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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Amerikanisches

schaftspolitik klar und bestimmt bezeichnet. Er brandmarkt die politische Korruption,
wie sie leider in Amerika im Schwange ist, betont die Pflicht zur Säuberung
in dieser Hinsicht, hebt die Notwendigkeit der bisher schmählich vernachlässigten
Sozialpolitik hervor und bezeichnet als die dringlichsten Fragen die Reform des
Zolltarifs, des Bank- und Währungssystems sowie des Trustwesens. Die Punkte,
an welchen der Hebel angesetzt werden muß, sind vollkommen richtig erkannt.
Es fragt sich nur, wie die praktische Lösung der Fragen aussehen soll. Auch
Roosevelt und Taft haben sich an den gleichen Problemen abgemüht, aber, wie
man zugeben muß, ohne den geringsten praktischen Erfolg. Die Verfolgung der
Trusts auf Grund einer unklaren, zu widerspruchsvollen Entscheidungen führenden
Gesetzgebung war ein gänzlich verfehltes Beginnen. Weder die formelle Auflösung der
Standard Oil Company noch das Urteil gegen die Union Pacificbahn hat an
den tatsächlichen Verhältnissen nicht das Mindeste geändert und die Herrschaft
der maßgebenden Finanzmagnaten nicht zu erschüttern vermocht. Es ist ja
überhaupt ein Widersinn, die Zusammenfassung wirtschaftlicher Unternehmungen
verbieten und in einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet, wie es die Vereinigten
Staaten darstellen, die zufällige innere Landesgrenze als einen Schlagbaum
aufrichten zu wollen. Die Vereinigung einzelner Betriebe zu einer Gesamt¬
unternehmung mit einheitlicher Leitung, einheitlicher Produktion und einheit¬
lichem Absatz ist ein wirtschaftlicher Fortschritt. Sie erspart Unkosten, eine ver¬
geudende Konkurrenz, ermöglicht die wirksame Ausnutzung der Produktions¬
mittel und des investierten Kapitals. Es ist das Prinzip, welches mehr als
alles andere, die Erstarkung der deutschen Industrie herbeigeführt hat. Freilich
ist damit eine starke Zusammenballung von Kapital und ein wachsendes Mehr¬
gewicht der Großunternehmung untrennbar verbunden. Wenn aber dieser Nach¬
teil in Amerika zu so schweren Mißständen geführt hat. so liegt dies nicht
sowohl an der Wirtschaftsform als an anderen Umständen, vor allem an dem
beherrschenden Einfluß, den einzelne Männer oder Kapitalistengruppen in einer
Vielheit andersgearteter Unternehmungen gleichzeitig ausüben und an dem mit
ihrer Kapitalmacht verbundenen politischen Einfluß. Es ist natürlich etwas
anderes, ob etwa die Eisenindustrie oder die Tabak- oder Olvroduktion in Ge¬
samtunternehmungen zusammengefaßt wird, oder ob ein einzelner Mann, wie
Rockefeller oder Morgan kraft seiner Milliarden Eisenbahnen, Industrien, Banken
und Versicherungsgesellschaften gleichzeitig "kontrolliert" und die Mittel dieser
Unternehmungen seinen Zwecken dienstbar machen kann. Daß dies überhaupt
möglich ist, verschuldet das amerikanische Aktienrecht, welches mit größter Leichtig¬
keit die Ausgabe leerer Aktien gestattet. In Deutschland darf bekanntlich das
Aktienkapital nur vermehrt werden, wenn das bisherige voll einbezahlt ist.
Diese Vorschrift hat sich gegen das Jonglieren mit Aktienmajoritäten sehr heil¬
sam erwiesen. Die Beherrschung einer Aktiengesellschaft setzt hier immer auch
die Verfügung über die wirkliche Kapitalsmehrheit voraus, oder es liegt doch
in der Hand der bisherigen Aktionäre, eine solche Majorisierung im Entstehen


