Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Diplomaten-Erziehung

Heroen gezählt werden konnte. Bismarcks Geschick bestand vornehmlich darin,
seinen Mitarbeitern nie mehr zuzumuten als sie körperlich, geistig und
moralisch leisten konnten und sie im Auslande so zusammen zu spannen, daß
sie einander ergänzten. Eine schwere Enttäuschung hat er wohl nur mit Arnim
erlebt, dessen Ehrgeiz er doch noch unterschätzt hatte, -- Fehlgriffe waren es,
den General Schweinitz mit Graf Redern in Petersburg oder den Fürsten
Münster und Kiderlen - Waechter in Paris zusammen zu bringen. Solche
Fehlgriffe aber wurden nur nach sachlichen Gesichtspunkten korrigiert: Redern
wurde seinerzeit nach Wien, Kiderlen von Paris nach Konstantinopel versetzt.

Unter den in Deutschland herrschenden Zuständen wird man nach der Zeit
Bismarcks nicht mehr von einheitlichen Gesichtspunkten bei der Auswahl des
Diplomatennachwuchses sprechen dürfen. Bismarck war auch der letzte Leiter
der deutschen Politik, der versuchte, seine Diplomaten für die politischen Auf¬
gaben, die er sich gesteckt hatte, persönlich auszuwählen und zu erziehen. Seine
Nachfolger, mögen sie nun Reichskanzler oder Staatssekretäre gewesen sein, sind
nicht dazu gekommen. Ob sie dazu noch keine Zeit gefunden hatten, ob sie sich
in betreff des Materials in zu starker Abhängigkeit vom Hofe befunden haben,
-- genug, wir bemerken von einem stabilen System unter den Nachfolgern Bis¬
marcks nichts, wohl aber ein allmähliges Erstarken der verschiedensten, außerhalb
des auswärtigen Dienstes liegenden Einflüsse, gegen die erst Kiderlen wieder,
nicht ohne allen Erfolg mit der ganzen ihm zu Gebote stehenden Rauheit Front
gemacht hat.

Bismarck ist dennoch weder dem Vorwurf entgangen, einen der Sache
abträglichen Nepotismus großgezogen, noch dem, sich nicht genügend um
sein Personal gekümmert zu haben. Dafür, daß er in den letzten Jahrzehnten
seiner Amtszeit seinem Sohn Herbert vielfach in Personalfragen folgte, hat
man ihn sogar bei Hofe verdächtigt, eine "Dynastie Bismarck" heranziehen zu
wollen.

Zu den letzten Schülern des Fürsten Bismarck, die in einflußreiche Stellungen
gelangt sind, gehörte der Staatssekretär von Kiderlen-Waechter. Es ist daher
ganz interessant, an der Hand seiner Briefe und Aufzeichnungen zu zeigen, wie
unter des Fürsten Bismarck Regiment Diplomatentalente herangezogen und aus¬
gebildet wurden.




Durch den württembergischen Minister Varnbüler beim Staatssekretär
des Auswärtigen Amts von Bülow und beim Chef der Konsularabteilung
Geheimrat von Philipsborn empfohlen und von dem Mitglied des Bundcs-
ratsausschusses für Konsulatswesen von Spitzenberg persönlich gefördert, wurde
Kiderlen durch Erlaß vom 1. Februar 1879 in die Konsulatsabteilnng des Aus¬
wärtigen Amts einberufen. Von einer Verwendung im diplomatischen Dienst
war noch nicht die Rede. Erst im Juli wird Kiderlen vor die Entscheidung


Diplomaten-Erziehung

Heroen gezählt werden konnte. Bismarcks Geschick bestand vornehmlich darin,
seinen Mitarbeitern nie mehr zuzumuten als sie körperlich, geistig und
moralisch leisten konnten und sie im Auslande so zusammen zu spannen, daß
sie einander ergänzten. Eine schwere Enttäuschung hat er wohl nur mit Arnim
erlebt, dessen Ehrgeiz er doch noch unterschätzt hatte, — Fehlgriffe waren es,
den General Schweinitz mit Graf Redern in Petersburg oder den Fürsten
Münster und Kiderlen - Waechter in Paris zusammen zu bringen. Solche
Fehlgriffe aber wurden nur nach sachlichen Gesichtspunkten korrigiert: Redern
wurde seinerzeit nach Wien, Kiderlen von Paris nach Konstantinopel versetzt.

