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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

gestehe, daß ich mit größerer Andacht mich in die Augen Deiner Braut ver-
senke. Aus ihnen schaut eine so heitere, natürliche Unbefangenheit und ruhige
Klarheit hervor, daß ich aus diesen Sternen Dein zukünftiges Geschick ohne
Mühe herauslese. Das Auge ist der Spiegel der Seele. Du bist ein glück¬
licher Mensch, Cunz, oder sie müßten lügen, diese Augen. -- Euer Bild steht
vor mir, und ich spreche mit ihm.

Ich bedarf dieser Unterhaltung um so mehr, da ich ahne, meine Sonne
hier ist über das Zenith hinaus und in starkem Abstieg begriffen. Das hängt
mit dem Weihnachtsball zusammen. Ich bin mir nicht bewußt, dort etwas
Despektierliches begangen oder sonst einen Frevel besonderer Art verübt zu
haben, aber seit der Zeit geht es um hinter meinem Rücken. Man tuschelt
über mich.

Josepha Pluderig hat ihre Einladung zum Tollatschensouper tatsächlich
ernst genommen und will -- ich weiß nicht, woraus sie das ableitet -- meine
Zusage erhalten haben. Ich bin nicht hingegangen.

Die Frau Rendant behauptet, ich habe mich bei ihr auf vorgestern
Mittag zu einem Neujahrsbraten verpflichtet. Das soll geschehen sein, als wir
nach dem Fest in früher Morgenstunde von dem Hotel auseinander gegangen
sind. Ich weiß von nichts und bin also auch dort nur durch eine Lücke ver-
treten gewesen.

Beide Missetaten sind mit brandroten Buchstaben in meinem neu an¬
gelegten Sündenregister vermerkt worden. -- Dazu kommt ein viel Schlimmeres:
Der Frau Senator Strabel hat mans gesteckt, daß ich an der Kaffeetafel ihr
die unglaublichsten Bären aufgebunden und sie allgemeinem Gelächter preis¬
gegeben habe. Sie soll außer sich sein. -- Ja, warum ist denn die kleine
Frau so dumm! Muß ich dafür verantwortlich sein? Und muß denn ein
harmloser Scherz, aus der Ausgelassenheit solch einer Stunde geboren, gleich
auf den tragischen Kothurn gestellt werden? -- Meinetwegen.

Ich werde nichts unternehmen, mein in diesen Kreisen sinkendes Ansehen
aufs neue zu befestigen und will gern als der hochnäsige Kerl gelten, für den
man mich nach diesen erschütternden Begebenheiten anzusehen beginnt. Bleibt
wenigstens der Abstand gewahrt, und sie lassen mich ungestört meiner Wege
ziehen. Ich werde mich nach Möglichkeit einspinnen so wie am Anfang.

Seit vorgestern liegt Schnee auf den Feldern, großflockiger, weicher Neu¬
jahrsschnee. Da bin ich hinausgewandert in den Stadtwald, das Haupt voll
einsamer Gedanken; und als in der lachenden Mittagssonne die Diamanten aus
den Fluren glitzerten und die Kronen der ragenden Bäume in ihrem weißen
Winterkleide glänzten, da war mirs, als hätte ich selten so einen Tag voll
ruhiger Schönheit genossen. Ärger hatte in mir gefressen, als ich hinauszog.
Draußen fand ich mich ganz wieder mit mir zurecht, und nun bin ich heiter.

Der Pipenklub hat gestern das schöne Wetter benutzt und zur Nachfeier
des Balles eine Schlittenfahrt unternommen nach dem zwei Meilen entfernten


Grenzboten I 1813 31
Briefe aus Trebeldorf

gestehe, daß ich mit größerer Andacht mich in die Augen Deiner Braut ver-
senke. Aus ihnen schaut eine so heitere, natürliche Unbefangenheit und ruhige
Klarheit hervor, daß ich aus diesen Sternen Dein zukünftiges Geschick ohne
Mühe herauslese. Das Auge ist der Spiegel der Seele. Du bist ein glück¬
licher Mensch, Cunz, oder sie müßten lügen, diese Augen. — Euer Bild steht
vor mir, und ich spreche mit ihm.

Ich bedarf dieser Unterhaltung um so mehr, da ich ahne, meine Sonne
hier ist über das Zenith hinaus und in starkem Abstieg begriffen. Das hängt
mit dem Weihnachtsball zusammen. Ich bin mir nicht bewußt, dort etwas
Despektierliches begangen oder sonst einen Frevel besonderer Art verübt zu
haben, aber seit der Zeit geht es um hinter meinem Rücken. Man tuschelt
über mich.

Josepha Pluderig hat ihre Einladung zum Tollatschensouper tatsächlich
ernst genommen und will — ich weiß nicht, woraus sie das ableitet — meine
Zusage erhalten haben. Ich bin nicht hingegangen.

Die Frau Rendant behauptet, ich habe mich bei ihr auf vorgestern
Mittag zu einem Neujahrsbraten verpflichtet. Das soll geschehen sein, als wir
nach dem Fest in früher Morgenstunde von dem Hotel auseinander gegangen
sind. Ich weiß von nichts und bin also auch dort nur durch eine Lücke ver-
treten gewesen.

