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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Alfred von Aiderlen-Waechter

stehenden die klaren Umrisse des Fundaments und das Mauerwerk empor, an
denen sich die Größe des beabsichtigten Werkes sowohl wie die seines Schöpfers
auch schon in diesem Stadium erkennen läßt.

Ich selbst möchte das große Ziel der Kiderlenschen Politik die Europäi¬
sierung der europäischen Politik nennen, was für Deutschland die
Abkehr von einer Allerweltspolitik bedeutet, die unter der Flagge
der Weltpolitik segelte. Konkret ausgedrückt heißt das: Wiederherstellung
einer starken und sicheren strategischen Basis für die deutsche Welt¬
politik mit Einschluß der Kolonialpolitik und infolge dessen Anbahnung
besserer Beziehungen zu den Westmächten England und Frankreich.

Die Art der Aufgabe, die Kiderlen gestellt ward, und die Verfassung, in
der Europa sich kurz vor dem Sturze Bülows und dem Tode König Eduards des
Siebenten befand, zwangen den zunächst interimistischen Leiter des Auswärtigen
Amts von vornherein mit einer gewissen Brutalität zuzugreifen, ohne danach fragen
zu können, ob er damit auch nur bei einer beachtenswerten Minderheit Anklang
finden würde. Es ist selbstverständlich, daß Kiderlens Zwischenkunft nicht nur
mehr oder minder fein gesponnene Netze der Diplomatie zerriß, wie etwa die
Intrigen Jswolskis; auch reale wirtschaftliche Interessen einzelner, die sich unter
jeder noch so ungünstigen Konstellation vorfinden, und bei jedem Wechsel
energisch Berücksichtigung heischen, wurden berührt. Aber der im Zusammen¬
hang damit erhobene Lärm stand in gar keinem Verhältnis zu den angeblichen
Schädigungen. Das hat man auch bald erkannt und fing kürzlich auch damit
an den Nutzen anzuerkennen, den Kiderlens Politik schon jetzt der wirtschaftlichen
Entwicklung Deutschlands gebracht hat. Sehr erschwert wurde seine Situation
den gewerblichen Kreisen des In- und Auslandes gegenüber, als es den Alt¬
deutschen einfiel, den neuen Mann auf ihren Schild zu heben. Von diesen
als Draufgänger begrüßt, erweckte Kiderlen das tiefste Mißtrauen nun auch
aller derer, die zwar mit dem alten System nicht einverstanden waren, aber
von dem neuen nur glaubten Verluste erwarten zu dürfen. Als dann die
Taten des neuen Staatssekretärs nach und nach seine Ziele enthüllten und
er sich als ein friedfertiger und besonnener Mann erwies, der die Grenzen
seiner Macht wohl im Auge behielt, da verlor er zwar unmittelbar den
Beifall der Altdeutschen, aber es dauerte doch noch geraume Zeit, bis aus dem
entgegengesetzten Lager das einmal vorhandene Mißtrauen zu schwinden begann.
Aber wenn selbst die wirklich hervorragende Besonnenheit, mit der Kiderlen
die Fäden der Balkankrise zum Heile des Vaterlandes dirigierte, es nicht ver-
mochte alles Mißtrauen zu beseitigen, so ist daran zweifellos in erster Linie der
Mangel in der Maschinerie unseres Pressedienstes schuld, an dem Kiderlen einen
sehr wesentlichen Teil der Verantwortung mitträgt. Und darin liegt denn auch
die Tragik seines frühzeitigen Heimganges: sein Werk werden andere Hände
vollenden, vielleicht solche, die seinen Weisungen nur widerwillig folgten; die
öffentliche Meinung wird darum wohl kaum je ein klares Bild von der Be-


Alfred von Aiderlen-Waechter

stehenden die klaren Umrisse des Fundaments und das Mauerwerk empor, an
denen sich die Größe des beabsichtigten Werkes sowohl wie die seines Schöpfers
auch schon in diesem Stadium erkennen läßt.

Ich selbst möchte das große Ziel der Kiderlenschen Politik die Europäi¬
sierung der europäischen Politik nennen, was für Deutschland die
Abkehr von einer Allerweltspolitik bedeutet, die unter der Flagge
der Weltpolitik segelte. Konkret ausgedrückt heißt das: Wiederherstellung
einer starken und sicheren strategischen Basis für die deutsche Welt¬
politik mit Einschluß der Kolonialpolitik und infolge dessen Anbahnung
besserer Beziehungen zu den Westmächten England und Frankreich.

Die Art der Aufgabe, die Kiderlen gestellt ward, und die Verfassung, in
der Europa sich kurz vor dem Sturze Bülows und dem Tode König Eduards des
Siebenten befand, zwangen den zunächst interimistischen Leiter des Auswärtigen
Amts von vornherein mit einer gewissen Brutalität zuzugreifen, ohne danach fragen
zu können, ob er damit auch nur bei einer beachtenswerten Minderheit Anklang
finden würde. Es ist selbstverständlich, daß Kiderlens Zwischenkunft nicht nur
mehr oder minder fein gesponnene Netze der Diplomatie zerriß, wie etwa die
Intrigen Jswolskis; auch reale wirtschaftliche Interessen einzelner, die sich unter
jeder noch so ungünstigen Konstellation vorfinden, und bei jedem Wechsel
energisch Berücksichtigung heischen, wurden berührt. Aber der im Zusammen¬
hang damit erhobene Lärm stand in gar keinem Verhältnis zu den angeblichen
Schädigungen. Das hat man auch bald erkannt und fing kürzlich auch damit
an den Nutzen anzuerkennen, den Kiderlens Politik schon jetzt der wirtschaftlichen
Entwicklung Deutschlands gebracht hat. Sehr erschwert wurde seine Situation
den gewerblichen Kreisen des In- und Auslandes gegenüber, als es den Alt¬
deutschen einfiel, den neuen Mann auf ihren Schild zu heben. Von diesen
als Draufgänger begrüßt, erweckte Kiderlen das tiefste Mißtrauen nun auch
aller derer, die zwar mit dem alten System nicht einverstanden waren, aber
von dem neuen nur glaubten Verluste erwarten zu dürfen. Als dann die
Taten des neuen Staatssekretärs nach und nach seine Ziele enthüllten und
er sich als ein friedfertiger und besonnener Mann erwies, der die Grenzen
seiner Macht wohl im Auge behielt, da verlor er zwar unmittelbar den
Beifall der Altdeutschen, aber es dauerte doch noch geraume Zeit, bis aus dem
entgegengesetzten Lager das einmal vorhandene Mißtrauen zu schwinden begann.
Aber wenn selbst die wirklich hervorragende Besonnenheit, mit der Kiderlen
die Fäden der Balkankrise zum Heile des Vaterlandes dirigierte, es nicht ver-
mochte alles Mißtrauen zu beseitigen, so ist daran zweifellos in erster Linie der
Mangel in der Maschinerie unseres Pressedienstes schuld, an dem Kiderlen einen
sehr wesentlichen Teil der Verantwortung mitträgt. Und darin liegt denn auch
die Tragik seines frühzeitigen Heimganges: sein Werk werden andere Hände
vollenden, vielleicht solche, die seinen Weisungen nur widerwillig folgten; die
öffentliche Meinung wird darum wohl kaum je ein klares Bild von der Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/66>, abgerufen am 22.07.2024.