Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.Vas seltenste Fremdwort des Unterbewußtseins auf. Schon sie erfährt eine mehr oder weniger gewalt¬ Darauf folgt als zweite Umformung der Ausdruck des Gedankens im "1 Schiller an Lotte, 10. Februar 1790.
Vas seltenste Fremdwort des Unterbewußtseins auf. Schon sie erfährt eine mehr oder weniger gewalt¬ Darauf folgt als zweite Umformung der Ausdruck des Gedankens im "1 Schiller an Lotte, 10. Februar 1790.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0070" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324940"/> <fw type="header" place="top"> Vas seltenste Fremdwort</fw><lb/> <p xml:id="ID_193" prev="#ID_192"> des Unterbewußtseins auf. Schon sie erfährt eine mehr oder weniger gewalt¬<lb/> same Ummodelung, wenn sie in das volle Tageslicht des Bewußtseins geschoben,<lb/> vor das innere Sehfeld der Aufmerksamkeit beschworen und endlich in das<lb/> Prokustesbett der logischen Bearbeitung gezwängt wird, aus dem sie als bewußt<lb/> erfaßter, scharf umrissener Gedanke herauskommt. Diese Divergenz von Idee<lb/> und Gedanke, wie ich die beiden Wörter hier gegensätzlich verstanden wissen<lb/> will, erhellt schon daraus, daß besonders tiefe, denkfremde Ideen von Dichtern<lb/> und Philosophen — es sei an Dantes „Göttliche Komödie" erinnert — mit<lb/> Vorliebe durch Bilder wiedergegeben werden. Solche, rein auf ihre Form<lb/> gerichtete Intuition bewahrt den Ideen noch eher ihre ursprüngliche Einheit und<lb/> Lebendigkeit, indem sie in Symbolen und vergleichsweise sich ihnen von außen<lb/> zu nähern sucht. Sie vermittelt damit gleichsam nur eine Ahnung ihrer Wirkung,<lb/> erzielt dafür aber Farbe und sinnliche Plastik des Ausdrucks, während der<lb/> Gedanke wohl die Idee von innen heraus zu erfassen prätendiere, sie aber<lb/> weder im Grunde erschöpfen noch sinnfällig machen kann. Jedoch ist auch die<lb/> intuitive Jdeenvermittlung nicht ganz frei von den Einflüssen des logischen<lb/> Erkenntnismechanismus. Er behauptet sich mehr oder weniger überall, wo eine<lb/> Idee vermittelt wird, und nicht zuletzt in dem Material der Sprache, die in<lb/> der Art der in ihr ausdrückbaren Beziehungen nur ein getreues Spiegelbild der<lb/> logischen Funktionen darstellt. Der erste Schritt in der Fixierung der einen,<lb/> großen und gleichsam ungeborenen Idee ist also ihre sukzessive Gliederung in<lb/> einzelne Gedanken, eine Gliederung, die sich zugleich mit allen Merkmalen einer<lb/> Umformung vollzieht.</p><lb/> <p xml:id="ID_194" next="#ID_195"> Darauf folgt als zweite Umformung der Ausdruck des Gedankens im<lb/> Wort und zwar zunächst in der konkreten Form des gesprochenen Wortes, die<lb/> ja auch geschichtlich die ursprüngliche und darum einfachste Wortform darstellt.<lb/> Dieser Prozeß der Verlautbarung des Gedankens bedeutet in einem noch viel<lb/> umfassenderen Sinne eine Umformung mit allen Willkürlichkeiten und Unvoll-<lb/> kommenheiten einer solchen. „Die Menschen suchen immer gleich Worte zu<lb/> allem, und durch Worte hintergehen sie sich dann",*) Erstens ist es schon<lb/> quantitativ ausgeschlossen, für alle erdenklichen Dinge gesonderte Zeichen zu<lb/> führen. Die Sprache, namentlich soweit sie den: täglichen Verkehr gewidmet<lb/> ist, stellt daher eigentlich nichts anderes vor als ein Warenlager der gangbarsten<lb/> Futterale, in die wir aus angeborenem Ordnungssinn die Dinge säuberlich nach<lb/> „Nam' und Art" verpacken. D. h. das Wort vernachlässigt grundsätzlich die<lb/> Individualität der Erscheinungen. Wenn diese reale Vieldeutigkeit noch beab¬<lb/> sichtigt sein kann, so enthüllt sich der problematische Charakter des Wortes erst<lb/> ganz in seiner idealen Vieldeutigkeit. Denn das Wort ist qualitativ immer<lb/> nur das Zeichen für einen Gedanken. Da also bei Worten, denen kein real<lb/> aufzeigbares Objekt entspricht, die Zuordnung von Wort und Sinn nur im</p><lb/> <note xml:id="FID_37" place="foot"> "1 Schiller an Lotte, 10. Februar 1790.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0070]
