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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Amerikanisches

welche den Anstieg zu der gegenwärtigen Hochkonjunktur umfassen, haben sich
die Verhältnisse auf dem Weltmarkte derart verschoben, daß trotz der enormen
Produktionssteigerung der Eisenindustrie, welche in den Vereinigten Staaten
Platz gegriffen hat, doch von einer gefährlichen Konkurrenz der Amerikaner nichts
zu spüren ist. Im Gegenteil, Deutschland hat sich, obwohl sein Anteil an
der Welteisenproduktion nur zirka 25 Prozent gegen 40 Prozent seines Rivalen
beträgt, zum größten Eifenexporteur der Welt entwickelt. Es ist also klar, daß
der amerikanische Inlandsbedarf ausgereicht hat, der Eisenindustrie des Landes
eine Vergrößerung um mehr als das Doppelte im Zeitraum weniger Jahre zu
gestatten. So hat sich gezeigt, daß ein jeder seinen Platz an der Sonne zu
behaupten vermochte und daß trotz der angestrengtesten Produktion diese mit der
Nachfrage nicht gleichen Schritt zu halten vermochte. Die amerikanische Kon¬
kurrenz spielt also gegenwärtig keine Rolle mehr in den Berechnungen der deutschen
Industrie. In gleicher Weise hat die Newyorker Börse ihren Einfluß auf die
Weltmärkte fast völlig verloren. Hierfür waren freilich andere Ursachen ent¬
scheidend. Die Newyorker Börse ist nämlich in den letzten Jahren fast völlig
von dem Eindruck beherrscht worden, den der von der Regierung eingeleitete
Feldzug gegen die Trusts und deren gerichtliche Verfolgung auf die Finanzwelt
ausübte. Dazu gesellte sich dann die politische Aufregung der Präsidentenwahl,
von deren Ausgang man je nach dem Standpunkt Furcht und Hoffnung ab¬
hängig machte. Im ganzen hat unter der Einwirkung dieser Verhältnisse das
Newyorker Börsengeschäft ungemein gelitten. Trotz der Prosperität der Industrie
und den steigenden Erträgnissen der Eisenbahnen sind die Kurse unaufhaltsam
abwärts geglitten. Die Umsätze, die in früheren guten Zeiten Millionenziffern
erreichten, sind auf ein Minimum gesunken. Einen drastischen Ausdruck erhält
diese augenblicklich traurige Verfassung der Börse durch die Tatsache, daß ein
Sitz an derselben, für den ehedem bis 100000 Dollars gezahlt werden mußten,
jetzt für weniger als die Hälfte erhältlich ist. Da nun also für die Newyorker
Börse hauptsächlich diese Fragen der inneren Politik bestimmend waren, so
erklärt es sich, daß sich die übrigen Weltbörsen, für welche diese nur ein be¬
schränktes und indirektes Interesse haben, von der amerikanischen Führung frei
machen konnten. Gleichwohl wäre es unrichtig, die Bedeutung der Vereinigten
Staaten für die Weltwirtschaft nur nach den Erscheinungen der jüngsten Zeit
beurteilen zu wollen. Die Fäden, welche heute die Kulturnationen wirtschaftlich
miteinander verbinden, sind zu eng geknüpft, als daß es uns gleichgültig sein
könnte, ob die finanzielle und ökonomische Verfassung der Vereinigten Staaten
gut oder schlecht ist, ob das Land gegen eintretende Krisen gewappnet ist oder
nicht. Von diesem Gesichtspunkt aus verdient der Kampf, der jenseits des Ozeans
gegen die Übermacht des Kapitalismus und dessen Auswüchse geführt wird,
unsere vollste Aufmerksamkeit.

