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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Engländer in Indien

Geheimnis der großen kolonisatorischen Erfolge Englands. Deutschland
versuchte es, die afrikanischen Neger mit seinem Bureaukratismus zu be¬
glücken. Frankreich die Anmänner mit seiner Monopolwirtschast. Beide
handelten nach festen Prinzipien, die sür die heimischen Verhältnisse allen¬
falls noch geeignet sein mochten, in fremden Ländern aber nur Schaden
stiften konnten.

Man kann nicht sagen, daß England sich bei der Verwaltung Indiens vom
Doktrinarismus frei gehalten hat. Ich werde später noch auf einen derartigen
Fall zu sprechen kommen, an dessen Folgen Indien heute noch krankt. Dieser
Fall war indessen eigentlich nur eine zu weitgehende Reaktion gegen die schäd¬
lichen Wirkungen der übertriebenen Systemlosigkeit.

Durch den Sieg von Plassey war den Engländern die ganze Provinz
Bengalen mit den dazu gehörigen Landschaften Bihar und Orissa in den Schoß
gefallen. Sie sahen sich nun plötzlich vor die Aufgabe gestellt, ein Gebiet von
etwa 350000 Quadratkilometern (das also annähernd so groß ist, wie das König¬
reich Preußen) zu verwalten. Clive. dem das Hauptverdienst an der Eroberung
des Landes zukam, verließ Indien bald nach seinem großen Erfolg und kehrte
nach England zurück. Er war durch die Annahme ungeheurer Geschenke zu
einem der reichsten Leute Englands geworden. Kein Wunder, daß seine Nach¬
folger zunächst wenig an die großen Pflichten dachten, die ihnen aus der Re¬
gierung der zahllosen neuen Untertanen erwuchsen, sondern in den eroberten
Ländern nur eine melkende Kuh sahen. Wer immer die Heimat verließ, um
bei der indischen Handelskompagnie in Dienst zu treten, hatte nur ein großes
Ziel vor Augen: es galt, möglichst schnell ein großes Vermögen zusammenzu¬
raffen, noch ehe das mörderische Klima die Gesundheit untergraben hatte, und
dann nach England zurückzukehren, um dort ein bequemes und luxuriöses Leben
führen zu können. So kam es. daß die ersten Jahre der englischen Verwaltung
in Indien ein schwarzes Kapitel des denkbar schlimmsten Aussaugesystems
wurden. Ein Schwarm von Abenteurern ergoß sich unter dem Namen:
"Agenten der Handelskompagnie" über das unglückliche Land, nistete sich in
allen Zweigen der Verwaltung ein und riß alle Stellen., wo es etwas zu ver¬
dienen gab. an sich.

Für das Land war dieses System verhängnisvoller als die schlimmste
Mißregierung der früheren Herren. Denn mochte der einheimische Fürst seine
Untertanen noch so schwer drücken, er erhielt seine Steuern doch hauptsächlich in
Naturalien, und auch das Bargeld, welches er einzog, wurde zum größten Teil
im Lande selbst wieder ausgegeben. Die fremden Handelskompagnien impor¬
tierten damals ebenfalls viel Edelmetall nach Indien, so daß bis zur Eroberung
Vengalens durch England ein dauernder Geldzufluß aus Europa nach Indien
bestand. Die englische Kompagnie schnitt nicht nur diesen Zufluß durch Zer-
störung der anderen europäischen Handelsniederlassungen ab, sie exportierte sogar
noch Bargeld, teils in Form von Dividenden. Gehältern. Geschenken usw..


Die Engländer in Indien

Geheimnis der großen kolonisatorischen Erfolge Englands. Deutschland
versuchte es, die afrikanischen Neger mit seinem Bureaukratismus zu be¬
glücken. Frankreich die Anmänner mit seiner Monopolwirtschast. Beide
handelten nach festen Prinzipien, die sür die heimischen Verhältnisse allen¬
falls noch geeignet sein mochten, in fremden Ländern aber nur Schaden
stiften konnten.

Man kann nicht sagen, daß England sich bei der Verwaltung Indiens vom
Doktrinarismus frei gehalten hat. Ich werde später noch auf einen derartigen
Fall zu sprechen kommen, an dessen Folgen Indien heute noch krankt. Dieser
Fall war indessen eigentlich nur eine zu weitgehende Reaktion gegen die schäd¬
lichen Wirkungen der übertriebenen Systemlosigkeit.

Durch den Sieg von Plassey war den Engländern die ganze Provinz
Bengalen mit den dazu gehörigen Landschaften Bihar und Orissa in den Schoß
gefallen. Sie sahen sich nun plötzlich vor die Aufgabe gestellt, ein Gebiet von
etwa 350000 Quadratkilometern (das also annähernd so groß ist, wie das König¬
reich Preußen) zu verwalten. Clive. dem das Hauptverdienst an der Eroberung
des Landes zukam, verließ Indien bald nach seinem großen Erfolg und kehrte
nach England zurück. Er war durch die Annahme ungeheurer Geschenke zu
einem der reichsten Leute Englands geworden. Kein Wunder, daß seine Nach¬
folger zunächst wenig an die großen Pflichten dachten, die ihnen aus der Re¬
gierung der zahllosen neuen Untertanen erwuchsen, sondern in den eroberten
Ländern nur eine melkende Kuh sahen. Wer immer die Heimat verließ, um
bei der indischen Handelskompagnie in Dienst zu treten, hatte nur ein großes
Ziel vor Augen: es galt, möglichst schnell ein großes Vermögen zusammenzu¬
raffen, noch ehe das mörderische Klima die Gesundheit untergraben hatte, und
dann nach England zurückzukehren, um dort ein bequemes und luxuriöses Leben
führen zu können. So kam es. daß die ersten Jahre der englischen Verwaltung
in Indien ein schwarzes Kapitel des denkbar schlimmsten Aussaugesystems
wurden. Ein Schwarm von Abenteurern ergoß sich unter dem Namen:
»Agenten der Handelskompagnie" über das unglückliche Land, nistete sich in
allen Zweigen der Verwaltung ein und riß alle Stellen., wo es etwas zu ver¬
dienen gab. an sich.

Für das Land war dieses System verhängnisvoller als die schlimmste
Mißregierung der früheren Herren. Denn mochte der einheimische Fürst seine
Untertanen noch so schwer drücken, er erhielt seine Steuern doch hauptsächlich in
Naturalien, und auch das Bargeld, welches er einzog, wurde zum größten Teil
im Lande selbst wieder ausgegeben. Die fremden Handelskompagnien impor¬
tierten damals ebenfalls viel Edelmetall nach Indien, so daß bis zur Eroberung
Vengalens durch England ein dauernder Geldzufluß aus Europa nach Indien
bestand. Die englische Kompagnie schnitt nicht nur diesen Zufluß durch Zer-
störung der anderen europäischen Handelsniederlassungen ab, sie exportierte sogar
noch Bargeld, teils in Form von Dividenden. Gehältern. Geschenken usw..


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[0513] Die Engländer in Indien Geheimnis der großen kolonisatorischen Erfolge Englands. Deutschland versuchte es, die afrikanischen Neger mit seinem Bureaukratismus zu be¬ glücken. Frankreich die Anmänner mit seiner Monopolwirtschast. Beide handelten nach festen Prinzipien, die sür die heimischen Verhältnisse allen¬ falls noch geeignet sein mochten, in fremden Ländern aber nur Schaden stiften konnten. Man kann nicht sagen, daß England sich bei der Verwaltung Indiens vom Doktrinarismus frei gehalten hat. Ich werde später noch auf einen derartigen Fall zu sprechen kommen, an dessen Folgen Indien heute noch krankt. Dieser Fall war indessen eigentlich nur eine zu weitgehende Reaktion gegen die schäd¬ lichen Wirkungen der übertriebenen Systemlosigkeit. Durch den Sieg von Plassey war den Engländern die ganze Provinz Bengalen mit den dazu gehörigen Landschaften Bihar und Orissa in den Schoß gefallen. Sie sahen sich nun plötzlich vor die Aufgabe gestellt, ein Gebiet von etwa 350000 Quadratkilometern (das also annähernd so groß ist, wie das König¬ reich Preußen) zu verwalten. Clive. dem das Hauptverdienst an der Eroberung des Landes zukam, verließ Indien bald nach seinem großen Erfolg und kehrte nach England zurück. Er war durch die Annahme ungeheurer Geschenke zu einem der reichsten Leute Englands geworden. Kein Wunder, daß seine Nach¬ folger zunächst wenig an die großen Pflichten dachten, die ihnen aus der Re¬ gierung der zahllosen neuen Untertanen erwuchsen, sondern in den eroberten Ländern nur eine melkende Kuh sahen. Wer immer die Heimat verließ, um bei der indischen Handelskompagnie in Dienst zu treten, hatte nur ein großes Ziel vor Augen: es galt, möglichst schnell ein großes Vermögen zusammenzu¬ raffen, noch ehe das mörderische Klima die Gesundheit untergraben hatte, und dann nach England zurückzukehren, um dort ein bequemes und luxuriöses Leben führen zu können. So kam es. daß die ersten Jahre der englischen Verwaltung in Indien ein schwarzes Kapitel des denkbar schlimmsten Aussaugesystems wurden. Ein Schwarm von Abenteurern ergoß sich unter dem Namen: »Agenten der Handelskompagnie" über das unglückliche Land, nistete sich in allen Zweigen der Verwaltung ein und riß alle Stellen., wo es etwas zu ver¬ dienen gab. an sich. Für das Land war dieses System verhängnisvoller als die schlimmste Mißregierung der früheren Herren. Denn mochte der einheimische Fürst seine Untertanen noch so schwer drücken, er erhielt seine Steuern doch hauptsächlich in Naturalien, und auch das Bargeld, welches er einzog, wurde zum größten Teil im Lande selbst wieder ausgegeben. Die fremden Handelskompagnien impor¬ tierten damals ebenfalls viel Edelmetall nach Indien, so daß bis zur Eroberung Vengalens durch England ein dauernder Geldzufluß aus Europa nach Indien bestand. Die englische Kompagnie schnitt nicht nur diesen Zufluß durch Zer- störung der anderen europäischen Handelsniederlassungen ab, sie exportierte sogar noch Bargeld, teils in Form von Dividenden. Gehältern. Geschenken usw..

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/513>, abgerufen am 22.12.2024.