Vas seltenste Fremdwort
des Unterbewußtseins auf. Schon sie erfährt eine mehr oder weniger gewalt¬
same Ummodelung, wenn sie in das volle Tageslicht des Bewußtseins geschoben,
vor das innere Sehfeld der Aufmerksamkeit beschworen und endlich in das
Prokustesbett der logischen Bearbeitung gezwängt wird, aus dem sie als bewußt
erfaßter, scharf umrissener Gedanke herauskommt. Diese Divergenz von Idee
und Gedanke, wie ich die beiden Wörter hier gegensätzlich verstanden wissen
will, erhellt schon daraus, daß besonders tiefe, denkfremde Ideen von Dichtern
und Philosophen — es sei an Dantes „Göttliche Komödie" erinnert — mit
Vorliebe durch Bilder wiedergegeben werden. Solche, rein auf ihre Form
gerichtete Intuition bewahrt den Ideen noch eher ihre ursprüngliche Einheit und
Lebendigkeit, indem sie in Symbolen und vergleichsweise sich ihnen von außen
zu nähern sucht. Sie vermittelt damit gleichsam nur eine Ahnung ihrer Wirkung,
erzielt dafür aber Farbe und sinnliche Plastik des Ausdrucks, während der
Gedanke wohl die Idee von innen heraus zu erfassen prätendiere, sie aber
weder im Grunde erschöpfen noch sinnfällig machen kann. Jedoch ist auch die
intuitive Jdeenvermittlung nicht ganz frei von den Einflüssen des logischen
Erkenntnismechanismus. Er behauptet sich mehr oder weniger überall, wo eine
Idee vermittelt wird, und nicht zuletzt in dem Material der Sprache, die in
der Art der in ihr ausdrückbaren Beziehungen nur ein getreues Spiegelbild der
logischen Funktionen darstellt. Der erste Schritt in der Fixierung der einen,
großen und gleichsam ungeborenen Idee ist also ihre sukzessive Gliederung in
einzelne Gedanken, eine Gliederung, die sich zugleich mit allen Merkmalen einer
Umformung vollzieht.
Darauf folgt als zweite Umformung der Ausdruck des Gedankens im
Wort und zwar zunächst in der konkreten Form des gesprochenen Wortes, die
ja auch geschichtlich die ursprüngliche und darum einfachste Wortform darstellt.
Dieser Prozeß der Verlautbarung des Gedankens bedeutet in einem noch viel
umfassenderen Sinne eine Umformung mit allen Willkürlichkeiten und Unvoll-
kommenheiten einer solchen. „Die Menschen suchen immer gleich Worte zu
allem, und durch Worte hintergehen sie sich dann",*) Erstens ist es schon
quantitativ ausgeschlossen, für alle erdenklichen Dinge gesonderte Zeichen zu
führen. Die Sprache, namentlich soweit sie den: täglichen Verkehr gewidmet
ist, stellt daher eigentlich nichts anderes vor als ein Warenlager der gangbarsten
Futterale, in die wir aus angeborenem Ordnungssinn die Dinge säuberlich nach
„Nam' und Art" verpacken. D. h. das Wort vernachlässigt grundsätzlich die
Individualität der Erscheinungen. Wenn diese reale Vieldeutigkeit noch beab¬
sichtigt sein kann, so enthüllt sich der problematische Charakter des Wortes erst
ganz in seiner idealen Vieldeutigkeit. Denn das Wort ist qualitativ immer
nur das Zeichen für einen Gedanken. Da also bei Worten, denen kein real
aufzeigbares Objekt entspricht, die Zuordnung von Wort und Sinn nur im
"1 Schiller an Lotte, 10. Februar 1790.
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