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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

besonders gut in Mainächten, wenn der volle Mond am Himmel steht. Noch
anderen legt man große Schwämme hin, die in reichlich gesalzenem Speck
gebraten sind. Sie schlingen die Dinger in ihrem Heißhunger heil herunter,
bekommen bald darauf einen unbezwinglichen Durst, laufen an einen der vielen
großen Seen des Harzes, trinken sich voll, der Schwamm quillt auf. und die
Hyänen sterben an Magenerweiterung."

"Das ist aber praktisch," spricht die Frau Senator voller Bewunderung.

"Nicht wahr?" sage ich. "Ja, die Not ist die große Lehrmeisterin der
Menschen."

Mir gegenüber sitzt der Königliche Präparandenanstaltsvorsteher. Er hat
still zugehört und lacht heimlich in sich hinein, daß ihm die Tränen herunter¬
kollern und die Uhrkette vor Vergnügen auf seinem Bäuchlein hüpft.

"Und wie ist das mit den Bären?" fragt er dazwischen.

"Die sind im Harze ein kümmerlich verkrüppelt Geschlecht. Geschickte Leute
greifen sie mit der Hand, hängen sie irgendeinem auf, der zufällig des Weges
kommt und lassen ihn damit laufen."

"Der aber merkts nicht," fügt er ergänzend hinzu. Er blinzelt mich an
und erhebt sein Glas zu mir: "Na, Prosit Korrektor! -- TeufelskerlI" -- --

Jetzt macht mich die Frau Senator auf Fräulein Jorinde Wesenberg auf¬
merksam. Die sitzt uns schräg gegenüber und tut ein wenig zärtlich mit dem
Leinen Apotheker.

"Wie unanständig!" sagt die Frau Senator.

"Was denn?"

"Wie sie sich hat mit ihm, und wie die überhaupt angezogen ist! Am
Halse nichts, und auf den Schultern auch nichts. Sie ist die einzige, die sich
so was herausnimmt." ^

"Das ist aber doch chic," wage ich zu behaupten.

"Na, ich danke; schickt sich gar nicht," erwidert sie spitz.

"Gestatten mir gnädige Frau einen Gegenbeweis," sage ich. "Als ich vor
zwei Jahren den großen Hofball mitmachte --"

"Ach ne, Herr Korrektor," unterbricht sie mich staunend, "einen Hofball
haben Sie auch schon mitgemacht?"

"Ich hatte die hohe Ehre, jawohl, bei meinem Studienfreunde, dem jetzigen
Großherzog von Honolulu, der gegenwärtig in Halberstadt residiert."

"Ach, das ist aber interessant," ruft sie laut über den Tisch hinüber. "Der
Herr Korrektor hat einen Hofball mitgemacht."

Alles verstummte und sah auf mich. Jetzt hieß es Fassung bewahren.

"Ja," sagte ich gelassen, "das habe ich. Und dort trugen sich alle Damen
so ähnlich wie hier Fräulein Wesenberg; oben gar nichts, unten desto mehr.
Mit Schleppen bis zu sechs Metern rauschten sie durch den Saal."

"Aber damit kann man doch nicht tanzen," fiel mir das Lenchen in die
Parade. , ,


Briefe aus Trebeldorf

besonders gut in Mainächten, wenn der volle Mond am Himmel steht. Noch
anderen legt man große Schwämme hin, die in reichlich gesalzenem Speck
gebraten sind. Sie schlingen die Dinger in ihrem Heißhunger heil herunter,
bekommen bald darauf einen unbezwinglichen Durst, laufen an einen der vielen
großen Seen des Harzes, trinken sich voll, der Schwamm quillt auf. und die
Hyänen sterben an Magenerweiterung."

„Das ist aber praktisch," spricht die Frau Senator voller Bewunderung.

„Nicht wahr?" sage ich. „Ja, die Not ist die große Lehrmeisterin der
Menschen."

Mir gegenüber sitzt der Königliche Präparandenanstaltsvorsteher. Er hat
still zugehört und lacht heimlich in sich hinein, daß ihm die Tränen herunter¬
kollern und die Uhrkette vor Vergnügen auf seinem Bäuchlein hüpft.

„Und wie ist das mit den Bären?" fragt er dazwischen.

„Die sind im Harze ein kümmerlich verkrüppelt Geschlecht. Geschickte Leute
greifen sie mit der Hand, hängen sie irgendeinem auf, der zufällig des Weges
kommt und lassen ihn damit laufen."

„Der aber merkts nicht," fügt er ergänzend hinzu. Er blinzelt mich an
und erhebt sein Glas zu mir: „Na, Prosit Korrektor! — TeufelskerlI" — —

Jetzt macht mich die Frau Senator auf Fräulein Jorinde Wesenberg auf¬
merksam. Die sitzt uns schräg gegenüber und tut ein wenig zärtlich mit dem
Leinen Apotheker.