Beide Missetaten sind mit brandroten Buchstaben in meinem neu an¬
gelegten Sündenregister vermerkt worden. — Dazu kommt ein viel Schlimmeres:
Der Frau Senator Strabel hat mans gesteckt, daß ich an der Kaffeetafel ihr
die unglaublichsten Bären aufgebunden und sie allgemeinem Gelächter preis¬
gegeben habe. Sie soll außer sich sein. — Ja, warum ist denn die kleine
Frau so dumm! Muß ich dafür verantwortlich sein? Und muß denn ein
harmloser Scherz, aus der Ausgelassenheit solch einer Stunde geboren, gleich
auf den tragischen Kothurn gestellt werden? — Meinetwegen.

Ich werde nichts unternehmen, mein in diesen Kreisen sinkendes Ansehen
aufs neue zu befestigen und will gern als der hochnäsige Kerl gelten, für den
man mich nach diesen erschütternden Begebenheiten anzusehen beginnt. Bleibt
wenigstens der Abstand gewahrt, und sie lassen mich ungestört meiner Wege
ziehen. Ich werde mich nach Möglichkeit einspinnen so wie am Anfang.

Seit vorgestern liegt Schnee auf den Feldern, großflockiger, weicher Neu¬
jahrsschnee. Da bin ich hinausgewandert in den Stadtwald, das Haupt voll
einsamer Gedanken; und als in der lachenden Mittagssonne die Diamanten aus
den Fluren glitzerten und die Kronen der ragenden Bäume in ihrem weißen
Winterkleide glänzten, da war mirs, als hätte ich selten so einen Tag voll
ruhiger Schönheit genossen. Ärger hatte in mir gefressen, als ich hinauszog.
Draußen fand ich mich ganz wieder mit mir zurecht, und nun bin ich heiter.

Der Pipenklub hat gestern das schöne Wetter benutzt und zur Nachfeier
des Balles eine Schlittenfahrt unternommen nach dem zwei Meilen entfernten


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[0485] Briefe aus Trebeldorf gestehe, daß ich mit größerer Andacht mich in die Augen Deiner Braut ver- senke. Aus ihnen schaut eine so heitere, natürliche Unbefangenheit und ruhige Klarheit hervor, daß ich aus diesen Sternen Dein zukünftiges Geschick ohne Mühe herauslese. Das Auge ist der Spiegel der Seele. Du bist ein glück¬ licher Mensch, Cunz, oder sie müßten lügen, diese Augen. — Euer Bild steht vor mir, und ich spreche mit ihm. Ich bedarf dieser Unterhaltung um so mehr, da ich ahne, meine Sonne hier ist über das Zenith hinaus und in starkem Abstieg begriffen. Das hängt mit dem Weihnachtsball zusammen. Ich bin mir nicht bewußt, dort etwas Despektierliches begangen oder sonst einen Frevel besonderer Art verübt zu haben, aber seit der Zeit geht es um hinter meinem Rücken. Man tuschelt über mich. Josepha Pluderig hat ihre Einladung zum Tollatschensouper tatsächlich ernst genommen und will — ich weiß nicht, woraus sie das ableitet — meine Zusage erhalten haben. Ich bin nicht hingegangen. Die Frau Rendant behauptet, ich habe mich bei ihr auf vorgestern Mittag zu einem Neujahrsbraten verpflichtet. Das soll geschehen sein, als wir nach dem Fest in früher Morgenstunde von dem Hotel auseinander gegangen sind. Ich weiß von nichts und bin also auch dort nur durch eine Lücke ver- treten gewesen. Beide Missetaten sind mit brandroten Buchstaben in meinem neu an¬ gelegten Sündenregister vermerkt worden. — Dazu kommt ein viel Schlimmeres: Der Frau Senator Strabel hat mans gesteckt, daß ich an der Kaffeetafel ihr die unglaublichsten Bären aufgebunden und sie allgemeinem Gelächter preis¬ gegeben habe. Sie soll außer sich sein. — Ja, warum ist denn die kleine Frau so dumm! Muß ich dafür verantwortlich sein? Und muß denn ein harmloser Scherz, aus der Ausgelassenheit solch einer Stunde geboren, gleich auf den tragischen Kothurn gestellt werden? — Meinetwegen. Ich werde nichts unternehmen, mein in diesen Kreisen sinkendes Ansehen aufs neue zu befestigen und will gern als der hochnäsige Kerl gelten, für den man mich nach diesen erschütternden Begebenheiten anzusehen beginnt. Bleibt wenigstens der Abstand gewahrt, und sie lassen mich ungestört meiner Wege ziehen. Ich werde mich nach Möglichkeit einspinnen so wie am Anfang. Seit vorgestern liegt Schnee auf den Feldern, großflockiger, weicher Neu¬ jahrsschnee. Da bin ich hinausgewandert in den Stadtwald, das Haupt voll einsamer Gedanken; und als in der lachenden Mittagssonne die Diamanten aus den Fluren glitzerten und die Kronen der ragenden Bäume in ihrem weißen Winterkleide glänzten, da war mirs, als hätte ich selten so einen Tag voll ruhiger Schönheit genossen. Ärger hatte in mir gefressen, als ich hinauszog. Draußen fand ich mich ganz wieder mit mir zurecht, und nun bin ich heiter. Der Pipenklub hat gestern das schöne Wetter benutzt und zur Nachfeier des Balles eine Schlittenfahrt unternommen nach dem zwei Meilen entfernten Grenzboten I 1813 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/485>, abgerufen am 22.07.2024.