Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Diplomaten-Erziehung

gestellt, wie der folgende an seinen Schwager, Obersten von Lattre*), gerichtete
Brief beweist,

"Berlin, den 29. Juli 1879.


Lieber Artur.

... Ich habe neuerdings im Ministerium bei Abteilung II, Konsulats¬
abteilung, in der ich wie alle Anfänger arbeite, gefragt, ob ich nicht auch dem¬
nächst Diäten bekomme. Es wurde mir erwidert, daß ich 60 Taler monatlich
sogar noch vom 1. Juli an gerechnet haben könne, wenn ich mich bestimmt für
die Konsulatskarriere entschließe, man habe mich bisher immer seitens der Ab¬
teilung als eventuellen Diplomaten betrachtet. -- Wenn nun auch diese Abteilung
darin nichts zu sagen hat, so ist es doch möglich, daß man auch in der anderen
Abteilung obiger Ansicht ist und möchte ich in dieser Beziehung mit dem
Geh. Rat Bülow, der momentan aber beim Kaiser ist, sprechen. Bevor ich das
kann, muß ich aber Mamas Ansicht kennen.

Ich bitte Dich nun, da dieses mündlich besser geht, mit Mama die Sache
zu besprechen. Du kennst die Vor- und Nachteile schon ans Buddenbrocks
Gesprächen:

Beim Konsulat ist es momentan zwar übersetzt, aber es werden immer
wieder neue Stellen geschaffen, man kommt rasch in eine pekuniär selbständige
Stellung, muß aber aller Wahrscheinlichkeit nach zu irgendeiner wilden, über¬
seeischen Völkerschaft.

Bei der Diplomatie augenblicklich wenig Leute, so daß man in kurzem,
etwa ein halbes Jahr, Legationssekretär werden kann, was man aber unter
Umständen lange bleibt; Möglichkeit bälder ein Generalkonsulat zu bekommen.

Als Legationssekretär hat man 2000 Taler Gehalt, braucht noch 1000
bis 1200 Taler Zulage in den großen Städten..."

Diese, höchst geschickt für den Charakter der Mutter berechneten Zeilen
verfehlen ihr Ziel nicht. Frau von Kiderlen-Wächter gibt ihre Einwilligung
zum übertritt in die Diplomatie. Doch erst am 12. Oktober kommt Kiderlen
wieder auf seine Zukunft zu sprechen. Die Mitteilung von einer Abendgesellschaft
bei seinem "nächsten Chef", Legationsrat von Nichthofen, dem späteren Staats¬
sekretär, bringt ihn darauf:

Die Einladungen fangen jetzt auch wieder an: am Mittwoch Abend war
ich bei meinem nächsten Chef Legationsrat von Nichthofen eingeladen; seine
Frau ist eine geborene von Hartmann, Tochter des verstorbenen Generals der
Kavallerie, Gouverneurs von Straßburg. Am Donnerstag war ich zum Diner
bei Geheimrat Goering. -- Achtzehn Personen, außer dem Präsidenten des
.Heimweh- oder Heimatsamtes' König nebst Frau, lauter Auswärtiges Amt. . .
..................... Daß Staatssekretär von Bülow einen sechs¬
monatlichen Urlaub hat, wirst Du gelesen haben; er sieht sehr schlecht aus (ich



1881 bis 1386 als Generalinspekteur der preußischen Kadettenhnuser,
Diplomaten-Erziehung

gestellt, wie der folgende an seinen Schwager, Obersten von Lattre*), gerichtete
Brief beweist,

„Berlin, den 29. Juli 1879.


Lieber Artur.

... Ich habe neuerdings im Ministerium bei Abteilung II, Konsulats¬
abteilung, in der ich wie alle Anfänger arbeite, gefragt, ob ich nicht auch dem¬
nächst Diäten bekomme. Es wurde mir erwidert, daß ich 60 Taler monatlich
sogar noch vom 1. Juli an gerechnet haben könne, wenn ich mich bestimmt für
die Konsulatskarriere entschließe, man habe mich bisher immer seitens der Ab¬
teilung als eventuellen Diplomaten betrachtet. — Wenn nun auch diese Abteilung
darin nichts zu sagen hat, so ist es doch möglich, daß man auch in der anderen
Abteilung obiger Ansicht ist und möchte ich in dieser Beziehung mit dem
Geh. Rat Bülow, der momentan aber beim Kaiser ist, sprechen. Bevor ich das
kann, muß ich aber Mamas Ansicht kennen.