Unter den in Deutschland herrschenden Zuständen wird man nach der Zeit
Bismarcks nicht mehr von einheitlichen Gesichtspunkten bei der Auswahl des
Diplomatennachwuchses sprechen dürfen. Bismarck war auch der letzte Leiter
der deutschen Politik, der versuchte, seine Diplomaten für die politischen Auf¬
gaben, die er sich gesteckt hatte, persönlich auszuwählen und zu erziehen. Seine
Nachfolger, mögen sie nun Reichskanzler oder Staatssekretäre gewesen sein, sind
nicht dazu gekommen. Ob sie dazu noch keine Zeit gefunden hatten, ob sie sich
in betreff des Materials in zu starker Abhängigkeit vom Hofe befunden haben,
— genug, wir bemerken von einem stabilen System unter den Nachfolgern Bis¬
marcks nichts, wohl aber ein allmähliges Erstarken der verschiedensten, außerhalb
des auswärtigen Dienstes liegenden Einflüsse, gegen die erst Kiderlen wieder,
nicht ohne allen Erfolg mit der ganzen ihm zu Gebote stehenden Rauheit Front
gemacht hat.

Bismarck ist dennoch weder dem Vorwurf entgangen, einen der Sache
abträglichen Nepotismus großgezogen, noch dem, sich nicht genügend um
sein Personal gekümmert zu haben. Dafür, daß er in den letzten Jahrzehnten
seiner Amtszeit seinem Sohn Herbert vielfach in Personalfragen folgte, hat
man ihn sogar bei Hofe verdächtigt, eine „Dynastie Bismarck" heranziehen zu
wollen.

Zu den letzten Schülern des Fürsten Bismarck, die in einflußreiche Stellungen
gelangt sind, gehörte der Staatssekretär von Kiderlen-Waechter. Es ist daher
ganz interessant, an der Hand seiner Briefe und Aufzeichnungen zu zeigen, wie
unter des Fürsten Bismarck Regiment Diplomatentalente herangezogen und aus¬
gebildet wurden.




Durch den württembergischen Minister Varnbüler beim Staatssekretär
des Auswärtigen Amts von Bülow und beim Chef der Konsularabteilung
Geheimrat von Philipsborn empfohlen und von dem Mitglied des Bundcs-
ratsausschusses für Konsulatswesen von Spitzenberg persönlich gefördert, wurde
Kiderlen durch Erlaß vom 1. Februar 1879 in die Konsulatsabteilnng des Aus¬
wärtigen Amts einberufen. Von einer Verwendung im diplomatischen Dienst
war noch nicht die Rede. Erst im Juli wird Kiderlen vor die Entscheidung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0600" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325470"/>
          <fw type="header" place="top"> Diplomaten-Erziehung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2794" prev="#ID_2793"> Heroen gezählt werden konnte. Bismarcks Geschick bestand vornehmlich darin,<lb/>
seinen Mitarbeitern nie mehr zuzumuten als sie körperlich, geistig und<lb/>
moralisch leisten konnten und sie im Auslande so zusammen zu spannen, daß<lb/>
sie einander ergänzten. Eine schwere Enttäuschung hat er wohl nur mit Arnim<lb/>
erlebt, dessen Ehrgeiz er doch noch unterschätzt hatte, &#x2014; Fehlgriffe waren es,<lb/>
den General Schweinitz mit Graf Redern in Petersburg oder den Fürsten<lb/>
Münster und Kiderlen - Waechter in Paris zusammen zu bringen. Solche<lb/>
Fehlgriffe aber wurden nur nach sachlichen Gesichtspunkten korrigiert: Redern<lb/>
wurde seinerzeit nach Wien, Kiderlen von Paris nach Konstantinopel versetzt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2795"> Unter den in Deutschland herrschenden Zuständen wird man nach der Zeit<lb/>
Bismarcks nicht mehr von einheitlichen Gesichtspunkten bei der Auswahl des<lb/>
Diplomatennachwuchses sprechen dürfen. Bismarck war auch der letzte Leiter<lb/>
der deutschen Politik, der versuchte, seine Diplomaten für die politischen Auf¬<lb/>
gaben, die er sich gesteckt hatte, persönlich auszuwählen und zu erziehen. Seine<lb/>
Nachfolger, mögen sie nun Reichskanzler oder Staatssekretäre gewesen sein, sind<lb/>
nicht dazu gekommen. Ob sie dazu noch keine Zeit gefunden hatten, ob sie sich<lb/>
in betreff des Materials in zu starker Abhängigkeit vom Hofe befunden haben,<lb/>
&#x2014; genug, wir bemerken von einem stabilen System unter den Nachfolgern Bis¬<lb/>
marcks nichts, wohl aber ein allmähliges Erstarken der verschiedensten, außerhalb<lb/>
des auswärtigen Dienstes liegenden Einflüsse, gegen die erst Kiderlen wieder,<lb/>
nicht ohne allen Erfolg mit der ganzen ihm zu Gebote stehenden Rauheit Front<lb/>
gemacht hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2796"> Bismarck ist dennoch weder dem Vorwurf entgangen, einen der Sache<lb/>
abträglichen Nepotismus großgezogen, noch dem, sich nicht genügend um<lb/>
sein Personal gekümmert zu haben. Dafür, daß er in den letzten Jahrzehnten<lb/>
seiner Amtszeit seinem Sohn Herbert vielfach in Personalfragen folgte, hat<lb/>
man ihn sogar bei Hofe verdächtigt, eine &#x201E;Dynastie Bismarck" heranziehen zu<lb/>
wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2797"> Zu den letzten Schülern des Fürsten Bismarck, die in einflußreiche Stellungen<lb/>
gelangt sind, gehörte der Staatssekretär von Kiderlen-Waechter. Es ist daher<lb/>
ganz interessant, an der Hand seiner Briefe und Aufzeichnungen zu zeigen, wie<lb/>
unter des Fürsten Bismarck Regiment Diplomatentalente herangezogen und aus¬<lb/>
gebildet wurden.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2798" next="#ID_2799"> Durch den württembergischen Minister Varnbüler beim Staatssekretär<lb/>
des Auswärtigen Amts von Bülow und beim Chef der Konsularabteilung<lb/>
Geheimrat von Philipsborn empfohlen und von dem Mitglied des Bundcs-<lb/>
ratsausschusses für Konsulatswesen von Spitzenberg persönlich gefördert, wurde<lb/>
Kiderlen durch Erlaß vom 1. Februar 1879 in die Konsulatsabteilnng des Aus¬<lb/>
wärtigen Amts einberufen. Von einer Verwendung im diplomatischen Dienst<lb/>
war noch nicht die Rede.  Erst im Juli wird Kiderlen vor die Entscheidung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0600] Diplomaten-Erziehung Heroen gezählt werden konnte. Bismarcks Geschick bestand vornehmlich darin, seinen Mitarbeitern nie mehr zuzumuten als sie körperlich, geistig und moralisch leisten konnten und sie im Auslande so zusammen zu spannen, daß sie einander ergänzten. Eine schwere Enttäuschung hat er wohl nur mit Arnim erlebt, dessen Ehrgeiz er doch noch unterschätzt hatte, — Fehlgriffe waren es, den General Schweinitz mit Graf Redern in Petersburg oder den Fürsten Münster und Kiderlen - Waechter in Paris zusammen zu bringen. Solche Fehlgriffe aber wurden nur nach sachlichen Gesichtspunkten korrigiert: Redern wurde seinerzeit nach Wien, Kiderlen von Paris nach Konstantinopel versetzt. Unter den in Deutschland herrschenden Zuständen wird man nach der Zeit Bismarcks nicht mehr von einheitlichen Gesichtspunkten bei der Auswahl des Diplomatennachwuchses sprechen dürfen. Bismarck war auch der letzte Leiter der deutschen Politik, der versuchte, seine Diplomaten für die politischen Auf¬ gaben, die er sich gesteckt hatte, persönlich auszuwählen und zu erziehen. Seine Nachfolger, mögen sie nun Reichskanzler oder Staatssekretäre gewesen sein, sind nicht dazu gekommen. Ob sie dazu noch keine Zeit gefunden hatten, ob sie sich in betreff des Materials in zu starker Abhängigkeit vom Hofe befunden haben, — genug, wir bemerken von einem stabilen System unter den Nachfolgern Bis¬ marcks nichts, wohl aber ein allmähliges Erstarken der verschiedensten, außerhalb des auswärtigen Dienstes liegenden Einflüsse, gegen die erst Kiderlen wieder, nicht ohne allen Erfolg mit der ganzen ihm zu Gebote stehenden Rauheit Front gemacht hat. Bismarck ist dennoch weder dem Vorwurf entgangen, einen der Sache abträglichen Nepotismus großgezogen, noch dem, sich nicht genügend um sein Personal gekümmert zu haben. Dafür, daß er in den letzten Jahrzehnten seiner Amtszeit seinem Sohn Herbert vielfach in Personalfragen folgte, hat man ihn sogar bei Hofe verdächtigt, eine „Dynastie Bismarck" heranziehen zu wollen. Zu den letzten Schülern des Fürsten Bismarck, die in einflußreiche Stellungen gelangt sind, gehörte der Staatssekretär von Kiderlen-Waechter. Es ist daher ganz interessant, an der Hand seiner Briefe und Aufzeichnungen zu zeigen, wie unter des Fürsten Bismarck Regiment Diplomatentalente herangezogen und aus¬ gebildet wurden. Durch den württembergischen Minister Varnbüler beim Staatssekretär des Auswärtigen Amts von Bülow und beim Chef der Konsularabteilung Geheimrat von Philipsborn empfohlen und von dem Mitglied des Bundcs- ratsausschusses für Konsulatswesen von Spitzenberg persönlich gefördert, wurde Kiderlen durch Erlaß vom 1. Februar 1879 in die Konsulatsabteilnng des Aus¬ wärtigen Amts einberufen. Von einer Verwendung im diplomatischen Dienst war noch nicht die Rede. Erst im Juli wird Kiderlen vor die Entscheidung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/600
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/600>, abgerufen am 22.12.2024.