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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Diplomaten-Erziehung

höchst menschlichen Gründen: es wird immer mehr Menschen geben, die
glauben, Diplomaten zu sein, lediglich weil sie der tückische Lebensstrom
zufällig in die diplomatische Laufbahn geworfen hat und es wird nie wirkliche,
hervorragende Diplomaten geben, die nicht gelegentlich schwere Fehler begehen,
ja, die nicht eine ganze Fehlerkette abhaspeln müssen, woraus naturgemäß jene
Mehrheit das Recht zu der Behauptung herleiten wird, sie sei verkannt und
woraus weiter die große Öffentlichkeit folgert, daß gerade der diplomatische
Dienst ein Asyl für wohlhabende Dummköpfe sei.

Bei allen diesen .Klagen und daran sich knüpfenden Forderungen wird eins
übersehen: der diplomatische Dienst, gleichgültig auf welcher Stufe er auszuüben
sei, hat nicht nur Talent zur Voraussetzung, sondern, und zwar je größer die
Verhältnisse werden um so mehr: persönliche Vertrauenswürdigkeit. Da
liegt des Pudels Kern. Die Vertrauenswürdigkeit des Diplomaten ist ein ganz
eigenes Ding. Sie beschränkt sich nicht auf das, was der König vom Beamten
fordern kann. Sie ist kameradschaftlicher, muß hingebender sein. Eher entspricht
sie schon den Anforderungen, die an den Feldsoldaten gestellt werden: Hingabe
nicht nur an den König, auch Hingabe an den Unterführer. Wie jeder Offizier
davon überzeugt sein muß, daß jeder Mann bereit sein wird, ihn im Schlacht¬
getümmel herauszuhauen, so muß der Chef eines diplomatischen Apparates oder
einer diplomatischen Mission sich seiner ihm unterstellten Mitarbeiter absolut
versichert halten können. Daß hierzu gleichfalls ein Heroismus'gehört, der dem
des Soldaten in der Feldschlacht nicht nachsteht, bedarf angesichts der vielen
Kübel Unrat, die die Presse täglich über die Diplomatie und einzelne Diplo¬
maten ausgießt, kaum der Erinnerung. Aber mehr noch: die Vertrauens¬
würdigkeit muß auch von den fremdländischen Kollegen anerkannt sein. Diese
Notwendigkeiten -- Arnim wurde seinerzeit in London abgelehnt, weil man
ihm an der Themse "kein Wort glauben würde" -- haben ein Übel im Ge¬
folge: sie bilden den günstigsten Boden für das, was man Nepotismus
nennt. Und doch wird der Nepotismus kaum zu vermeiden sein, und die
strengsten Gesetze und die demokratischsten Einrichtungen werden ihn nicht
beseitigen. Dabei wird er in seinen Wirkungen gut sein, wenn die Leitung
eines diplomatischen Apparates stabil bleibt, er wird sich zu einer schweren
Gefahr auswachsen, wenn die Stabilität fehlt. Stabilität aber ist nur
möglich, wenn feste Ziele vorhanden und wenn die oberste Leitung absolut
sicher.

In Deutschland, wo verfassungsmäßig die auswärtige Politik wenigstens
in Friedenszeiten ausschließlich in den Händen des Reichskanzlers liegen sollte,
sollte auch die Auswahl des diplomatischen Personals diesem persönlich obliegen.
Fürst Bismarck hat dem diplomatischen Nachwuchs seiue persönliche Aufmerksam¬
keit geschenkt, und selbst der jüngste Attachö ward von ihm persönlich heran¬
gezogen, um ihn kennen zu lernen. Seit des Fürsten Bismarck Abgang liegt
aber die internationale Politik nicht mehr in den Händen des jeweiligen Reichs-


Diplomaten-Erziehung

höchst menschlichen Gründen: es wird immer mehr Menschen geben, die
glauben, Diplomaten zu sein, lediglich weil sie der tückische Lebensstrom
zufällig in die diplomatische Laufbahn geworfen hat und es wird nie wirkliche,
hervorragende Diplomaten geben, die nicht gelegentlich schwere Fehler begehen,
ja, die nicht eine ganze Fehlerkette abhaspeln müssen, woraus naturgemäß jene
Mehrheit das Recht zu der Behauptung herleiten wird, sie sei verkannt und
woraus weiter die große Öffentlichkeit folgert, daß gerade der diplomatische
Dienst ein Asyl für wohlhabende Dummköpfe sei.