Ich bitte Dich nun, da dieses mündlich besser geht, mit Mama die Sache
zu besprechen. Du kennst die Vor- und Nachteile schon ans Buddenbrocks
Gesprächen:

Beim Konsulat ist es momentan zwar übersetzt, aber es werden immer
wieder neue Stellen geschaffen, man kommt rasch in eine pekuniär selbständige
Stellung, muß aber aller Wahrscheinlichkeit nach zu irgendeiner wilden, über¬
seeischen Völkerschaft.

Bei der Diplomatie augenblicklich wenig Leute, so daß man in kurzem,
etwa ein halbes Jahr, Legationssekretär werden kann, was man aber unter
Umständen lange bleibt; Möglichkeit bälder ein Generalkonsulat zu bekommen.

Als Legationssekretär hat man 2000 Taler Gehalt, braucht noch 1000
bis 1200 Taler Zulage in den großen Städten..."

Diese, höchst geschickt für den Charakter der Mutter berechneten Zeilen
verfehlen ihr Ziel nicht. Frau von Kiderlen-Wächter gibt ihre Einwilligung
zum übertritt in die Diplomatie. Doch erst am 12. Oktober kommt Kiderlen
wieder auf seine Zukunft zu sprechen. Die Mitteilung von einer Abendgesellschaft
bei seinem „nächsten Chef", Legationsrat von Nichthofen, dem späteren Staats¬
sekretär, bringt ihn darauf:

Die Einladungen fangen jetzt auch wieder an: am Mittwoch Abend war
ich bei meinem nächsten Chef Legationsrat von Nichthofen eingeladen; seine
Frau ist eine geborene von Hartmann, Tochter des verstorbenen Generals der
Kavallerie, Gouverneurs von Straßburg. Am Donnerstag war ich zum Diner
bei Geheimrat Goering. — Achtzehn Personen, außer dem Präsidenten des
.Heimweh- oder Heimatsamtes' König nebst Frau, lauter Auswärtiges Amt. . .
..................... Daß Staatssekretär von Bülow einen sechs¬
monatlichen Urlaub hat, wirst Du gelesen haben; er sieht sehr schlecht aus (ich



