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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Peter der Große und die Jesuiten

leben und sich nicht an Orten, wo er nichts zu suchen habe, herumtreiben solle.
Zwischen Pieper und den Priestern, seinen Reisegefährten, entspannen sich von
Anfang an Reibereien und Streitigkeiten, und General Gordon hatte seine liebe
Not, nach allen Seiten zu beschwichtigen und die Gegensätze auszugleichen.
Der strebsame junge Mann verstand jedoch, durch ausführliche Erzählungen
oder Berichte über die Zustände und Ereignisse in Moskau, sich beim Kaiser und
bei den kaiserlichen Ministern in Gunst zu setzen, ja unentbehrlich zu machen,
so blieb er nicht bloß einige Jahre, sondern ein ganzes Menschenalter in dem
fremdartigen Lande und wurde Zeuge der Umwälzungen, die aus dem mi߬
achteten Moskowien das gefürchtete neue Rußland machten.

Im Januar 1697 wurde in Wien zwischen dem Kaiser, dem Zaren und
der Republik Venedig ein Offensivbündnis gegen den Sultan abgeschlossen.
Polen gehörte durch bestehende Verträge zu dem Bunde. Im Frühjahr 1698
begab sich der Freiherr von Guarient mit großem Gefolge als kaiserlicher Ab¬
gesandter nach Moskau, wo er länger als ein Jahr verblieb. Er sollte dem
Kaiser über die Fortschritte der moskowitischen Waffen gegen die Muselmanen
berichten. Im Jahre 1696 hatten die Russen die türkisch-tatarische Festung
Asow erobert, und durch diese glückliche Waffentat hatte sich "der tapfere Mos¬
kowiter Zar Peter" mit einem Schlage in Europa berühmt und beliebt gemacht.
Ein Süddeutscher, Acxtelmeier, prophezeite und erwies "wie unschwer dem
Zaren es sei, Konstantinopel, den Sitz und Thron des Türkischen Reichs zu
erobern: dahero viele Türken in der Furcht und Mutmaßung leben, Moskau
werde derjenige sein, welcher dero Regierung soll den Hals brechen." Dazu
kam die staunenerregende Reise des jungen Zaren Peter nach Westeuropa, die
er im Jahre 1697 unter der Führung Leforts antrat. Von Wien wollte er
sich nach Italien begeben. Kurz vorher hatte der General und Bojar Boris
Scheremetjew dem greisen Papste Innocenz dem Zwölften seine Verehrung dar¬
gebracht; er hatte seinen Weg nach der Insel Malta fortgesetzt, wo er von dem
Großmeister der Malteserritter mit dem Ordenskreuze ausgezeichnet wurde,
"welches sonsten allda niemand, als denen, so der Römischen Kirche zugethan
sind, gegeben wird." Das rief in Europa allgemeine Verwunderung hervor,
und man mutmaßte, "daß vielleicht eine Vereinigung beider Kirchen, der
Lateinischen und Griechischen abhanden, oder allbereits geschehen sei, und der
Zar das Orientalische Kaisertum, dazu aber heimlich die Beförderung und den
Konsens des Papstes suche."

Doch nicht bloß im Volke ging hiervon die Rede. Kaiser und Papst
gaben sich der gleichen Hoffnung hin. Beseelt von dem einen heißen Wunsche
der Wiedervereinigung der beiden Kirchen, übersahen die katholischen Würden¬
träger, daß Rußlands Hinaustreten nach Europa vor allem durch materiell¬
kulturelle, auch politische Beweggründe, aber keineswegs, wie sie meinten, durch
geistig-religiöse veranlaßt wurde. Der kaiserliche Gesandte in Moskau, Guarient,
sah die Hindernisse, die sich dort der Ausbreitung des Katholizismus entgegen-


Peter der Große und die Jesuiten

leben und sich nicht an Orten, wo er nichts zu suchen habe, herumtreiben solle.
Zwischen Pieper und den Priestern, seinen Reisegefährten, entspannen sich von
Anfang an Reibereien und Streitigkeiten, und General Gordon hatte seine liebe
Not, nach allen Seiten zu beschwichtigen und die Gegensätze auszugleichen.
Der strebsame junge Mann verstand jedoch, durch ausführliche Erzählungen
oder Berichte über die Zustände und Ereignisse in Moskau, sich beim Kaiser und
bei den kaiserlichen Ministern in Gunst zu setzen, ja unentbehrlich zu machen,
so blieb er nicht bloß einige Jahre, sondern ein ganzes Menschenalter in dem
fremdartigen Lande und wurde Zeuge der Umwälzungen, die aus dem mi߬
achteten Moskowien das gefürchtete neue Rußland machten.

