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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Diplomaten-Erziehung

kanzlers. Die Diplomaten Hohenlohe und Bülow waren zu Ressortministern herab¬
gedrückt, während unter der Führung von Nichtdiplomaten die Staatssekretäre des
Auswärtigen Amts notgedrungen einen übergroßen Einfluß auf die Gestaltung der
Politik und somit auch auf die Wahl der Diplomaten ausübten. Nicht immer darf ein
solcher Einfluß als wünschenswert bezeichnet werden oder richtiger: er darf nur
dann wünschenswert genannt werden, wenn der jeweilige Staatssekretär selbst
ein hervorragender Staatsmann ist und nach allen Seiten hin ein unabhängiger
Mann bleiben kann. Wir hatten den Soldaten Caprivi und die Diplomaten
Hohenlohe und Bülow als Kanzler; gegenwärtig trägt ein preußischer Beamter
des Innern die Verantwortung für die auswärtige Politik des Reichs. Als
Staatssekretäre folgten einander: Marschall, Bülow, Richthosen, Schön, Tschirschki
und Kiderlen, und jeder von ihnen, vielleicht Richthofen, der persönliche Freund
Bülows, ausgenommen, trachtete so schnell wie möglich von der windigen Stelle
fortzukommen; Kiderlen hat wiederholt sein Verbleiben im Amt in die Wagschale
geworfen und ist wahrhaftig nicht aus Vergnügen an der Stellung in ihr geblieben.

Bismarck nahm sich seine Mitarbeiter, wo er sie fand. Er verfolgte
bei der definitiven Einstellung von Diplomaten in jedem Falle ganz bestimmte
politische Zwecke. So ist denn der Umstand, daß in den achtzehnhundertsiebziger
und achtziger Jahren zahlreiche baltische Edelleute, aber ganz besonders viele
Süddeutsche Eingang fanden, kein bloßer Zufall. In seinem Bestreben wurde
der Altreichskanzler von zwei Männern selbstlos unterstützt: vom Fürsten
Hohenlohe und von Varnbüler, die beide den bayerischen beziehungsweise württem¬
bergischen Adel ermunterten partikularistische Bedenken über Bord zu werfen
und in den Reichsdienst zu treten. Bismarck sah in dem Übertritt süddeutscher
Junker in das Reich ein wichtiges Hilfsmittel zur Popularisierung und Festi¬
gung des Neichsgedankens, ebenso wie ein Mittel, um ausländischen Versuchen,
die innere Festigkeit des Reiches anzuzweifeln, wirksam begegnen zu können.
Bismarck hat Ballen gern genommen, um den sinkenden deutschen Einfluß bei
der russischen Diplomatie durch Familienbeziehungen zur weiteren Hofgesell¬
schaft Petersburgs ausgleichen zu können. Der hessische Leutnant Schön, der
württembergische Justizreferendär II. Klasse (Assessor) Kiderlen, der baltische
Baron Heyking, der baltische Schriftsteller Eckardt und viele andere sind aus
den erwähnten politischen Rücksichten einst in das Auswärtige Amt eingezogen.

Wer unter dem Schutze der hohen Politik sich zum Dienst in der Wilhelm¬
straße melden konnte, also hohe politische Gönner hatte, der fand leicht Ein¬
gang. Schwerer war es schon voranzukommen, wenn nicht drei Vorbedingungen
zusammentrafen: bedeutende Arbeitskraft, diplomatisches Talent und last not
lesst Fortwirken der politischen Interessen, die vorher den Zugang geöffnet
hatten. Wer so glücklich war mit irgend welchen Fragen der hohen Politik
gewissermaßen persönlich verbunden zu sein, wer also, sei es als Makler genutzt,
sei es als Objekt in die Wagschale geworfen werden konnte, der durfte Bismarcks
persönlichen Interesses sicher sein, wenn er vielleicht auch nicht zu den geistigen
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Diplomaten-Erziehung

kanzlers. Die Diplomaten Hohenlohe und Bülow waren zu Ressortministern herab¬
gedrückt, während unter der Führung von Nichtdiplomaten die Staatssekretäre des
Auswärtigen Amts notgedrungen einen übergroßen Einfluß auf die Gestaltung der
Politik und somit auch auf die Wahl der Diplomaten ausübten. Nicht immer darf ein
solcher Einfluß als wünschenswert bezeichnet werden oder richtiger: er darf nur
dann wünschenswert genannt werden, wenn der jeweilige Staatssekretär selbst
ein hervorragender Staatsmann ist und nach allen Seiten hin ein unabhängiger
Mann bleiben kann. Wir hatten den Soldaten Caprivi und die Diplomaten
Hohenlohe und Bülow als Kanzler; gegenwärtig trägt ein preußischer Beamter
des Innern die Verantwortung für die auswärtige Politik des Reichs. Als
Staatssekretäre folgten einander: Marschall, Bülow, Richthosen, Schön, Tschirschki
und Kiderlen, und jeder von ihnen, vielleicht Richthofen, der persönliche Freund
Bülows, ausgenommen, trachtete so schnell wie möglich von der windigen Stelle
fortzukommen; Kiderlen hat wiederholt sein Verbleiben im Amt in die Wagschale
geworfen und ist wahrhaftig nicht aus Vergnügen an der Stellung in ihr geblieben.

Bismarck nahm sich seine Mitarbeiter, wo er sie fand. Er verfolgte
bei der definitiven Einstellung von Diplomaten in jedem Falle ganz bestimmte
politische Zwecke. So ist denn der Umstand, daß in den achtzehnhundertsiebziger
und achtziger Jahren zahlreiche baltische Edelleute, aber ganz besonders viele
Süddeutsche Eingang fanden, kein bloßer Zufall. In seinem Bestreben wurde
der Altreichskanzler von zwei Männern selbstlos unterstützt: vom Fürsten
Hohenlohe und von Varnbüler, die beide den bayerischen beziehungsweise württem¬
bergischen Adel ermunterten partikularistische Bedenken über Bord zu werfen
und in den Reichsdienst zu treten. Bismarck sah in dem Übertritt süddeutscher
Junker in das Reich ein wichtiges Hilfsmittel zur Popularisierung und Festi¬
gung des Neichsgedankens, ebenso wie ein Mittel, um ausländischen Versuchen,
die innere Festigkeit des Reiches anzuzweifeln, wirksam begegnen zu können.
Bismarck hat Ballen gern genommen, um den sinkenden deutschen Einfluß bei
der russischen Diplomatie durch Familienbeziehungen zur weiteren Hofgesell¬
schaft Petersburgs ausgleichen zu können. Der hessische Leutnant Schön, der
württembergische Justizreferendär II. Klasse (Assessor) Kiderlen, der baltische
Baron Heyking, der baltische Schriftsteller Eckardt und viele andere sind aus
den erwähnten politischen Rücksichten einst in das Auswärtige Amt eingezogen.

Wer unter dem Schutze der hohen Politik sich zum Dienst in der Wilhelm¬
straße melden konnte, also hohe politische Gönner hatte, der fand leicht Ein¬
gang. Schwerer war es schon voranzukommen, wenn nicht drei Vorbedingungen
zusammentrafen: bedeutende Arbeitskraft, diplomatisches Talent und last not
lesst Fortwirken der politischen Interessen, die vorher den Zugang geöffnet
hatten. Wer so glücklich war mit irgend welchen Fragen der hohen Politik
gewissermaßen persönlich verbunden zu sein, wer also, sei es als Makler genutzt,
sei es als Objekt in die Wagschale geworfen werden konnte, der durfte Bismarcks
persönlichen Interesses sicher sein, wenn er vielleicht auch nicht zu den geistigen
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[0599] Diplomaten-Erziehung kanzlers. Die Diplomaten Hohenlohe und Bülow waren zu Ressortministern herab¬ gedrückt, während unter der Führung von Nichtdiplomaten die Staatssekretäre des Auswärtigen Amts notgedrungen einen übergroßen Einfluß auf die Gestaltung der Politik und somit auch auf die Wahl der Diplomaten ausübten. Nicht immer darf ein solcher Einfluß als wünschenswert bezeichnet werden oder richtiger: er darf nur dann wünschenswert genannt werden, wenn der jeweilige Staatssekretär selbst ein hervorragender Staatsmann ist und nach allen Seiten hin ein unabhängiger Mann bleiben kann. Wir hatten den Soldaten Caprivi und die Diplomaten Hohenlohe und Bülow als Kanzler; gegenwärtig trägt ein preußischer Beamter des Innern die Verantwortung für die auswärtige Politik des Reichs. Als Staatssekretäre folgten einander: Marschall, Bülow, Richthosen, Schön, Tschirschki und Kiderlen, und jeder von ihnen, vielleicht Richthofen, der persönliche Freund Bülows, ausgenommen, trachtete so schnell wie möglich von der windigen Stelle fortzukommen; Kiderlen hat wiederholt sein Verbleiben im Amt in die Wagschale geworfen und ist wahrhaftig nicht aus Vergnügen an der Stellung in ihr geblieben. Bismarck nahm sich seine Mitarbeiter, wo er sie fand. Er verfolgte bei der definitiven Einstellung von Diplomaten in jedem Falle ganz bestimmte politische Zwecke. So ist denn der Umstand, daß in den achtzehnhundertsiebziger und achtziger Jahren zahlreiche baltische Edelleute, aber ganz besonders viele Süddeutsche Eingang fanden, kein bloßer Zufall. In seinem Bestreben wurde der Altreichskanzler von zwei Männern selbstlos unterstützt: vom Fürsten Hohenlohe und von Varnbüler, die beide den bayerischen beziehungsweise württem¬ bergischen Adel ermunterten partikularistische Bedenken über Bord zu werfen und in den Reichsdienst zu treten. Bismarck sah in dem Übertritt süddeutscher Junker in das Reich ein wichtiges Hilfsmittel zur Popularisierung und Festi¬ gung des Neichsgedankens, ebenso wie ein Mittel, um ausländischen Versuchen, die innere Festigkeit des Reiches anzuzweifeln, wirksam begegnen zu können. Bismarck hat Ballen gern genommen, um den sinkenden deutschen Einfluß bei der russischen Diplomatie durch Familienbeziehungen zur weiteren Hofgesell¬ schaft Petersburgs ausgleichen zu können. Der hessische Leutnant Schön, der württembergische Justizreferendär II. Klasse (Assessor) Kiderlen, der baltische Baron Heyking, der baltische Schriftsteller Eckardt und viele andere sind aus den erwähnten politischen Rücksichten einst in das Auswärtige Amt eingezogen. Wer unter dem Schutze der hohen Politik sich zum Dienst in der Wilhelm¬ straße melden konnte, also hohe politische Gönner hatte, der fand leicht Ein¬ gang. Schwerer war es schon voranzukommen, wenn nicht drei Vorbedingungen zusammentrafen: bedeutende Arbeitskraft, diplomatisches Talent und last not lesst Fortwirken der politischen Interessen, die vorher den Zugang geöffnet hatten. Wer so glücklich war mit irgend welchen Fragen der hohen Politik gewissermaßen persönlich verbunden zu sein, wer also, sei es als Makler genutzt, sei es als Objekt in die Wagschale geworfen werden konnte, der durfte Bismarcks persönlichen Interesses sicher sein, wenn er vielleicht auch nicht zu den geistigen * 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/599>, abgerufen am 24.08.2024.