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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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dann dürfte Kalkutta, "die Stadt der Paläste", die jetzt schon allsommerlich fast
ausgestorben schien, für immer veröden. Die lange Reihe der Dampfer, die
jetzt die Kais des Huglhi säumen, werden die Sandbänke des tückischen Flusses,
die gefürchtete Bai von Bengalen mit ihren Wirbelstürmen und Nebeln meiden
und sich lieber nach Bombay wenden. Denn dort öffnet der einzige wirklich
gute Hafen Indiens sein weites Becken; dort gibt es keine fieberschwangeren
Sümpfe, wie im Gangesdelta, sondern stets umschmeichelt eine frische Seebrise
den Malabarhill, wo das prunkvolle Governementshouse. die Paläste englischer
Handelsherren und millionenschwerer Parsis sich erheben und die düstern Türme
des Schweigens aus einem Wald von Palmen auf den blauen Ozean hinaus¬
schauen. Aller Verkehr von und zur Hauptstadt wird sich von nun ab dort
konzentrieren. Das schon jetzt fast achthunderttausend Einwohner zählende
Bombay wird der Hafen Delhis und wahrscheinlich die volkreichste Stadt Indiens
werden.

Warum wird nun dieser gewaltsame und wirtschaftlich so folgenschwere Ein¬
griff in die Entwicklung des Landes unternommen?

Der äußeren Gründe ließen sich manche anführen: Delhi hat im Gegensatz
zu Kalkutta ein. gesundes, trockenes Klima. Die fast 2000 Kilometer lange
Reise, die der Hof und die gesamte Zentralregierung jeden Sommer von Kalkutta
nach Simla und zurück unternehmen mußten, wird auf etwa 240 Kilometer
verkürzt: also Verbesserung der sanitären Verhältnisse und eine nicht unbedeutende
Herabsetzung der jährlichen Verwaltungsauslagen. Das hätte aber doch nicht
genügt, um den Entschluß der englischen Regierung zu rechtfertigen. Was den
Ausschlag gab, das waren Erwägungen von höchster politischer Bedeutung, und
um diese recht zu verstehen, sei der Leser freundlichst eingeladen, mir zu einem
Ausflug in die Geschichte der englisch-indischen Beziehungen zu folgen.




Als die ersten Engländer Indien betraten, kamen sie als bescheidene Kauf¬
leute. Gleich den Portugiesen, den Holländern, den Franzosen und den Dänen
schickten sie ihre Gesandten an den Hof der mächtigen Großmugeln. Oft hieß
es dort lange und geduldig warten*) und mannigfache Geschenke und Bestechungen
aufwenden, bis man die ersehnte Konzession schließlich in der Tasche hatte.
Unter großen Mühen und großer Selbstverleugnung entstanden an der indischen



*) Im Jahre 1690 trafen zwei englische Abgesandte, George Weldon und Abraham
Ncwaar, in Delhi ein, um nach einem ungünstig verlaufenen Kampf bei Bombay gegen die
Truppen des Großmoguls Aurcmzib um Frieden und Erneuerung der Handelskonzession zu
bitten, über die Behandlung, die diesen Gesandten zuteil wurde, schreibt", a. ein Franzose-
"Man führte die Gesandten mit auf dem Rücken gebundenen Händen vor den Kaiser und
zwang sie, sich vor ihm auf den Boden zu werfen." (S, Barchou de Penhoen, "^'Incto
sous is ciomination snZlaise". Paris 1844, Band 1, Seite 8.) Ein Bild, welches diese
Szene darstellt, habe ich selbst bei einem indischen Händler in Delhi gesehen. Er zeigte es
aber erst, nachdem er sich überzeugt hatte, daß ich kein Engländer war.

dann dürfte Kalkutta, „die Stadt der Paläste", die jetzt schon allsommerlich fast
ausgestorben schien, für immer veröden. Die lange Reihe der Dampfer, die
jetzt die Kais des Huglhi säumen, werden die Sandbänke des tückischen Flusses,
die gefürchtete Bai von Bengalen mit ihren Wirbelstürmen und Nebeln meiden
und sich lieber nach Bombay wenden. Denn dort öffnet der einzige wirklich
gute Hafen Indiens sein weites Becken; dort gibt es keine fieberschwangeren
Sümpfe, wie im Gangesdelta, sondern stets umschmeichelt eine frische Seebrise
den Malabarhill, wo das prunkvolle Governementshouse. die Paläste englischer
Handelsherren und millionenschwerer Parsis sich erheben und die düstern Türme
des Schweigens aus einem Wald von Palmen auf den blauen Ozean hinaus¬
schauen. Aller Verkehr von und zur Hauptstadt wird sich von nun ab dort
konzentrieren. Das schon jetzt fast achthunderttausend Einwohner zählende
Bombay wird der Hafen Delhis und wahrscheinlich die volkreichste Stadt Indiens
werden.

Warum wird nun dieser gewaltsame und wirtschaftlich so folgenschwere Ein¬
griff in die Entwicklung des Landes unternommen?

Der äußeren Gründe ließen sich manche anführen: Delhi hat im Gegensatz
zu Kalkutta ein. gesundes, trockenes Klima. Die fast 2000 Kilometer lange
Reise, die der Hof und die gesamte Zentralregierung jeden Sommer von Kalkutta
nach Simla und zurück unternehmen mußten, wird auf etwa 240 Kilometer
verkürzt: also Verbesserung der sanitären Verhältnisse und eine nicht unbedeutende
Herabsetzung der jährlichen Verwaltungsauslagen. Das hätte aber doch nicht
genügt, um den Entschluß der englischen Regierung zu rechtfertigen. Was den
Ausschlag gab, das waren Erwägungen von höchster politischer Bedeutung, und
um diese recht zu verstehen, sei der Leser freundlichst eingeladen, mir zu einem
Ausflug in die Geschichte der englisch-indischen Beziehungen zu folgen.




Als die ersten Engländer Indien betraten, kamen sie als bescheidene Kauf¬
leute. Gleich den Portugiesen, den Holländern, den Franzosen und den Dänen
schickten sie ihre Gesandten an den Hof der mächtigen Großmugeln. Oft hieß
es dort lange und geduldig warten*) und mannigfache Geschenke und Bestechungen
aufwenden, bis man die ersehnte Konzession schließlich in der Tasche hatte.
Unter großen Mühen und großer Selbstverleugnung entstanden an der indischen



*) Im Jahre 1690 trafen zwei englische Abgesandte, George Weldon und Abraham
Ncwaar, in Delhi ein, um nach einem ungünstig verlaufenen Kampf bei Bombay gegen die
Truppen des Großmoguls Aurcmzib um Frieden und Erneuerung der Handelskonzession zu
bitten, über die Behandlung, die diesen Gesandten zuteil wurde, schreibt», a. ein Franzose-
„Man führte die Gesandten mit auf dem Rücken gebundenen Händen vor den Kaiser und
zwang sie, sich vor ihm auf den Boden zu werfen." (S, Barchou de Penhoen, „^'Incto
sous is ciomination snZlaise". Paris 1844, Band 1, Seite 8.) Ein Bild, welches diese
Szene darstellt, habe ich selbst bei einem indischen Händler in Delhi gesehen. Er zeigte es
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/88>, abgerufen am 03.07.2024.