Im Januar 1697 wurde in Wien zwischen dem Kaiser, dem Zaren und
der Republik Venedig ein Offensivbündnis gegen den Sultan abgeschlossen.
Polen gehörte durch bestehende Verträge zu dem Bunde. Im Frühjahr 1698
begab sich der Freiherr von Guarient mit großem Gefolge als kaiserlicher Ab¬
gesandter nach Moskau, wo er länger als ein Jahr verblieb. Er sollte dem
Kaiser über die Fortschritte der moskowitischen Waffen gegen die Muselmanen
berichten. Im Jahre 1696 hatten die Russen die türkisch-tatarische Festung
Asow erobert, und durch diese glückliche Waffentat hatte sich „der tapfere Mos¬
kowiter Zar Peter" mit einem Schlage in Europa berühmt und beliebt gemacht.
Ein Süddeutscher, Acxtelmeier, prophezeite und erwies „wie unschwer dem
Zaren es sei, Konstantinopel, den Sitz und Thron des Türkischen Reichs zu
erobern: dahero viele Türken in der Furcht und Mutmaßung leben, Moskau
werde derjenige sein, welcher dero Regierung soll den Hals brechen." Dazu
kam die staunenerregende Reise des jungen Zaren Peter nach Westeuropa, die
er im Jahre 1697 unter der Führung Leforts antrat. Von Wien wollte er
sich nach Italien begeben. Kurz vorher hatte der General und Bojar Boris
Scheremetjew dem greisen Papste Innocenz dem Zwölften seine Verehrung dar¬
gebracht; er hatte seinen Weg nach der Insel Malta fortgesetzt, wo er von dem
Großmeister der Malteserritter mit dem Ordenskreuze ausgezeichnet wurde,
„welches sonsten allda niemand, als denen, so der Römischen Kirche zugethan
sind, gegeben wird." Das rief in Europa allgemeine Verwunderung hervor,
und man mutmaßte, „daß vielleicht eine Vereinigung beider Kirchen, der
Lateinischen und Griechischen abhanden, oder allbereits geschehen sei, und der
Zar das Orientalische Kaisertum, dazu aber heimlich die Beförderung und den
Konsens des Papstes suche."

Doch nicht bloß im Volke ging hiervon die Rede. Kaiser und Papst
gaben sich der gleichen Hoffnung hin. Beseelt von dem einen heißen Wunsche
der Wiedervereinigung der beiden Kirchen, übersahen die katholischen Würden¬
träger, daß Rußlands Hinaustreten nach Europa vor allem durch materiell¬
kulturelle, auch politische Beweggründe, aber keineswegs, wie sie meinten, durch
geistig-religiöse veranlaßt wurde. Der kaiserliche Gesandte in Moskau, Guarient,
sah die Hindernisse, die sich dort der Ausbreitung des Katholizismus entgegen-


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[0479] Peter der Große und die Jesuiten leben und sich nicht an Orten, wo er nichts zu suchen habe, herumtreiben solle. Zwischen Pieper und den Priestern, seinen Reisegefährten, entspannen sich von Anfang an Reibereien und Streitigkeiten, und General Gordon hatte seine liebe Not, nach allen Seiten zu beschwichtigen und die Gegensätze auszugleichen. Der strebsame junge Mann verstand jedoch, durch ausführliche Erzählungen oder Berichte über die Zustände und Ereignisse in Moskau, sich beim Kaiser und bei den kaiserlichen Ministern in Gunst zu setzen, ja unentbehrlich zu machen, so blieb er nicht bloß einige Jahre, sondern ein ganzes Menschenalter in dem fremdartigen Lande und wurde Zeuge der Umwälzungen, die aus dem mi߬ achteten Moskowien das gefürchtete neue Rußland machten. Im Januar 1697 wurde in Wien zwischen dem Kaiser, dem Zaren und der Republik Venedig ein Offensivbündnis gegen den Sultan abgeschlossen. Polen gehörte durch bestehende Verträge zu dem Bunde. Im Frühjahr 1698 begab sich der Freiherr von Guarient mit großem Gefolge als kaiserlicher Ab¬ gesandter nach Moskau, wo er länger als ein Jahr verblieb. Er sollte dem Kaiser über die Fortschritte der moskowitischen Waffen gegen die Muselmanen berichten. Im Jahre 1696 hatten die Russen die türkisch-tatarische Festung Asow erobert, und durch diese glückliche Waffentat hatte sich „der tapfere Mos¬ kowiter Zar Peter" mit einem Schlage in Europa berühmt und beliebt gemacht. Ein Süddeutscher, Acxtelmeier, prophezeite und erwies „wie unschwer dem Zaren es sei, Konstantinopel, den Sitz und Thron des Türkischen Reichs zu erobern: dahero viele Türken in der Furcht und Mutmaßung leben, Moskau werde derjenige sein, welcher dero Regierung soll den Hals brechen." Dazu kam die staunenerregende Reise des jungen Zaren Peter nach Westeuropa, die er im Jahre 1697 unter der Führung Leforts antrat. Von Wien wollte er sich nach Italien begeben. Kurz vorher hatte der General und Bojar Boris Scheremetjew dem greisen Papste Innocenz dem Zwölften seine Verehrung dar¬ gebracht; er hatte seinen Weg nach der Insel Malta fortgesetzt, wo er von dem Großmeister der Malteserritter mit dem Ordenskreuze ausgezeichnet wurde, „welches sonsten allda niemand, als denen, so der Römischen Kirche zugethan sind, gegeben wird." Das rief in Europa allgemeine Verwunderung hervor, und man mutmaßte, „daß vielleicht eine Vereinigung beider Kirchen, der Lateinischen und Griechischen abhanden, oder allbereits geschehen sei, und der Zar das Orientalische Kaisertum, dazu aber heimlich die Beförderung und den Konsens des Papstes suche." Doch nicht bloß im Volke ging hiervon die Rede. Kaiser und Papst gaben sich der gleichen Hoffnung hin. Beseelt von dem einen heißen Wunsche der Wiedervereinigung der beiden Kirchen, übersahen die katholischen Würden¬ träger, daß Rußlands Hinaustreten nach Europa vor allem durch materiell¬ kulturelle, auch politische Beweggründe, aber keineswegs, wie sie meinten, durch geistig-religiöse veranlaßt wurde. Der kaiserliche Gesandte in Moskau, Guarient, sah die Hindernisse, die sich dort der Ausbreitung des Katholizismus entgegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/479>, abgerufen am 22.07.2024.