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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Zur Lntvölkerungsfrage

getreten, wenn er auch im Verhältnis zur französischen Bevölkerung den zweiten
Rang behauptet hat, wie folgende Zahlen für das Jahr 1911 ergeben:

England 26 Milliarden Franken insgesamt, 677 Franken auf den Kopf der Bevölkerung,
Deutschland 22 " " " 330 " " " " "
Ver. Staaten 19 " " " 210 " " " " "
Frankreich 14 " " " 360 " " " " "

Als Maßstab für den Handel können auch die Jahreseinnahmen der Eisen¬
bahnen dienen, die nach der letztjährigen vom Staatsrat Colson, einer fran¬
zösischen Autorität auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik, veröffentlichten Trans¬
portstatistik im Mittel für den Kilometer betrugen:

in Frankreich......46 300 Franken, Reinertrag 3,86 Prozent des Kapitals,
" Großbritannien und Irland 79 800 " " 4,36 " " "
" Deutschland..... 64700 " " ö,64 " " ^,

und damit bei uns (nach den Vereinigten Staaten) im Vergleich mit den haupt¬
sächlichsten Staaten der Welt den höchsten Ertrag abwerfen trotz eines sowohl
für Reisende wie für Güter mittleren Tarifes.

5. Auf geistigem Gebiete erhöht sich mit der Bevölkerung die Wahrschein¬
lichkeit großer Geister und der Absatz ihrer Werke. Während zu Voltaires
Zeiten 27 Prozent der europäischen Bevölkerung französisch als Muttersprache
beherrschte und das übrige gebildete Europa sich des Französischen in gesell-
schaftlichen wie diplomatischen Kreisen bediente, ist die französische Sprache mehr
und mehr hinter der deutschen und englischen zurückgetreten, wenn sie auch viel¬
fach noch die Stelle der "dritten Sprache" vertritt. Im Jahre 1878 hat Le-
vasseur für die ganze Erde die Bevölkerung französischer Zunge aus 45 Millionen,
die der deutschen und englischen auf je 80 Millionen geschätzt, und jetzt gibt
Bertillon die Zahlen auf 50 Millionen französisch, 120 Millionen deutsch und
160 Millionen englisch*) Sprechende an.

Als Folge der Geburtenminderung hat man weiter die Abnahme der
großen Männer mit der Begründung ansehen wollen, zahlreiche Geschwister
wirkten auf die Erziehung günstig ein, und die Geschichte habe gezeigt, daß
bedeutende Männer viele Geschwister gehabt hätten und selbst nur selten (in 6
von 64 Fällen) Erstgeborene gewesen seien. Zur Begründung der Minder¬
wertigkeit der Erstgeburt hat man auf das Bibelbeispiel Kains und die instinkt¬
mäßige Gewohnheit mancher Tiere, den ersten Wurf als minderwertig zu ver¬
nichten, hingewiesen. Bei einer Beschränkung der Geburten auf ein Kind fehle
daher die erziehliche Einwirkung der Geschwister und würden die zu erwartenden
wertvolleren Kinder unterdrückt. Dieser Begründung wird jedoch nur eine
untergeordnete Bedeutung beizumessen sein, da die Statistik bei der geringen
Zahl der beobachteten Fälle nicht ernst genommen werden kann und die erzieh¬
liche Einwirkung der Geschwister durch Schulkameraden ersetzt zu werden pflegt



*) Die offizielle englische Sprache für die gesamten englischen und nordamerikanischen
Besitzungen ist natürlich erheblich höher, etwa 600 Millionen, d. h. fast ein Drittel der Ge-
samtbevölkerung der Erde.
Zur Lntvölkerungsfrage

getreten, wenn er auch im Verhältnis zur französischen Bevölkerung den zweiten
Rang behauptet hat, wie folgende Zahlen für das Jahr 1911 ergeben:

England 26 Milliarden Franken insgesamt, 677 Franken auf den Kopf der Bevölkerung,
Deutschland 22 „ „ „ 330 „ „ „ „ „
Ver. Staaten 19 „ „ „ 210 „ „ „ „ „
Frankreich 14 „ „ „ 360 „ „ „ „ „

Als Maßstab für den Handel können auch die Jahreseinnahmen der Eisen¬
bahnen dienen, die nach der letztjährigen vom Staatsrat Colson, einer fran¬
zösischen Autorität auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik, veröffentlichten Trans¬
portstatistik im Mittel für den Kilometer betrugen:

in Frankreich......46 300 Franken, Reinertrag 3,86 Prozent des Kapitals,
„ Großbritannien und Irland 79 800 „ „ 4,36 „ „ „
„ Deutschland..... 64700 „ „ ö,64 „ „ ^,

und damit bei uns (nach den Vereinigten Staaten) im Vergleich mit den haupt¬
sächlichsten Staaten der Welt den höchsten Ertrag abwerfen trotz eines sowohl
für Reisende wie für Güter mittleren Tarifes.

5. Auf geistigem Gebiete erhöht sich mit der Bevölkerung die Wahrschein¬
lichkeit großer Geister und der Absatz ihrer Werke. Während zu Voltaires
Zeiten 27 Prozent der europäischen Bevölkerung französisch als Muttersprache
beherrschte und das übrige gebildete Europa sich des Französischen in gesell-
schaftlichen wie diplomatischen Kreisen bediente, ist die französische Sprache mehr
und mehr hinter der deutschen und englischen zurückgetreten, wenn sie auch viel¬
fach noch die Stelle der „dritten Sprache" vertritt. Im Jahre 1878 hat Le-
vasseur für die ganze Erde die Bevölkerung französischer Zunge aus 45 Millionen,
die der deutschen und englischen auf je 80 Millionen geschätzt, und jetzt gibt
Bertillon die Zahlen auf 50 Millionen französisch, 120 Millionen deutsch und
160 Millionen englisch*) Sprechende an.

Als Folge der Geburtenminderung hat man weiter die Abnahme der
großen Männer mit der Begründung ansehen wollen, zahlreiche Geschwister
wirkten auf die Erziehung günstig ein, und die Geschichte habe gezeigt, daß
bedeutende Männer viele Geschwister gehabt hätten und selbst nur selten (in 6
von 64 Fällen) Erstgeborene gewesen seien. Zur Begründung der Minder¬
wertigkeit der Erstgeburt hat man auf das Bibelbeispiel Kains und die instinkt¬
mäßige Gewohnheit mancher Tiere, den ersten Wurf als minderwertig zu ver¬
nichten, hingewiesen. Bei einer Beschränkung der Geburten auf ein Kind fehle
daher die erziehliche Einwirkung der Geschwister und würden die zu erwartenden
wertvolleren Kinder unterdrückt. Dieser Begründung wird jedoch nur eine
untergeordnete Bedeutung beizumessen sein, da die Statistik bei der geringen
Zahl der beobachteten Fälle nicht ernst genommen werden kann und die erzieh¬
liche Einwirkung der Geschwister durch Schulkameraden ersetzt zu werden pflegt



*) Die offizielle englische Sprache für die gesamten englischen und nordamerikanischen
Besitzungen ist natürlich erheblich höher, etwa 600 Millionen, d. h. fast ein Drittel der Ge-
samtbevölkerung der Erde.
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[0561] Zur Lntvölkerungsfrage getreten, wenn er auch im Verhältnis zur französischen Bevölkerung den zweiten Rang behauptet hat, wie folgende Zahlen für das Jahr 1911 ergeben: England 26 Milliarden Franken insgesamt, 677 Franken auf den Kopf der Bevölkerung, Deutschland 22 „ „ „ 330 „ „ „ „ „ Ver. Staaten 19 „ „ „ 210 „ „ „ „ „ Frankreich 14 „ „ „ 360 „ „ „ „ „ Als Maßstab für den Handel können auch die Jahreseinnahmen der Eisen¬ bahnen dienen, die nach der letztjährigen vom Staatsrat Colson, einer fran¬ zösischen Autorität auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik, veröffentlichten Trans¬ portstatistik im Mittel für den Kilometer betrugen: in Frankreich......46 300 Franken, Reinertrag 3,86 Prozent des Kapitals, „ Großbritannien und Irland 79 800 „ „ 4,36 „ „ „ „ Deutschland..... 64700 „ „ ö,64 „ „ ^, und damit bei uns (nach den Vereinigten Staaten) im Vergleich mit den haupt¬ sächlichsten Staaten der Welt den höchsten Ertrag abwerfen trotz eines sowohl für Reisende wie für Güter mittleren Tarifes. 5. Auf geistigem Gebiete erhöht sich mit der Bevölkerung die Wahrschein¬ lichkeit großer Geister und der Absatz ihrer Werke. Während zu Voltaires Zeiten 27 Prozent der europäischen Bevölkerung französisch als Muttersprache beherrschte und das übrige gebildete Europa sich des Französischen in gesell- schaftlichen wie diplomatischen Kreisen bediente, ist die französische Sprache mehr und mehr hinter der deutschen und englischen zurückgetreten, wenn sie auch viel¬ fach noch die Stelle der „dritten Sprache" vertritt. Im Jahre 1878 hat Le- vasseur für die ganze Erde die Bevölkerung französischer Zunge aus 45 Millionen, die der deutschen und englischen auf je 80 Millionen geschätzt, und jetzt gibt Bertillon die Zahlen auf 50 Millionen französisch, 120 Millionen deutsch und 160 Millionen englisch*) Sprechende an. Als Folge der Geburtenminderung hat man weiter die Abnahme der großen Männer mit der Begründung ansehen wollen, zahlreiche Geschwister wirkten auf die Erziehung günstig ein, und die Geschichte habe gezeigt, daß bedeutende Männer viele Geschwister gehabt hätten und selbst nur selten (in 6 von 64 Fällen) Erstgeborene gewesen seien. Zur Begründung der Minder¬ wertigkeit der Erstgeburt hat man auf das Bibelbeispiel Kains und die instinkt¬ mäßige Gewohnheit mancher Tiere, den ersten Wurf als minderwertig zu ver¬ nichten, hingewiesen. Bei einer Beschränkung der Geburten auf ein Kind fehle daher die erziehliche Einwirkung der Geschwister und würden die zu erwartenden wertvolleren Kinder unterdrückt. Dieser Begründung wird jedoch nur eine untergeordnete Bedeutung beizumessen sein, da die Statistik bei der geringen Zahl der beobachteten Fälle nicht ernst genommen werden kann und die erzieh¬ liche Einwirkung der Geschwister durch Schulkameraden ersetzt zu werden pflegt *) Die offizielle englische Sprache für die gesamten englischen und nordamerikanischen Besitzungen ist natürlich erheblich höher, etwa 600 Millionen, d. h. fast ein Drittel der Ge- samtbevölkerung der Erde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/561>, abgerufen am 24.07.2024.