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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Heeresverstärkung 5952

zu setzen. Lediglich diese Reichtümer zu schützen ist die Aufgabe des deutschen
Heeres, da sie aber den Neid der Nachbarn hervorgerufen haben, heißt es für
uns besonders wachsam sein. Einmal aus dem Frieden aufgestört, soll im
Aufspringen des deutschen Heeres soviel Kraft liegen, daß seine erste kriegerische
Bewegung sich zum Angriff wandelt. Die Möglichkeit eines feindlichen Einfalls in
deutsche Lande soll ein für allemal ausgeschlossen bleiben. Wenn im Kabinett des
preußischen Kriegsministers nach Anweisung des Leiters der auswärtigen
Politik auf den bekannten Mobilmachungsknopf gedrückt wird, soll eine Ma¬
schine in Gang kommen, deren Vorwärtsbewegung nur durch den Widerstand
des Feindes jenseits der Grenzen gehemmt werden könnte oder aber durch den
Befehl zur Demobilisierung.

Hieraus ergibt sich die Aufgabe für die Heeresleitung mit Bezug auf die
innere Organisation des Heeres. Die allgemeine Bewachung des Friedens liegt
der Diplomatie ob, die bezüglich reiner Militärfragen durch den Großen General¬
stab, ini übrigen durch die Presse unterstützt wird. Bei ihr liegen auch alle
Mittel bloßer Defensive; wird erst die Armee aufgerufen, dann gibt es nur
Offensive, und durch diese Rollenverteilung klärt sich auch der scheinbare eingangs
erwähnte Widerspruch restlos auf.

Zum Angriff gehören leichte Truppen, leicht bewegliche Truppenkörper,
gehören zahlreiche gut und schnell schießende Jnfanteristen und Artilleristen, gehört
eine zahlreiche, die Aufklärung energisch betreibende Kavallerie, gehören ent¬
sprechende Automobil- und Radfahrertruppen, Luftschiffe, Flugfahrzeuge, und
was sonst die Technik erfunden hat, um dem Gegner möglichst unter die
Wälle der Festungen zu gucken. Aber diesen Forderungen des Generalstabes
stehen die außerordentlich schwer ins Gewicht fallenden Ansprüche der Inten¬
dantur entgegen: Verpflegung und Bekleidung, zu denen noch die immer kritischer
werdenden Anforderungen an den Munitionsersatz treten.

Das Gepäck des einzelnen Mannes und Pferdes ist trotz aller Erleichternngs-
versuche heute so schwer, daß weder dem Schützen noch dem Reiter eine der
Steigerung der Feuergeschwindigkeit entsprechende Zahl Patronen zugemutet
werden könnte und es werden sogar Stimmen laut, die glauben, man könne
dem Jnfanteristen einige Patronen abnehmen, weil die deutsche Infanterie
bezüglich der Ausrüstung mit Munition allen anderen Infanterien überlegen ist.
Was heute mehr an Munition gebraucht wird gegen früher, muß in besonderen
Fahrzeugen der Truppe nachgefahren werden. Während in früheren Kriegen
die Truppen in ihrer Beweglichkeit gehemmt wurden durch den überhand¬
nehmenden Luxus bei den Offizieren, der die Trains unendliche Dimensionen
annehmen ließ, sind es gegenwärtig die Munitionswagen und -Kolonnen, die
die Bewegungsfreiheit der einzelnen Truppen ganz außerordentlich erschweren.
Bei der Feldartillerie ist man bereits in einem solchen Stadium der Verlegenheit,
daß sich eine starke Partei gebildet hat, die für die Verkleinerung der Batterien
von sechs auf vier Geschütze eintritt (s. Grenzboten Heft 9 S, 431). Eine


Heeresverstärkung 5952

zu setzen. Lediglich diese Reichtümer zu schützen ist die Aufgabe des deutschen
Heeres, da sie aber den Neid der Nachbarn hervorgerufen haben, heißt es für
uns besonders wachsam sein. Einmal aus dem Frieden aufgestört, soll im
Aufspringen des deutschen Heeres soviel Kraft liegen, daß seine erste kriegerische
Bewegung sich zum Angriff wandelt. Die Möglichkeit eines feindlichen Einfalls in
deutsche Lande soll ein für allemal ausgeschlossen bleiben. Wenn im Kabinett des
preußischen Kriegsministers nach Anweisung des Leiters der auswärtigen
Politik auf den bekannten Mobilmachungsknopf gedrückt wird, soll eine Ma¬
schine in Gang kommen, deren Vorwärtsbewegung nur durch den Widerstand
des Feindes jenseits der Grenzen gehemmt werden könnte oder aber durch den
Befehl zur Demobilisierung.

Hieraus ergibt sich die Aufgabe für die Heeresleitung mit Bezug auf die
innere Organisation des Heeres. Die allgemeine Bewachung des Friedens liegt
der Diplomatie ob, die bezüglich reiner Militärfragen durch den Großen General¬
stab, ini übrigen durch die Presse unterstützt wird. Bei ihr liegen auch alle
Mittel bloßer Defensive; wird erst die Armee aufgerufen, dann gibt es nur
Offensive, und durch diese Rollenverteilung klärt sich auch der scheinbare eingangs
erwähnte Widerspruch restlos auf.

Zum Angriff gehören leichte Truppen, leicht bewegliche Truppenkörper,
gehören zahlreiche gut und schnell schießende Jnfanteristen und Artilleristen, gehört
eine zahlreiche, die Aufklärung energisch betreibende Kavallerie, gehören ent¬
sprechende Automobil- und Radfahrertruppen, Luftschiffe, Flugfahrzeuge, und
was sonst die Technik erfunden hat, um dem Gegner möglichst unter die
Wälle der Festungen zu gucken. Aber diesen Forderungen des Generalstabes
stehen die außerordentlich schwer ins Gewicht fallenden Ansprüche der Inten¬
dantur entgegen: Verpflegung und Bekleidung, zu denen noch die immer kritischer
werdenden Anforderungen an den Munitionsersatz treten.

Das Gepäck des einzelnen Mannes und Pferdes ist trotz aller Erleichternngs-
versuche heute so schwer, daß weder dem Schützen noch dem Reiter eine der
Steigerung der Feuergeschwindigkeit entsprechende Zahl Patronen zugemutet
werden könnte und es werden sogar Stimmen laut, die glauben, man könne
dem Jnfanteristen einige Patronen abnehmen, weil die deutsche Infanterie
bezüglich der Ausrüstung mit Munition allen anderen Infanterien überlegen ist.
Was heute mehr an Munition gebraucht wird gegen früher, muß in besonderen
Fahrzeugen der Truppe nachgefahren werden. Während in früheren Kriegen
die Truppen in ihrer Beweglichkeit gehemmt wurden durch den überhand¬
nehmenden Luxus bei den Offizieren, der die Trains unendliche Dimensionen
annehmen ließ, sind es gegenwärtig die Munitionswagen und -Kolonnen, die
die Bewegungsfreiheit der einzelnen Truppen ganz außerordentlich erschweren.
Bei der Feldartillerie ist man bereits in einem solchen Stadium der Verlegenheit,
daß sich eine starke Partei gebildet hat, die für die Verkleinerung der Batterien
von sechs auf vier Geschütze eintritt (s. Grenzboten Heft 9 S, 431). Eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/550>, abgerufen am 29.06.2024.