„Wie unanständig!" sagt die Frau Senator.

„Was denn?"

„Wie sie sich hat mit ihm, und wie die überhaupt angezogen ist! Am
Halse nichts, und auf den Schultern auch nichts. Sie ist die einzige, die sich
so was herausnimmt." ^

„Das ist aber doch chic," wage ich zu behaupten.

„Na, ich danke; schickt sich gar nicht," erwidert sie spitz.

„Gestatten mir gnädige Frau einen Gegenbeweis," sage ich. „Als ich vor
zwei Jahren den großen Hofball mitmachte —"

„Ach ne, Herr Korrektor," unterbricht sie mich staunend, „einen Hofball
haben Sie auch schon mitgemacht?"

„Ich hatte die hohe Ehre, jawohl, bei meinem Studienfreunde, dem jetzigen
Großherzog von Honolulu, der gegenwärtig in Halberstadt residiert."

„Ach, das ist aber interessant," ruft sie laut über den Tisch hinüber. „Der
Herr Korrektor hat einen Hofball mitgemacht."

Alles verstummte und sah auf mich. Jetzt hieß es Fassung bewahren.

„Ja," sagte ich gelassen, „das habe ich. Und dort trugen sich alle Damen
so ähnlich wie hier Fräulein Wesenberg; oben gar nichts, unten desto mehr.
Mit Schleppen bis zu sechs Metern rauschten sie durch den Saal."

„Aber damit kann man doch nicht tanzen," fiel mir das Lenchen in die
Parade. , ,


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[0436] Briefe aus Trebeldorf besonders gut in Mainächten, wenn der volle Mond am Himmel steht. Noch anderen legt man große Schwämme hin, die in reichlich gesalzenem Speck gebraten sind. Sie schlingen die Dinger in ihrem Heißhunger heil herunter, bekommen bald darauf einen unbezwinglichen Durst, laufen an einen der vielen großen Seen des Harzes, trinken sich voll, der Schwamm quillt auf. und die Hyänen sterben an Magenerweiterung." „Das ist aber praktisch," spricht die Frau Senator voller Bewunderung. „Nicht wahr?" sage ich. „Ja, die Not ist die große Lehrmeisterin der Menschen." Mir gegenüber sitzt der Königliche Präparandenanstaltsvorsteher. Er hat still zugehört und lacht heimlich in sich hinein, daß ihm die Tränen herunter¬ kollern und die Uhrkette vor Vergnügen auf seinem Bäuchlein hüpft. „Und wie ist das mit den Bären?" fragt er dazwischen. „Die sind im Harze ein kümmerlich verkrüppelt Geschlecht. Geschickte Leute greifen sie mit der Hand, hängen sie irgendeinem auf, der zufällig des Weges kommt und lassen ihn damit laufen." „Der aber merkts nicht," fügt er ergänzend hinzu. Er blinzelt mich an und erhebt sein Glas zu mir: „Na, Prosit Korrektor! — TeufelskerlI" — — Jetzt macht mich die Frau Senator auf Fräulein Jorinde Wesenberg auf¬ merksam. Die sitzt uns schräg gegenüber und tut ein wenig zärtlich mit dem Leinen Apotheker. „Wie unanständig!" sagt die Frau Senator. „Was denn?" „Wie sie sich hat mit ihm, und wie die überhaupt angezogen ist! Am Halse nichts, und auf den Schultern auch nichts. Sie ist die einzige, die sich so was herausnimmt." ^ „Das ist aber doch chic," wage ich zu behaupten. „Na, ich danke; schickt sich gar nicht," erwidert sie spitz. „Gestatten mir gnädige Frau einen Gegenbeweis," sage ich. „Als ich vor zwei Jahren den großen Hofball mitmachte —" „Ach ne, Herr Korrektor," unterbricht sie mich staunend, „einen Hofball haben Sie auch schon mitgemacht?" „Ich hatte die hohe Ehre, jawohl, bei meinem Studienfreunde, dem jetzigen Großherzog von Honolulu, der gegenwärtig in Halberstadt residiert." „Ach, das ist aber interessant," ruft sie laut über den Tisch hinüber. „Der Herr Korrektor hat einen Hofball mitgemacht." Alles verstummte und sah auf mich. Jetzt hieß es Fassung bewahren. „Ja," sagte ich gelassen, „das habe ich. Und dort trugen sich alle Damen so ähnlich wie hier Fräulein Wesenberg; oben gar nichts, unten desto mehr. Mit Schleppen bis zu sechs Metern rauschten sie durch den Saal." „Aber damit kann man doch nicht tanzen," fiel mir das Lenchen in die Parade. , ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/436>, abgerufen am 30.06.2024.