Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Briefe aus Trebeldorf

Nachbarstädtchen Sulzberg. Ich sollte natürlich mit, mochte aber nicht und bin
ohne Angabe besonderer Gründe fortgeblieben. Dafür haben sie den Bürger¬
meister bei sich gehabt. Da gestern Gehaltstag war und er sich doch etwas
Besonderes leisten mußte, so hat er sich bereitwillig angeschlossen. Im Dunkeln
auf der Heimfahrt haben sie ihn verloren. Er hat wieder nach seiner Art im
Sekt gewüstet und dann unglücklicherweise das Hinterteil des allerletzten Schlittens
bestiegen. Man hat das Malheur nicht gleich anfangs bemerkt. Als es ent¬
deckt worden ist, hat man nach vorn signalisiert, die ganze Karawane hat
gestoppt, alles ist ausgestiegen, und nach halbstündigen Suchen hat man ihn
sanft gebettet zur Seite der Chaussee im ruhigsten Schlaf gefunden. Sie haben
ihn aufgesammelt und diesmal fester verstaut. Er ist heil geblieben und mag
wohl mit einem tüchtigen Schnupfen davonkommen.

Auf meinem heutigen Spaziergange bin ich dem Präparandenvorsteher mit
Frau und Tochter begegnet. Die haben mir den Scherz erzählt. Diese ein¬
fachen, prächtigen Leute gewinne ich übrigens lieb. Über den etwas gekünstelter
Würdenschein des alten Herrn steht man bald hinweg. Die Tochter ist über
den jugendlichen Hochzeitsdrang hinaus, und so darf ich mich diesen Leuten
ohne die Gefahr der Nachrede wohl nähern. Mit dem Vater werde ich von
nun an des öfteren eine Partie Schach spielen.

Inzwischen ist auch der letzte Widerstand des alten Ewert siegreich bekämpft
worden, und seit einer Woche unterrichte ich Anna täglich eine Stunde. Das
ist eine Freude, sag ich Dir! -- Das Mädchen besitzt eine wunderbare Auf¬
fassungsgabe für alles und bringt im übrigen viel mehr Wissen mit, als ich
erwartet hatte. Sie ist in der hiesigen Schule so weit fortgeschritten, daß sie
einen glatten Brief zu entwerfen imstande ist. Ihre Handschrift ist fest, sauber
und zeigt charakteristische Züge. Kaum daß sich hier und dort einmal ein
belangloser Fehler findet. Daraus läßt sich etwas heranbilden.

Wenn wir nur in ihrem Hause nicht so viele Störung hätten. Es ist
nur das eine Zimmer da. Bald stürmt der kleine Paul mit einer seiner vielen
Fragen herein. Dann wieder kommt die Mutter mit irgend einem Auftrag,
oder es schlürft auf seinen Holzpantoffeln der Alte zum Eckschrank, um zu seinem
Vesperbrot einen kleinen Kümmel hinunterzukippen.

Gestern kam auch Fritze Adlers. Anna sagte ihm gleich, er müsse sich
ruhig verhalten und dürfe nicht sprechen. Da hat er sich an den Tisch gesetzt,
den Kopf trotzig in die Hand gestützt und eine Dreiviertelstunde ingrimmig
zugeschaut. Dann ist er stumm gegangen.

Nun, lieber Cunz, heißen Dank für Brief und Bild. Was ich sonst noch
vom Herzen herunterschwätzen möchte, kommt in einen Begleitbrief an Deine
Braut. Laß ihn Dir vorlesen.


Dein Edward.
Briefe aus Trebeldorf

Nachbarstädtchen Sulzberg. Ich sollte natürlich mit, mochte aber nicht und bin
ohne Angabe besonderer Gründe fortgeblieben. Dafür haben sie den Bürger¬
meister bei sich gehabt. Da gestern Gehaltstag war und er sich doch etwas
Besonderes leisten mußte, so hat er sich bereitwillig angeschlossen. Im Dunkeln
auf der Heimfahrt haben sie ihn verloren. Er hat wieder nach seiner Art im
Sekt gewüstet und dann unglücklicherweise das Hinterteil des allerletzten Schlittens
bestiegen. Man hat das Malheur nicht gleich anfangs bemerkt. Als es ent¬
deckt worden ist, hat man nach vorn signalisiert, die ganze Karawane hat
gestoppt, alles ist ausgestiegen, und nach halbstündigen Suchen hat man ihn
sanft gebettet zur Seite der Chaussee im ruhigsten Schlaf gefunden. Sie haben
ihn aufgesammelt und diesmal fester verstaut. Er ist heil geblieben und mag
wohl mit einem tüchtigen Schnupfen davonkommen.