Der neue Präsident Wilson hat sein Amt mit einer programmatischen Er¬
klärung angetreten, die an sich bedeutsam genug ist und das Ziel seiner Wirt-


Amerikanisches

welche den Anstieg zu der gegenwärtigen Hochkonjunktur umfassen, haben sich
die Verhältnisse auf dem Weltmarkte derart verschoben, daß trotz der enormen
Produktionssteigerung der Eisenindustrie, welche in den Vereinigten Staaten
Platz gegriffen hat, doch von einer gefährlichen Konkurrenz der Amerikaner nichts
zu spüren ist. Im Gegenteil, Deutschland hat sich, obwohl sein Anteil an
der Welteisenproduktion nur zirka 25 Prozent gegen 40 Prozent seines Rivalen
beträgt, zum größten Eifenexporteur der Welt entwickelt. Es ist also klar, daß
der amerikanische Inlandsbedarf ausgereicht hat, der Eisenindustrie des Landes
eine Vergrößerung um mehr als das Doppelte im Zeitraum weniger Jahre zu
gestatten. So hat sich gezeigt, daß ein jeder seinen Platz an der Sonne zu
behaupten vermochte und daß trotz der angestrengtesten Produktion diese mit der
Nachfrage nicht gleichen Schritt zu halten vermochte. Die amerikanische Kon¬
kurrenz spielt also gegenwärtig keine Rolle mehr in den Berechnungen der deutschen
Industrie. In gleicher Weise hat die Newyorker Börse ihren Einfluß auf die
Weltmärkte fast völlig verloren. Hierfür waren freilich andere Ursachen ent¬
scheidend. Die Newyorker Börse ist nämlich in den letzten Jahren fast völlig
von dem Eindruck beherrscht worden, den der von der Regierung eingeleitete
Feldzug gegen die Trusts und deren gerichtliche Verfolgung auf die Finanzwelt
ausübte. Dazu gesellte sich dann die politische Aufregung der Präsidentenwahl,
von deren Ausgang man je nach dem Standpunkt Furcht und Hoffnung ab¬
hängig machte. Im ganzen hat unter der Einwirkung dieser Verhältnisse das
Newyorker Börsengeschäft ungemein gelitten. Trotz der Prosperität der Industrie
und den steigenden Erträgnissen der Eisenbahnen sind die Kurse unaufhaltsam
abwärts geglitten. Die Umsätze, die in früheren guten Zeiten Millionenziffern
erreichten, sind auf ein Minimum gesunken. Einen drastischen Ausdruck erhält
diese augenblicklich traurige Verfassung der Börse durch die Tatsache, daß ein
Sitz an derselben, für den ehedem bis 100000 Dollars gezahlt werden mußten,
jetzt für weniger als die Hälfte erhältlich ist. Da nun also für die Newyorker
Börse hauptsächlich diese Fragen der inneren Politik bestimmend waren, so
erklärt es sich, daß sich die übrigen Weltbörsen, für welche diese nur ein be¬
schränktes und indirektes Interesse haben, von der amerikanischen Führung frei
machen konnten. Gleichwohl wäre es unrichtig, die Bedeutung der Vereinigten
Staaten für die Weltwirtschaft nur nach den Erscheinungen der jüngsten Zeit
beurteilen zu wollen. Die Fäden, welche heute die Kulturnationen wirtschaftlich
miteinander verbinden, sind zu eng geknüpft, als daß es uns gleichgültig sein
könnte, ob die finanzielle und ökonomische Verfassung der Vereinigten Staaten
gut oder schlecht ist, ob das Land gegen eintretende Krisen gewappnet ist oder
nicht. Von diesem Gesichtspunkt aus verdient der Kampf, der jenseits des Ozeans
gegen die Übermacht des Kapitalismus und dessen Auswüchse geführt wird,
unsere vollste Aufmerksamkeit.

Der neue Präsident Wilson hat sein Amt mit einer programmatischen Er¬
klärung angetreten, die an sich bedeutsam genug ist und das Ziel seiner Wirt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/586>, abgerufen am 04.07.2024.