Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.Alfred vo" Riderlen-tvaechtor berufen wurde, aber von einer Ernennung zum Staatssekretär wollte er zunächst Anders mit Kiderlens Verhältnis zum Kaiser. Ganz war es ihm bis zu Das grausame Geschick hat es Kiderlen weder gegönnt, die volle Freund¬ Alfred vo» Riderlen-tvaechtor berufen wurde, aber von einer Ernennung zum Staatssekretär wollte er zunächst Anders mit Kiderlens Verhältnis zum Kaiser. Ganz war es ihm bis zu Das grausame Geschick hat es Kiderlen weder gegönnt, die volle Freund¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0065" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324935"/> <fw type="header" place="top"> Alfred vo» Riderlen-tvaechtor</fw><lb/> <p xml:id="ID_177" prev="#ID_176"> berufen wurde, aber von einer Ernennung zum Staatssekretär wollte er zunächst<lb/> noch nichts wissen. Erst als Fürst Bülow abtrat und der jetzige Kanzler an<lb/> seinen Platz rückte und sich energisch für die Berufung Kiderlens einsetzte, wurde<lb/> er an das Steuer des Reichsschiffs gestellt, spät zwar, aber doch nicht zu spät.<lb/> Herr von Bethmann hat sein Eintreten niemals bereut und oft genug spontan<lb/> seine Bewunderung zum Ausdruck gebracht, die Kiderlens Kühnheit der Gedanken<lb/> wie der Entschlüsse gepaart mit außergewöhnlicher Detailkenntnis ihm abnötigten.<lb/> Und damit fällt auch alles jenes Gerede in sich zusammen, das von Mißver¬<lb/> ständnissen zwischen dem Leiter der auswärtigen Politik und seinem Cheftechniker<lb/> wissen wollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_178"> Anders mit Kiderlens Verhältnis zum Kaiser. Ganz war es ihm bis zu<lb/> seinem Tode nicht gelungen, die Zuneigung seines kaiserlichen Herrn wiederzu¬<lb/> gewinnen, obwohl sich im Laufe der Zeit immer bessere Beziehungen zwischen<lb/> den beiden spröden Charakteren entwickelten. Aber die Widerstände am Hofe<lb/> und mächtige Einflüsterungen blieben stärker als selbst des Kaisers guter Wille.<lb/> So ist es denn auch nie zu solchem persönlichen Verkehr zwischen dem Kaiser<lb/> und dem Leiter des Auswärtigen Amts gekommen, wie er zu Zeiten Richt-<lb/> hofens stattfand. Aber viele kleine Vorgange und Züge lassen darauf<lb/> schließen, daß der Kaiser je länger um so mehr erfüllt ward von Wert¬<lb/> schätzung für den sich in seinem Können immer mächtiger entfaltenden Staats-<lb/> mann. Kiderlen selbst hat unter diesem Verhältnis schwer gelitten, wenn er<lb/> es auch nicht ohne weiteres zugab, wie er sich überhaupt hütete, zartere Regungen<lb/> seines Charakters zu verraten, wodurch er rauher erschien als er tatsächlich<lb/> war. Und wenn er im vergangenen Sommer gelegentlich ausrief: „Überlassen<lb/> wir es der Zeit, auch der Kaiser wird einmal anders über meine angeblichen<lb/> Versündigungen urteilen", so klang mir daraus doch der Douglasschrei hervor,<lb/> der auch unsern Ritter nur ehren kann.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_179" next="#ID_180"> Das grausame Geschick hat es Kiderlen weder gegönnt, die volle Freund¬<lb/> schaft seines kaiserlichen Herrn zurückzugewinnen, noch durfte er den begonnenen<lb/> Bau vollenden. Mitten aus seinem Streben heraus hat der Tod ihn gerissen,<lb/> und es ist nicht leicht, sich ohne weiteres auf dem Bauplatz zurechtzufinden,<lb/> auf dem er wirkte, oder gar ein abschließendes Urteil über das beabsichtigte<lb/> Werk zu fällen. Darum darf es auch nicht meine Absicht sein, die aus¬<lb/> wärtige Politik Kiderlens heute schon darstellen zu wollen. Das wird Auf¬<lb/> gabe des Historikers sein. Aber überblicken wir vorurteilsfrei den ver¬<lb/> lassenen Platz, mit seinen Ausschachtungen, abgebrochenen Mauern, zusammen¬<lb/> gestellten oder verworfenen Steinen und sonstigen Materialien, sehen wir uns<lb/> schließlich die von ihm gewählten Gehilfen an, die nun den Bau weiter¬<lb/> führen sollen, und erinnern wir uns gelegentlicher Mitteilungen aus dem Munde<lb/> des Meisters selbst, dann wachsen auch vor dem geistigen Auge des Feuer-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0065]
Alfred vo» Riderlen-tvaechtor
berufen wurde, aber von einer Ernennung zum Staatssekretär wollte er zunächst
noch nichts wissen. Erst als Fürst Bülow abtrat und der jetzige Kanzler an
seinen Platz rückte und sich energisch für die Berufung Kiderlens einsetzte, wurde
er an das Steuer des Reichsschiffs gestellt, spät zwar, aber doch nicht zu spät.