Auf meinem heutigen Spaziergange bin ich dem Präparandenvorsteher mit
Frau und Tochter begegnet. Die haben mir den Scherz erzählt. Diese ein¬
fachen, prächtigen Leute gewinne ich übrigens lieb. Über den etwas gekünstelter
Würdenschein des alten Herrn steht man bald hinweg. Die Tochter ist über
den jugendlichen Hochzeitsdrang hinaus, und so darf ich mich diesen Leuten
ohne die Gefahr der Nachrede wohl nähern. Mit dem Vater werde ich von
nun an des öfteren eine Partie Schach spielen.

Inzwischen ist auch der letzte Widerstand des alten Ewert siegreich bekämpft
worden, und seit einer Woche unterrichte ich Anna täglich eine Stunde. Das
ist eine Freude, sag ich Dir! — Das Mädchen besitzt eine wunderbare Auf¬
fassungsgabe für alles und bringt im übrigen viel mehr Wissen mit, als ich
erwartet hatte. Sie ist in der hiesigen Schule so weit fortgeschritten, daß sie
einen glatten Brief zu entwerfen imstande ist. Ihre Handschrift ist fest, sauber
und zeigt charakteristische Züge. Kaum daß sich hier und dort einmal ein
belangloser Fehler findet. Daraus läßt sich etwas heranbilden.

Wenn wir nur in ihrem Hause nicht so viele Störung hätten. Es ist
nur das eine Zimmer da. Bald stürmt der kleine Paul mit einer seiner vielen
Fragen herein. Dann wieder kommt die Mutter mit irgend einem Auftrag,
oder es schlürft auf seinen Holzpantoffeln der Alte zum Eckschrank, um zu seinem
Vesperbrot einen kleinen Kümmel hinunterzukippen.

Gestern kam auch Fritze Adlers. Anna sagte ihm gleich, er müsse sich
ruhig verhalten und dürfe nicht sprechen. Da hat er sich an den Tisch gesetzt,
den Kopf trotzig in die Hand gestützt und eine Dreiviertelstunde ingrimmig
zugeschaut. Dann ist er stumm gegangen.

Nun, lieber Cunz, heißen Dank für Brief und Bild. Was ich sonst noch
vom Herzen herunterschwätzen möchte, kommt in einen Begleitbrief an Deine
Braut. Laß ihn Dir vorlesen.


