moscheen das Freitags¬
gebet für ihn gesprochen, so konnte er seine Herrschaft meist als gesichert
betrachten. In den Augen des stark an äußeren Formen und äußerem Prunk
hängenden Volkes kann also das Ansehen der Engländer nur wachsen, wenn
der englische Vizekönig in aller Form von dem verwaisten Kaiserthron Besitz
ergreift, wenn in der Ebene an der Dschumna, die schon manche Dynastie




"1 In demselben Bericht macht der Gesandte eine für die Zustände in, Reiche des Gro߬
moguls recht charakteristische Bemerkung: „Uhu no v-V stisll corrupt all den's court to be
your Slaves."
Der Ort heißt eigentlich P-Mi. Clive schlug hier mit einem Heer von nur drei¬
tausend Mann, darunter nur tausend Engländern, ein dreißigtausend Mann starkes Heer
des Nawabs Suradsch-e-Dankes von Bengalen und dessen französische Hilfstruppen. Aller¬
dings hatte Clive diesen Erfolg durch ein ganzes System von Bestechungen und Intrigen
vorbereitet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0089" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324959"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Engländer in Indien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_241" prev="#ID_240"> Küste die ersten englischen Handelsfaktoreien wie Surat (1611), Madras (1626),<lb/>
Bombay (1661) und Kalkutta (1686).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_242"> Auf Eroberungen hatte man es bei diesen Gründungen nicht abgesehen.<lb/>
Die Leiter des ganzen Unternehmens, &#x201E;tke court of c!ireetor8", waren Londoner<lb/>
Kaufleute, und dieses Kollegium konnte recht unangenehm werden, wenn die<lb/>
Einkünfte der Faktoreien mager ausfielen oder gar infolge kostspieliger Kriegszüge<lb/>
Zuzahlungen aus der Tasche der Aktionäre erforderten. So schrieb im Jahre<lb/>
1616 der Agent der Kompagnie am Hof zu Delhi, Sir Thomas Roe, an seine<lb/>
Londoner Auftraggeber: &#x201E;Selbst wenn der Kaiser mir zehn Forts zur Verfügung<lb/>
stellen wollte, ich würde nicht eins annehmen. Wenn Sie zu verdienen wünschen,<lb/>
suchen Sie den Gewinn zur See und im friedlichen Handel*)."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_243"> Erst der den Engländern von den Franzosen aufgedrängte Entscheidungs¬<lb/>
kampf um Indien zeigte der Welt, daß die Londoner Handelsherren, wenn es<lb/>
not tat, auch nach höheren Gesichtspunkten handeln konnten, und daß in ihnen<lb/>
ein besserer Kern steckte als in den Pariser Krämerseelen. Durch den Sieg bei<lb/>
Plasseu*") (am 23. Juni 1756) gewann der geniale Clive der englisch-ostindischen<lb/>
Kompagnie die Provinz Bengalen und tat so den ersten Schritt auf dem langen<lb/>
Wege, der vom demütigen, an der Küste kaum geduldeten Kaufmann zum stolzen<lb/>
Beherrscher Indiens führte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_244"> Nun sind fünfundfünfzig Jahre vergangen seit den Kämpfen der mutiny,<lb/>
den letzten Zuckungen des sich gegen die Fremdherrschaft auflehnenden Riesen¬<lb/>
reiches. Kein Wunder, daß man nun auch die Zeit für gekommen hält, um<lb/>
den letzten Schein zu verwischen, als ruhe Englands Herrschaft nur auf seinen<lb/>
Schiffen und auf der Tragweite ihrer Kanonen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_245" next="#ID_246"> Wie in grauer Vorzeit, so sieht noch heute das indische Volk Delhi als die<lb/>
einzige rechtmäßige Hauptstadt des Landes an. Jeder der vielen Eroberer, die<lb/>
seit Mohamed von Ghor aus den afghanischen Bergen hervorbrachen, um die<lb/>
Herrschaft über die reichen Ebenen an sich zu reißen, beeilte sich stets, seine<lb/>
Hand auf Delhi zu legen. Wurde erst in den dortigen Moscheen das Freitags¬<lb/>
gebet für ihn gesprochen, so konnte er seine Herrschaft meist als gesichert<lb/>
betrachten. In den Augen des stark an äußeren Formen und äußerem Prunk<lb/>
hängenden Volkes kann also das Ansehen der Engländer nur wachsen, wenn<lb/>
der englische Vizekönig in aller Form von dem verwaisten Kaiserthron Besitz<lb/>