Herr von Bethmann hat sein Eintreten niemals bereut und oft genug spontan
seine Bewunderung zum Ausdruck gebracht, die Kiderlens Kühnheit der Gedanken
wie der Entschlüsse gepaart mit außergewöhnlicher Detailkenntnis ihm abnötigten.
Und damit fällt auch alles jenes Gerede in sich zusammen, das von Mißver¬
ständnissen zwischen dem Leiter der auswärtigen Politik und seinem Cheftechniker
wissen wollte.
Anders mit Kiderlens Verhältnis zum Kaiser. Ganz war es ihm bis zu
seinem Tode nicht gelungen, die Zuneigung seines kaiserlichen Herrn wiederzu¬
gewinnen, obwohl sich im Laufe der Zeit immer bessere Beziehungen zwischen
den beiden spröden Charakteren entwickelten. Aber die Widerstände am Hofe
und mächtige Einflüsterungen blieben stärker als selbst des Kaisers guter Wille.
So ist es denn auch nie zu solchem persönlichen Verkehr zwischen dem Kaiser
und dem Leiter des Auswärtigen Amts gekommen, wie er zu Zeiten Richt-
hofens stattfand. Aber viele kleine Vorgange und Züge lassen darauf
schließen, daß der Kaiser je länger um so mehr erfüllt ward von Wert¬
schätzung für den sich in seinem Können immer mächtiger entfaltenden Staats-
mann. Kiderlen selbst hat unter diesem Verhältnis schwer gelitten, wenn er
es auch nicht ohne weiteres zugab, wie er sich überhaupt hütete, zartere Regungen
seines Charakters zu verraten, wodurch er rauher erschien als er tatsächlich
war. Und wenn er im vergangenen Sommer gelegentlich ausrief: „Überlassen
wir es der Zeit, auch der Kaiser wird einmal anders über meine angeblichen
Versündigungen urteilen", so klang mir daraus doch der Douglasschrei hervor,
der auch unsern Ritter nur ehren kann.
Das grausame Geschick hat es Kiderlen weder gegönnt, die volle Freund¬
schaft seines kaiserlichen Herrn zurückzugewinnen, noch durfte er den begonnenen
Bau vollenden. Mitten aus seinem Streben heraus hat der Tod ihn gerissen,
und es ist nicht leicht, sich ohne weiteres auf dem Bauplatz zurechtzufinden,
auf dem er wirkte, oder gar ein abschließendes Urteil über das beabsichtigte
Werk zu fällen. Darum darf es auch nicht meine Absicht sein, die aus¬
wärtige Politik Kiderlens heute schon darstellen zu wollen. Das wird Auf¬
gabe des Historikers sein. Aber überblicken wir vorurteilsfrei den ver¬
lassenen Platz, mit seinen Ausschachtungen, abgebrochenen Mauern, zusammen¬
gestellten oder verworfenen Steinen und sonstigen Materialien, sehen wir uns
schließlich die von ihm gewählten Gehilfen an, die nun den Bau weiter¬
führen sollen, und erinnern wir uns gelegentlicher Mitteilungen aus dem Munde
des Meisters selbst, dann wachsen auch vor dem geistigen Auge des Feuer-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |