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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Engländer in Indien

Lange konnte es natürlich nicht so weiter gehen. Schon fünf Jahre nach
Clives Abreise war die englische Herrschaft in Bengalen so schwer erschüttert,
daß der Meister selbst zurückkehren mußte, um sein Werk vor dem Zusammen¬
bruch zu retten. Während dieses seines letzten Aufenthalts in Indien hat nun
Clive einen detaillierten Verwaltungsplan für die Kolonie ausgearbeitet. Ob¬
gleich seitdem hundertundfunfzig Jahre verflossen sind, möchte ich doch mit
einigen Worten bei diesem Plan verweilen, weil darin schon manche noch heute
aktuellen Fragen auftauchen, und weil viele schwere Mißgriffe der Folgezeit ver¬
mieden worden wären, wenn man den klaren, einfachen Prinzipien des Eroberers
und ersten Gouverneurs von Britisch-Indien mehr Beachtung geschenkt hätte.

Das mohammedanische Regierungssystem Indiens (und der meisten anderen
mohammedanischen Länder) unterschied zwei Verwaltungszweige: die Diwanie
oder Finanzverwaltung und das Nizamet oder Heerwesen. Eine selbständige
Abteilung für das Gerichtswesen gab es nicht, sondern jeder Beamte, jeder
Offizier übte ohne weiteres die Gerichtsbarkeit innerhalb seines Befehlsbereiches
aus. Das Nizamet ging mit der Eroberung des Landes automatisch in die
Hände der Engländer über. Was den eingeborenen Fürsten noch an eigenen
Truppen verblieb, entbehrte jedes militärischen Wertes. Die Diwanie dagegen
war der englischen Kompagnie durch einen Fernau des Großmoguls (vom
2. August 1765) übertragen worden. (Die Kompagnie erkannte damit also in
aller Form ihre politische Abhängigkeit vom Großmogul an und verpflichtete
sich sogar zur Zahlung eines jährlichen Tributs von 2600000 Rupien.)

Da Indien ein fast reines Agrarland ist. bildet der Ackerbau die Haupt-
steuerquelle der Regierung. Das System der Erhebung dieser Agrarsteuern.
wie es die Engländer bei Eroberung des Landes vorfanden, stammte vom
Kaiser Akbar. Wie so viele Einrichtungen dieses außerordentlichen Monarchen
paßte es sich gut den Bedürfnissen des Landes an. Der Güte des Bodens,
den Schwankungen des Klimas usw. trug es in weitgehendsten Maße Rechnung.
Naturgemäß mußte ein solches System auch sehr verwickelt sein. (Genaueres
hierüber bei dem obenerwähnten Barchou de Penhoen. Der Großmogul
Dschehangir sagte, man brauche zehn Jahre, um das Steuersystem Bengalens
zu erlernen. S. Stewart History of Bengal 164.) Clive erkannte sofort, daß
englische Beamte sich kaum darin zurechtfinden würden. Er behielt daher,
soweit wie möglich, die einheimische Verwaltung bei. Der Nawab von Ben¬
galen war ein Spielzeug in seinen Händen. Ließ er diesen der Form nach
im Besitz der Herrschaft und wahrte dessen Würde seinen Untertanen gegenüber,
so ging das ganze Ansehen, welches die alte Regierung noch im Volke genoß,
automatisch auf ihn über. Ein englischer "Resident" am Hofe des Nawab.
dem die Kontrolle aller wichtigen Staatshandlungen, insbesondere des Finanz¬
wesens oblag, genügte, um die Interessen der Kompagnie der einheimischen
Regierung gegenüber sicherzustellen. Dieses einfache und wenig kostspielige System
war aber nicht nach dem Sinne der stellen- und profithungerigen Kompagnie-


Die Engländer in Indien

Lange konnte es natürlich nicht so weiter gehen. Schon fünf Jahre nach
Clives Abreise war die englische Herrschaft in Bengalen so schwer erschüttert,
daß der Meister selbst zurückkehren mußte, um sein Werk vor dem Zusammen¬
bruch zu retten. Während dieses seines letzten Aufenthalts in Indien hat nun
Clive einen detaillierten Verwaltungsplan für die Kolonie ausgearbeitet. Ob¬
gleich seitdem hundertundfunfzig Jahre verflossen sind, möchte ich doch mit
einigen Worten bei diesem Plan verweilen, weil darin schon manche noch heute
aktuellen Fragen auftauchen, und weil viele schwere Mißgriffe der Folgezeit ver¬
mieden worden wären, wenn man den klaren, einfachen Prinzipien des Eroberers
und ersten Gouverneurs von Britisch-Indien mehr Beachtung geschenkt hätte.

Das mohammedanische Regierungssystem Indiens (und der meisten anderen
mohammedanischen Länder) unterschied zwei Verwaltungszweige: die Diwanie
oder Finanzverwaltung und das Nizamet oder Heerwesen. Eine selbständige
Abteilung für das Gerichtswesen gab es nicht, sondern jeder Beamte, jeder
Offizier übte ohne weiteres die Gerichtsbarkeit innerhalb seines Befehlsbereiches
aus. Das Nizamet ging mit der Eroberung des Landes automatisch in die
Hände der Engländer über. Was den eingeborenen Fürsten noch an eigenen
Truppen verblieb, entbehrte jedes militärischen Wertes. Die Diwanie dagegen
war der englischen Kompagnie durch einen Fernau des Großmoguls (vom
2. August 1765) übertragen worden. (Die Kompagnie erkannte damit also in
aller Form ihre politische Abhängigkeit vom Großmogul an und verpflichtete
sich sogar zur Zahlung eines jährlichen Tributs von 2600000 Rupien.)