Bei allen diesen .Klagen und daran sich knüpfenden Forderungen wird eins
übersehen: der diplomatische Dienst, gleichgültig auf welcher Stufe er auszuüben
sei, hat nicht nur Talent zur Voraussetzung, sondern, und zwar je größer die
Verhältnisse werden um so mehr: persönliche Vertrauenswürdigkeit. Da
liegt des Pudels Kern. Die Vertrauenswürdigkeit des Diplomaten ist ein ganz
eigenes Ding. Sie beschränkt sich nicht auf das, was der König vom Beamten
fordern kann. Sie ist kameradschaftlicher, muß hingebender sein. Eher entspricht
sie schon den Anforderungen, die an den Feldsoldaten gestellt werden: Hingabe
nicht nur an den König, auch Hingabe an den Unterführer. Wie jeder Offizier
davon überzeugt sein muß, daß jeder Mann bereit sein wird, ihn im Schlacht¬
getümmel herauszuhauen, so muß der Chef eines diplomatischen Apparates oder
einer diplomatischen Mission sich seiner ihm unterstellten Mitarbeiter absolut
versichert halten können. Daß hierzu gleichfalls ein Heroismus'gehört, der dem
des Soldaten in der Feldschlacht nicht nachsteht, bedarf angesichts der vielen
Kübel Unrat, die die Presse täglich über die Diplomatie und einzelne Diplo¬
maten ausgießt, kaum der Erinnerung. Aber mehr noch: die Vertrauens¬
würdigkeit muß auch von den fremdländischen Kollegen anerkannt sein. Diese
Notwendigkeiten — Arnim wurde seinerzeit in London abgelehnt, weil man
ihm an der Themse „kein Wort glauben würde" — haben ein Übel im Ge¬
folge: sie bilden den günstigsten Boden für das, was man Nepotismus
nennt. Und doch wird der Nepotismus kaum zu vermeiden sein, und die
strengsten Gesetze und die demokratischsten Einrichtungen werden ihn nicht
beseitigen. Dabei wird er in seinen Wirkungen gut sein, wenn die Leitung
eines diplomatischen Apparates stabil bleibt, er wird sich zu einer schweren
Gefahr auswachsen, wenn die Stabilität fehlt. Stabilität aber ist nur
möglich, wenn feste Ziele vorhanden und wenn die oberste Leitung absolut
sicher.

In Deutschland, wo verfassungsmäßig die auswärtige Politik wenigstens
in Friedenszeiten ausschließlich in den Händen des Reichskanzlers liegen sollte,
sollte auch die Auswahl des diplomatischen Personals diesem persönlich obliegen.
Fürst Bismarck hat dem diplomatischen Nachwuchs seiue persönliche Aufmerksam¬
keit geschenkt, und selbst der jüngste Attachö ward von ihm persönlich heran¬
gezogen, um ihn kennen zu lernen. Seit des Fürsten Bismarck Abgang liegt
aber die internationale Politik nicht mehr in den Händen des jeweiligen Reichs-


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[0598] Diplomaten-Erziehung höchst menschlichen Gründen: es wird immer mehr Menschen geben, die glauben, Diplomaten zu sein, lediglich weil sie der tückische Lebensstrom zufällig in die diplomatische Laufbahn geworfen hat und es wird nie wirkliche, hervorragende Diplomaten geben, die nicht gelegentlich schwere Fehler begehen, ja, die nicht eine ganze Fehlerkette abhaspeln müssen, woraus naturgemäß jene Mehrheit das Recht zu der Behauptung herleiten wird, sie sei verkannt und woraus weiter die große Öffentlichkeit folgert, daß gerade der diplomatische Dienst ein Asyl für wohlhabende Dummköpfe sei. Bei allen diesen .Klagen und daran sich knüpfenden Forderungen wird eins übersehen: der diplomatische Dienst, gleichgültig auf welcher Stufe er auszuüben sei, hat nicht nur Talent zur Voraussetzung, sondern, und zwar je größer die Verhältnisse werden um so mehr: persönliche Vertrauenswürdigkeit. Da liegt des Pudels Kern. Die Vertrauenswürdigkeit des Diplomaten ist ein ganz eigenes Ding. Sie beschränkt sich nicht auf das, was der König vom Beamten fordern kann. Sie ist kameradschaftlicher, muß hingebender sein. Eher entspricht sie schon den Anforderungen, die an den Feldsoldaten gestellt werden: Hingabe nicht nur an den König, auch Hingabe an den Unterführer. Wie jeder Offizier davon überzeugt sein muß, daß jeder Mann bereit sein wird, ihn im Schlacht¬ getümmel herauszuhauen, so muß der Chef eines diplomatischen Apparates oder einer diplomatischen Mission sich seiner ihm unterstellten Mitarbeiter absolut versichert halten können. Daß hierzu gleichfalls ein Heroismus'gehört, der dem des Soldaten in der Feldschlacht nicht nachsteht, bedarf angesichts der vielen Kübel Unrat, die die Presse täglich über die Diplomatie und einzelne Diplo¬ maten ausgießt, kaum der Erinnerung. Aber mehr noch: die Vertrauens¬ würdigkeit muß auch von den fremdländischen Kollegen anerkannt sein. Diese Notwendigkeiten — Arnim wurde seinerzeit in London abgelehnt, weil man ihm an der Themse „kein Wort glauben würde" — haben ein Übel im Ge¬ folge: sie bilden den günstigsten Boden für das, was man Nepotismus nennt. Und doch wird der Nepotismus kaum zu vermeiden sein, und die strengsten Gesetze und die demokratischsten Einrichtungen werden ihn nicht beseitigen. Dabei wird er in seinen Wirkungen gut sein, wenn die Leitung eines diplomatischen Apparates stabil bleibt, er wird sich zu einer schweren Gefahr auswachsen, wenn die Stabilität fehlt. Stabilität aber ist nur möglich, wenn feste Ziele vorhanden und wenn die oberste Leitung absolut sicher. In Deutschland, wo verfassungsmäßig die auswärtige Politik wenigstens in Friedenszeiten ausschließlich in den Händen des Reichskanzlers liegen sollte, sollte auch die Auswahl des diplomatischen Personals diesem persönlich obliegen. Fürst Bismarck hat dem diplomatischen Nachwuchs seiue persönliche Aufmerksam¬ keit geschenkt, und selbst der jüngste Attachö ward von ihm persönlich heran¬ gezogen, um ihn kennen zu lernen. Seit des Fürsten Bismarck Abgang liegt aber die internationale Politik nicht mehr in den Händen des jeweiligen Reichs-

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/598>, abgerufen am 22.12.2024.