Dein Edward.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0486" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325356"/>
          <fw type="header" place="top"> Briefe aus Trebeldorf</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2207" prev="#ID_2206"> Nachbarstädtchen Sulzberg. Ich sollte natürlich mit, mochte aber nicht und bin<lb/>
ohne Angabe besonderer Gründe fortgeblieben. Dafür haben sie den Bürger¬<lb/>
meister bei sich gehabt. Da gestern Gehaltstag war und er sich doch etwas<lb/>
Besonderes leisten mußte, so hat er sich bereitwillig angeschlossen. Im Dunkeln<lb/>
auf der Heimfahrt haben sie ihn verloren. Er hat wieder nach seiner Art im<lb/>
Sekt gewüstet und dann unglücklicherweise das Hinterteil des allerletzten Schlittens<lb/>
bestiegen. Man hat das Malheur nicht gleich anfangs bemerkt. Als es ent¬<lb/>
deckt worden ist, hat man nach vorn signalisiert, die ganze Karawane hat<lb/>
gestoppt, alles ist ausgestiegen, und nach halbstündigen Suchen hat man ihn<lb/>
sanft gebettet zur Seite der Chaussee im ruhigsten Schlaf gefunden. Sie haben<lb/>
ihn aufgesammelt und diesmal fester verstaut. Er ist heil geblieben und mag<lb/>
wohl mit einem tüchtigen Schnupfen davonkommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2208"> Auf meinem heutigen Spaziergange bin ich dem Präparandenvorsteher mit<lb/>
Frau und Tochter begegnet. Die haben mir den Scherz erzählt. Diese ein¬<lb/>
fachen, prächtigen Leute gewinne ich übrigens lieb. Über den etwas gekünstelter<lb/>
Würdenschein des alten Herrn steht man bald hinweg. Die Tochter ist über<lb/>
den jugendlichen Hochzeitsdrang hinaus, und so darf ich mich diesen Leuten<lb/>
ohne die Gefahr der Nachrede wohl nähern. Mit dem Vater werde ich von<lb/>
nun an des öfteren eine Partie Schach spielen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2209"> Inzwischen ist auch der letzte Widerstand des alten Ewert siegreich bekämpft<lb/>
worden, und seit einer Woche unterrichte ich Anna täglich eine Stunde. Das<lb/>
ist eine Freude, sag ich Dir! &#x2014; Das Mädchen besitzt eine wunderbare Auf¬<lb/>
fassungsgabe für alles und bringt im übrigen viel mehr Wissen mit, als ich<lb/>
erwartet hatte. Sie ist in der hiesigen Schule so weit fortgeschritten, daß sie<lb/>
einen glatten Brief zu entwerfen imstande ist. Ihre Handschrift ist fest, sauber<lb/>
und zeigt charakteristische Züge. Kaum daß sich hier und dort einmal ein<lb/>
belangloser Fehler findet. Daraus läßt sich etwas heranbilden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2210"> Wenn wir nur in ihrem Hause nicht so viele Störung hätten. Es ist<lb/>
nur das eine Zimmer da. Bald stürmt der kleine Paul mit einer seiner vielen<lb/>
Fragen herein. Dann wieder kommt die Mutter mit irgend einem Auftrag,<lb/>
oder es schlürft auf seinen Holzpantoffeln der Alte zum Eckschrank, um zu seinem<lb/>
Vesperbrot einen kleinen Kümmel hinunterzukippen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2211"> Gestern kam auch Fritze Adlers. Anna sagte ihm gleich, er müsse sich<lb/>
ruhig verhalten und dürfe nicht sprechen. Da hat er sich an den Tisch gesetzt,<lb/>
den Kopf trotzig in die Hand gestützt und eine Dreiviertelstunde ingrimmig<lb/>
zugeschaut. Dann ist er stumm gegangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2212"> Nun, lieber Cunz, heißen Dank für Brief und Bild. Was ich sonst noch<lb/>
vom Herzen herunterschwätzen möchte, kommt in einen Begleitbrief an Deine<lb/>
Braut.  Laß ihn Dir vorlesen.</p><lb/>
          <note type="closer"> Dein<note type="bibl"> Edward.</note></note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0486] Briefe aus Trebeldorf Nachbarstädtchen Sulzberg. Ich sollte natürlich mit, mochte aber nicht und bin ohne Angabe besonderer Gründe fortgeblieben. Dafür haben sie den Bürger¬ meister bei sich gehabt. Da gestern Gehaltstag war und er sich doch etwas Besonderes leisten mußte, so hat er sich bereitwillig angeschlossen. Im Dunkeln auf der Heimfahrt haben sie ihn verloren. Er hat wieder nach seiner Art im Sekt gewüstet und dann unglücklicherweise das Hinterteil des allerletzten Schlittens bestiegen. Man hat das Malheur nicht gleich anfangs bemerkt. Als es ent¬ deckt worden ist, hat man nach vorn signalisiert, die ganze Karawane hat gestoppt, alles ist ausgestiegen, und nach halbstündigen Suchen hat man ihn sanft gebettet zur Seite der Chaussee im ruhigsten Schlaf gefunden. Sie haben ihn aufgesammelt und diesmal fester verstaut. Er ist heil geblieben und mag wohl mit einem tüchtigen Schnupfen davonkommen. Auf meinem heutigen Spaziergange bin ich dem Präparandenvorsteher mit Frau und Tochter begegnet. Die haben mir den Scherz erzählt. Diese ein¬ fachen, prächtigen Leute gewinne ich übrigens lieb. Über den etwas gekünstelter Würdenschein des alten Herrn steht man bald hinweg. Die Tochter ist über den jugendlichen Hochzeitsdrang hinaus, und so darf ich mich diesen Leuten ohne die Gefahr der Nachrede wohl nähern. Mit dem Vater werde ich von nun an des öfteren eine Partie Schach spielen. Inzwischen ist auch der letzte Widerstand des alten Ewert siegreich bekämpft worden, und seit einer Woche unterrichte ich Anna täglich eine Stunde. Das ist eine Freude, sag ich Dir! — Das Mädchen besitzt eine wunderbare Auf¬ fassungsgabe für alles und bringt im übrigen viel mehr Wissen mit, als ich erwartet hatte. Sie ist in der hiesigen Schule so weit fortgeschritten, daß sie einen glatten Brief zu entwerfen imstande ist. Ihre Handschrift ist fest, sauber und zeigt charakteristische Züge. Kaum daß sich hier und dort einmal ein belangloser Fehler findet. Daraus läßt sich etwas heranbilden. Wenn wir nur in ihrem Hause nicht so viele Störung hätten. Es ist nur das eine Zimmer da. Bald stürmt der kleine Paul mit einer seiner vielen Fragen herein. Dann wieder kommt die Mutter mit irgend einem Auftrag, oder es schlürft auf seinen Holzpantoffeln der Alte zum Eckschrank, um zu seinem Vesperbrot einen kleinen Kümmel hinunterzukippen. Gestern kam auch Fritze Adlers. Anna sagte ihm gleich, er müsse sich ruhig verhalten und dürfe nicht sprechen. Da hat er sich an den Tisch gesetzt, den Kopf trotzig in die Hand gestützt und eine Dreiviertelstunde ingrimmig zugeschaut. Dann ist er stumm gegangen. Nun, lieber Cunz, heißen Dank für Brief und Bild. Was ich sonst noch vom Herzen herunterschwätzen möchte, kommt in einen Begleitbrief an Deine Braut. Laß ihn Dir vorlesen. Dein Edward.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/486
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/486>, abgerufen am 22.12.2024.