ergreift, wenn in der Ebene an der Dschumna, die schon manche Dynastie</p><lb/>
          <note xml:id="FID_52" place="foot"> "1 In demselben Bericht macht der Gesandte eine für die Zustände in, Reiche des Gro߬<lb/>
moguls recht charakteristische Bemerkung: &#x201E;Uhu no v-V stisll corrupt all den's court to be<lb/>
your Slaves."</note><lb/>
          <note xml:id="FID_53" place="foot"> Der Ort heißt eigentlich P-Mi. Clive schlug hier mit einem Heer von nur drei¬<lb/>
tausend Mann, darunter nur tausend Engländern, ein dreißigtausend Mann starkes Heer<lb/>
des Nawabs Suradsch-e-Dankes von Bengalen und dessen französische Hilfstruppen. Aller¬<lb/>
dings hatte Clive diesen Erfolg durch ein ganzes System von Bestechungen und Intrigen<lb/>
vorbereitet.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0089] Die Engländer in Indien Küste die ersten englischen Handelsfaktoreien wie Surat (1611), Madras (1626), Bombay (1661) und Kalkutta (1686). Auf Eroberungen hatte man es bei diesen Gründungen nicht abgesehen. Die Leiter des ganzen Unternehmens, „tke court of c!ireetor8", waren Londoner Kaufleute, und dieses Kollegium konnte recht unangenehm werden, wenn die Einkünfte der Faktoreien mager ausfielen oder gar infolge kostspieliger Kriegszüge Zuzahlungen aus der Tasche der Aktionäre erforderten. So schrieb im Jahre 1616 der Agent der Kompagnie am Hof zu Delhi, Sir Thomas Roe, an seine Londoner Auftraggeber: „Selbst wenn der Kaiser mir zehn Forts zur Verfügung stellen wollte, ich würde nicht eins annehmen. Wenn Sie zu verdienen wünschen, suchen Sie den Gewinn zur See und im friedlichen Handel*)." Erst der den Engländern von den Franzosen aufgedrängte Entscheidungs¬ kampf um Indien zeigte der Welt, daß die Londoner Handelsherren, wenn es not tat, auch nach höheren Gesichtspunkten handeln konnten, und daß in ihnen ein besserer Kern steckte als in den Pariser Krämerseelen. Durch den Sieg bei Plasseu*") (am 23. Juni 1756) gewann der geniale Clive der englisch-ostindischen Kompagnie die Provinz Bengalen und tat so den ersten Schritt auf dem langen Wege, der vom demütigen, an der Küste kaum geduldeten Kaufmann zum stolzen Beherrscher Indiens führte. Nun sind fünfundfünfzig Jahre vergangen seit den Kämpfen der mutiny, den letzten Zuckungen des sich gegen die Fremdherrschaft auflehnenden Riesen¬ reiches. Kein Wunder, daß man nun auch die Zeit für gekommen hält, um den letzten Schein zu verwischen, als ruhe Englands Herrschaft nur auf seinen Schiffen und auf der Tragweite ihrer Kanonen. Wie in grauer Vorzeit, so sieht noch heute das indische Volk Delhi als die einzige rechtmäßige Hauptstadt des Landes an. Jeder der vielen Eroberer, die seit Mohamed von Ghor aus den afghanischen Bergen hervorbrachen, um die Herrschaft über die reichen Ebenen an sich zu reißen, beeilte sich stets, seine Hand auf Delhi zu legen. Wurde erst in den dortigen Moscheen das Freitags¬ gebet für ihn gesprochen, so konnte er seine Herrschaft meist als gesichert betrachten. In den Augen des stark an äußeren Formen und äußerem Prunk hängenden Volkes kann also das Ansehen der Engländer nur wachsen, wenn der englische Vizekönig in aller Form von dem verwaisten Kaiserthron Besitz ergreift, wenn in der Ebene an der Dschumna, die schon manche Dynastie "1 In demselben Bericht macht der Gesandte eine für die Zustände in, Reiche des Gro߬ moguls recht charakteristische Bemerkung: „Uhu no v-V stisll corrupt all den's court to be your Slaves." Der Ort heißt eigentlich P-Mi. Clive schlug hier mit einem Heer von nur drei¬ tausend Mann, darunter nur tausend Engländern, ein dreißigtausend Mann starkes Heer des Nawabs Suradsch-e-Dankes von Bengalen und dessen französische Hilfstruppen. Aller¬ dings hatte Clive diesen Erfolg durch ein ganzes System von Bestechungen und Intrigen vorbereitet.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/89
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/89>, abgerufen am 03.07.2024.