Amerikanisches

schaftspolitik klar und bestimmt bezeichnet. Er brandmarkt die politische Korruption,
wie sie leider in Amerika im Schwange ist, betont die Pflicht zur Säuberung
in dieser Hinsicht, hebt die Notwendigkeit der bisher schmählich vernachlässigten
Sozialpolitik hervor und bezeichnet als die dringlichsten Fragen die Reform des
Zolltarifs, des Bank- und Währungssystems sowie des Trustwesens. Die Punkte,
an welchen der Hebel angesetzt werden muß, sind vollkommen richtig erkannt.
Es fragt sich nur, wie die praktische Lösung der Fragen aussehen soll. Auch
Roosevelt und Taft haben sich an den gleichen Problemen abgemüht, aber, wie
man zugeben muß, ohne den geringsten praktischen Erfolg. Die Verfolgung der
Trusts auf Grund einer unklaren, zu widerspruchsvollen Entscheidungen führenden
Gesetzgebung war ein gänzlich verfehltes Beginnen. Weder die formelle Auflösung der
Standard Oil Company noch das Urteil gegen die Union Pacificbahn hat an
den tatsächlichen Verhältnissen nicht das Mindeste geändert und die Herrschaft
der maßgebenden Finanzmagnaten nicht zu erschüttern vermocht. Es ist ja
überhaupt ein Widersinn, die Zusammenfassung wirtschaftlicher Unternehmungen
verbieten und in einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet, wie es die Vereinigten
Staaten darstellen, die zufällige innere Landesgrenze als einen Schlagbaum
aufrichten zu wollen. Die Vereinigung einzelner Betriebe zu einer Gesamt¬
unternehmung mit einheitlicher Leitung, einheitlicher Produktion und einheit¬
lichem Absatz ist ein wirtschaftlicher Fortschritt. Sie erspart Unkosten, eine ver¬
geudende Konkurrenz, ermöglicht die wirksame Ausnutzung der Produktions¬
mittel und des investierten Kapitals. Es ist das Prinzip, welches mehr als
alles andere, die Erstarkung der deutschen Industrie herbeigeführt hat. Freilich
ist damit eine starke Zusammenballung von Kapital und ein wachsendes Mehr¬
gewicht der Großunternehmung untrennbar verbunden. Wenn aber dieser Nach¬
teil in Amerika zu so schweren Mißständen geführt hat. so liegt dies nicht
sowohl an der Wirtschaftsform als an anderen Umständen, vor allem an dem
beherrschenden Einfluß, den einzelne Männer oder Kapitalistengruppen in einer
Vielheit andersgearteter Unternehmungen gleichzeitig ausüben und an dem mit
ihrer Kapitalmacht verbundenen politischen Einfluß. Es ist natürlich etwas
anderes, ob etwa die Eisenindustrie oder die Tabak- oder Olvroduktion in Ge¬
samtunternehmungen zusammengefaßt wird, oder ob ein einzelner Mann, wie
Rockefeller oder Morgan kraft seiner Milliarden Eisenbahnen, Industrien, Banken
und Versicherungsgesellschaften gleichzeitig „kontrolliert" und die Mittel dieser
Unternehmungen seinen Zwecken dienstbar machen kann. Daß dies überhaupt
möglich ist, verschuldet das amerikanische Aktienrecht, welches mit größter Leichtig¬
keit die Ausgabe leerer Aktien gestattet. In Deutschland darf bekanntlich das
Aktienkapital nur vermehrt werden, wenn das bisherige voll einbezahlt ist.
Diese Vorschrift hat sich gegen das Jonglieren mit Aktienmajoritäten sehr heil¬
sam erwiesen. Die Beherrschung einer Aktiengesellschaft setzt hier immer auch
die Verfügung über die wirkliche Kapitalsmehrheit voraus, oder es liegt doch
in der Hand der bisherigen Aktionäre, eine solche Majorisierung im Entstehen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/587>, abgerufen am 01.07.2024.