Da Indien ein fast reines Agrarland ist. bildet der Ackerbau die Haupt-
steuerquelle der Regierung. Das System der Erhebung dieser Agrarsteuern.
wie es die Engländer bei Eroberung des Landes vorfanden, stammte vom
Kaiser Akbar. Wie so viele Einrichtungen dieses außerordentlichen Monarchen
paßte es sich gut den Bedürfnissen des Landes an. Der Güte des Bodens,
den Schwankungen des Klimas usw. trug es in weitgehendsten Maße Rechnung.
Naturgemäß mußte ein solches System auch sehr verwickelt sein. (Genaueres
hierüber bei dem obenerwähnten Barchou de Penhoen. Der Großmogul
Dschehangir sagte, man brauche zehn Jahre, um das Steuersystem Bengalens
zu erlernen. S. Stewart History of Bengal 164.) Clive erkannte sofort, daß
englische Beamte sich kaum darin zurechtfinden würden. Er behielt daher,
soweit wie möglich, die einheimische Verwaltung bei. Der Nawab von Ben¬
galen war ein Spielzeug in seinen Händen. Ließ er diesen der Form nach
im Besitz der Herrschaft und wahrte dessen Würde seinen Untertanen gegenüber,
so ging das ganze Ansehen, welches die alte Regierung noch im Volke genoß,
automatisch auf ihn über. Ein englischer „Resident" am Hofe des Nawab.
dem die Kontrolle aller wichtigen Staatshandlungen, insbesondere des Finanz¬
wesens oblag, genügte, um die Interessen der Kompagnie der einheimischen
Regierung gegenüber sicherzustellen. Dieses einfache und wenig kostspielige System
war aber nicht nach dem Sinne der stellen- und profithungerigen Kompagnie-


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[0515] Die Engländer in Indien Lange konnte es natürlich nicht so weiter gehen. Schon fünf Jahre nach Clives Abreise war die englische Herrschaft in Bengalen so schwer erschüttert, daß der Meister selbst zurückkehren mußte, um sein Werk vor dem Zusammen¬ bruch zu retten. Während dieses seines letzten Aufenthalts in Indien hat nun Clive einen detaillierten Verwaltungsplan für die Kolonie ausgearbeitet. Ob¬ gleich seitdem hundertundfunfzig Jahre verflossen sind, möchte ich doch mit einigen Worten bei diesem Plan verweilen, weil darin schon manche noch heute aktuellen Fragen auftauchen, und weil viele schwere Mißgriffe der Folgezeit ver¬ mieden worden wären, wenn man den klaren, einfachen Prinzipien des Eroberers und ersten Gouverneurs von Britisch-Indien mehr Beachtung geschenkt hätte. Das mohammedanische Regierungssystem Indiens (und der meisten anderen mohammedanischen Länder) unterschied zwei Verwaltungszweige: die Diwanie oder Finanzverwaltung und das Nizamet oder Heerwesen. Eine selbständige Abteilung für das Gerichtswesen gab es nicht, sondern jeder Beamte, jeder Offizier übte ohne weiteres die Gerichtsbarkeit innerhalb seines Befehlsbereiches aus. Das Nizamet ging mit der Eroberung des Landes automatisch in die Hände der Engländer über. Was den eingeborenen Fürsten noch an eigenen Truppen verblieb, entbehrte jedes militärischen Wertes. Die Diwanie dagegen war der englischen Kompagnie durch einen Fernau des Großmoguls (vom 2. August 1765) übertragen worden. (Die Kompagnie erkannte damit also in aller Form ihre politische Abhängigkeit vom Großmogul an und verpflichtete sich sogar zur Zahlung eines jährlichen Tributs von 2600000 Rupien.) Da Indien ein fast reines Agrarland ist. bildet der Ackerbau die Haupt- steuerquelle der Regierung. Das System der Erhebung dieser Agrarsteuern. wie es die Engländer bei Eroberung des Landes vorfanden, stammte vom Kaiser Akbar. Wie so viele Einrichtungen dieses außerordentlichen Monarchen paßte es sich gut den Bedürfnissen des Landes an. Der Güte des Bodens, den Schwankungen des Klimas usw. trug es in weitgehendsten Maße Rechnung. Naturgemäß mußte ein solches System auch sehr verwickelt sein. (Genaueres hierüber bei dem obenerwähnten Barchou de Penhoen. Der Großmogul Dschehangir sagte, man brauche zehn Jahre, um das Steuersystem Bengalens zu erlernen. S. Stewart History of Bengal 164.) Clive erkannte sofort, daß englische Beamte sich kaum darin zurechtfinden würden. Er behielt daher, soweit wie möglich, die einheimische Verwaltung bei. Der Nawab von Ben¬ galen war ein Spielzeug in seinen Händen. Ließ er diesen der Form nach im Besitz der Herrschaft und wahrte dessen Würde seinen Untertanen gegenüber, so ging das ganze Ansehen, welches die alte Regierung noch im Volke genoß, automatisch auf ihn über. Ein englischer „Resident" am Hofe des Nawab. dem die Kontrolle aller wichtigen Staatshandlungen, insbesondere des Finanz¬ wesens oblag, genügte, um die Interessen der Kompagnie der einheimischen Regierung gegenüber sicherzustellen. Dieses einfache und wenig kostspielige System war aber nicht nach dem Sinne der stellen- und profithungerigen Kompagnie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/515>, abgerufen am 02.07.2024.