1881 bis 1386 als Generalinspekteur der preußischen Kadettenhnuser,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0601" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325471"/>
          <fw type="header" place="top"> Diplomaten-Erziehung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2799" prev="#ID_2798"> gestellt, wie der folgende an seinen Schwager, Obersten von Lattre*), gerichtete<lb/>
Brief beweist,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2800"> &#x201E;Berlin, den 29. Juli 1879.</p><lb/>
          <note type="salute"> Lieber Artur.</note><lb/>
          <p xml:id="ID_2801"> ... Ich habe neuerdings im Ministerium bei Abteilung II, Konsulats¬<lb/>
abteilung, in der ich wie alle Anfänger arbeite, gefragt, ob ich nicht auch dem¬<lb/>
nächst Diäten bekomme. Es wurde mir erwidert, daß ich 60 Taler monatlich<lb/>
sogar noch vom 1. Juli an gerechnet haben könne, wenn ich mich bestimmt für<lb/>
die Konsulatskarriere entschließe, man habe mich bisher immer seitens der Ab¬<lb/>
teilung als eventuellen Diplomaten betrachtet. &#x2014; Wenn nun auch diese Abteilung<lb/>
darin nichts zu sagen hat, so ist es doch möglich, daß man auch in der anderen<lb/>
Abteilung obiger Ansicht ist und möchte ich in dieser Beziehung mit dem<lb/>
Geh. Rat Bülow, der momentan aber beim Kaiser ist, sprechen. Bevor ich das<lb/>
kann, muß ich aber Mamas Ansicht kennen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2802"> Ich bitte Dich nun, da dieses mündlich besser geht, mit Mama die Sache<lb/>
zu besprechen. Du kennst die Vor- und Nachteile schon ans Buddenbrocks<lb/>
Gesprächen:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2803"> Beim Konsulat ist es momentan zwar übersetzt, aber es werden immer<lb/>
wieder neue Stellen geschaffen, man kommt rasch in eine pekuniär selbständige<lb/>
Stellung, muß aber aller Wahrscheinlichkeit nach zu irgendeiner wilden, über¬<lb/>
seeischen Völkerschaft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2804"> Bei der Diplomatie augenblicklich wenig Leute, so daß man in kurzem,<lb/>
etwa ein halbes Jahr, Legationssekretär werden kann, was man aber unter<lb/>
Umständen lange bleibt; Möglichkeit bälder ein Generalkonsulat zu bekommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2805"> Als Legationssekretär hat man 2000 Taler Gehalt, braucht noch 1000<lb/>
bis 1200 Taler Zulage in den großen Städten..."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2806"> Diese, höchst geschickt für den Charakter der Mutter berechneten Zeilen<lb/>
verfehlen ihr Ziel nicht. Frau von Kiderlen-Wächter gibt ihre Einwilligung<lb/>
zum übertritt in die Diplomatie. Doch erst am 12. Oktober kommt Kiderlen<lb/>
wieder auf seine Zukunft zu sprechen. Die Mitteilung von einer Abendgesellschaft<lb/>
bei seinem &#x201E;nächsten Chef", Legationsrat von Nichthofen, dem späteren Staats¬<lb/>
sekretär, bringt ihn darauf:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2807" next="#ID_2808"> Die Einladungen fangen jetzt auch wieder an: am Mittwoch Abend war<lb/>
ich bei meinem nächsten Chef Legationsrat von Nichthofen eingeladen; seine<lb/>
Frau ist eine geborene von Hartmann, Tochter des verstorbenen Generals der<lb/>
Kavallerie, Gouverneurs von Straßburg. Am Donnerstag war ich zum Diner<lb/>
bei Geheimrat Goering. &#x2014; Achtzehn Personen, außer dem Präsidenten des<lb/>
.Heimweh- oder Heimatsamtes' König nebst Frau, lauter Auswärtiges Amt. . .<lb/>
..................... Daß Staatssekretär von Bülow einen sechs¬<lb/>
monatlichen Urlaub hat, wirst Du gelesen haben; er sieht sehr schlecht aus (ich</p><lb/>
          <note xml:id="FID_131" place="foot"> 1881 bis 1386 als Generalinspekteur der preußischen Kadettenhnuser,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0601] Diplomaten-Erziehung gestellt, wie der folgende an seinen Schwager, Obersten von Lattre*), gerichtete Brief beweist, „Berlin, den 29. Juli 1879. Lieber Artur. ... Ich habe neuerdings im Ministerium bei Abteilung II, Konsulats¬ abteilung, in der ich wie alle Anfänger arbeite, gefragt, ob ich nicht auch dem¬ nächst Diäten bekomme. Es wurde mir erwidert, daß ich 60 Taler monatlich sogar noch vom 1. Juli an gerechnet haben könne, wenn ich mich bestimmt für die Konsulatskarriere entschließe, man habe mich bisher immer seitens der Ab¬ teilung als eventuellen Diplomaten betrachtet. — Wenn nun auch diese Abteilung darin nichts zu sagen hat, so ist es doch möglich, daß man auch in der anderen Abteilung obiger Ansicht ist und möchte ich in dieser Beziehung mit dem Geh. Rat Bülow, der momentan aber beim Kaiser ist, sprechen. Bevor ich das kann, muß ich aber Mamas Ansicht kennen. Ich bitte Dich nun, da dieses mündlich besser geht, mit Mama die Sache zu besprechen. Du kennst die Vor- und Nachteile schon ans Buddenbrocks Gesprächen: Beim Konsulat ist es momentan zwar übersetzt, aber es werden immer wieder neue Stellen geschaffen, man kommt rasch in eine pekuniär selbständige Stellung, muß aber aller Wahrscheinlichkeit nach zu irgendeiner wilden, über¬ seeischen Völkerschaft. Bei der Diplomatie augenblicklich wenig Leute, so daß man in kurzem, etwa ein halbes Jahr, Legationssekretär werden kann, was man aber unter Umständen lange bleibt; Möglichkeit bälder ein Generalkonsulat zu bekommen. Als Legationssekretär hat man 2000 Taler Gehalt, braucht noch 1000 bis 1200 Taler Zulage in den großen Städten..." Diese, höchst geschickt für den Charakter der Mutter berechneten Zeilen verfehlen ihr Ziel nicht. Frau von Kiderlen-Wächter gibt ihre Einwilligung zum übertritt in die Diplomatie. Doch erst am 12. Oktober kommt Kiderlen wieder auf seine Zukunft zu sprechen. Die Mitteilung von einer Abendgesellschaft bei seinem „nächsten Chef", Legationsrat von Nichthofen, dem späteren Staats¬ sekretär, bringt ihn darauf: Die Einladungen fangen jetzt auch wieder an: am Mittwoch Abend war ich bei meinem nächsten Chef Legationsrat von Nichthofen eingeladen; seine Frau ist eine geborene von Hartmann, Tochter des verstorbenen Generals der Kavallerie, Gouverneurs von Straßburg. Am Donnerstag war ich zum Diner bei Geheimrat Goering. — Achtzehn Personen, außer dem Präsidenten des .Heimweh- oder Heimatsamtes' König nebst Frau, lauter Auswärtiges Amt. . . ..................... Daß Staatssekretär von Bülow einen sechs¬ monatlichen Urlaub hat, wirst Du gelesen haben; er sieht sehr schlecht aus (ich 1881 bis 1386 als Generalinspekteur der preußischen Kadettenhnuser,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/601
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/601>, abgerufen am 22.07.2024.