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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

"Ach. Sie Schelm! Blutklöße sind das, rund, groß und saftig, wie
Berliner Pfannkuchen. Und schmecken, Herr Korrektor, schmecken! Ach, einzig!"

Mittlerweile war der Lancier zu Ende. -- Habe ich nun eigentlich die
Einladung angenommen? Hoffentlich hat sich nicht so aufgefaßt. -- Tollatscheu!
Blutklöße! -- Puh! -- Aber Josepha Pluderig? An der ist doch etwas
Frisches, Urwüchsiges, Bodenständiges, "Erdgeruch", wie mans heute nennt.

Du mußt nicht denken, lieber Cunz, daß alle Unterhaltungen des Abends
in dieser Tonart verlaufen sind. Einige haben sich auch in ganz normalen
Spuren bewegt. Nur von dem Abschluß muß ich noch erzählen.

Gegen drei Uhr morgens war es, als mitten im Saale der lange Kaffee¬
tisch aufgeschlagen wurde. Ich fand meinen Platz zwischen der Frau Senator
Strabel und ihrem Töchterlein Lenchen. .

Der Mutter war mein Dialekt aufgefallen, und sie forschte nach meiner
Heimat. "Sie sprechen so hübsch, so anders als wir," sagte sie, "Sie find
gewiß weit weg zu Hause."

"Aus dem Harz, gnädige Frau."

"O je," sagte sie, "von da unten?" -- Das ist ja wohl eine gefährliche
Gegend."

"Gefährlich?"

"Ja, mit Erdbeben und feuerspeienden Bergen."

"Ach so. Gott, daran gewöhnt man sich. Es war auch früher schlimmer
als heute."

"Kommt so was nicht mehr vor?"

"O gewiß, sehr häufig. Aber man baut die Häuser in neuerer Zeit alle
auf Gummiunterlagen, die zwei, auch drei Fuß dick sind. Das macht die
Erschütterungen völlig unwirksam, vorausgesetzt, daß guter Kontinentalgummi
genommen wird. Die Häuser schaukeln ein wenig, aber sie fallen nicht um."

"Ach."

"Ja, und wenn etwa die Berge zum Überkochen und Feuerspeier Lust
verspüren, so weiß man das ganz genau vorher aus der Beobachtung der
meteorologischen Apparate. Es ist dann immer noch Zeit genug, die riesigen
Glastrichter herbeizuschaffen, die eigens für den Zweck gegossen sind. Die stülpt
man den Bergen höchst einfach wie eine Mütze über den Kopf, und darin tobt
sich die Geschichte schnell aus."

"Nein, was aber die Menschen auch alles erfinden!" sagt sie. "Aber mit
den wilden Tieren, das ist doch da gewiß noch ganz schlimm."

"Auch nicht so sehr, wie Sie vermuten," beruhige ich sie. "Füchse und
Wölfe kommen nur vereinzelt vor. Hyänen freilich noch in Rudeln, aber die
Tiere sind dumm, und man fängt sie leicht."

"Was Sie sagen! Wie macht man das?"

"Verschieden. Einige gehen in Fuchsfallen, andere hängen sich auf an
starken Angelschnuren, die man von Baumästen herabhängen läßt. Das geht


Briefe aus Trebeldorf

„Ach. Sie Schelm! Blutklöße sind das, rund, groß und saftig, wie
Berliner Pfannkuchen. Und schmecken, Herr Korrektor, schmecken! Ach, einzig!"

Mittlerweile war der Lancier zu Ende. — Habe ich nun eigentlich die
Einladung angenommen? Hoffentlich hat sich nicht so aufgefaßt. — Tollatscheu!
Blutklöße! — Puh! — Aber Josepha Pluderig? An der ist doch etwas
Frisches, Urwüchsiges, Bodenständiges, „Erdgeruch", wie mans heute nennt.

Du mußt nicht denken, lieber Cunz, daß alle Unterhaltungen des Abends
in dieser Tonart verlaufen sind. Einige haben sich auch in ganz normalen
Spuren bewegt. Nur von dem Abschluß muß ich noch erzählen.

Gegen drei Uhr morgens war es, als mitten im Saale der lange Kaffee¬
tisch aufgeschlagen wurde. Ich fand meinen Platz zwischen der Frau Senator
Strabel und ihrem Töchterlein Lenchen. .

Der Mutter war mein Dialekt aufgefallen, und sie forschte nach meiner
Heimat. „Sie sprechen so hübsch, so anders als wir," sagte sie, „Sie find
gewiß weit weg zu Hause."

„Aus dem Harz, gnädige Frau."

„O je," sagte sie, „von da unten?" — Das ist ja wohl eine gefährliche
Gegend."

„Gefährlich?"

„Ja, mit Erdbeben und feuerspeienden Bergen."

„Ach so. Gott, daran gewöhnt man sich. Es war auch früher schlimmer
als heute."

„Kommt so was nicht mehr vor?"

„O gewiß, sehr häufig. Aber man baut die Häuser in neuerer Zeit alle
auf Gummiunterlagen, die zwei, auch drei Fuß dick sind. Das macht die
Erschütterungen völlig unwirksam, vorausgesetzt, daß guter Kontinentalgummi
genommen wird. Die Häuser schaukeln ein wenig, aber sie fallen nicht um."

„Ach."

„Ja, und wenn etwa die Berge zum Überkochen und Feuerspeier Lust
verspüren, so weiß man das ganz genau vorher aus der Beobachtung der
meteorologischen Apparate. Es ist dann immer noch Zeit genug, die riesigen
Glastrichter herbeizuschaffen, die eigens für den Zweck gegossen sind. Die stülpt
man den Bergen höchst einfach wie eine Mütze über den Kopf, und darin tobt
sich die Geschichte schnell aus."

„Nein, was aber die Menschen auch alles erfinden!" sagt sie. „Aber mit
den wilden Tieren, das ist doch da gewiß noch ganz schlimm."

„Auch nicht so sehr, wie Sie vermuten," beruhige ich sie. „Füchse und
Wölfe kommen nur vereinzelt vor. Hyänen freilich noch in Rudeln, aber die
Tiere sind dumm, und man fängt sie leicht."

„Was Sie sagen! Wie macht man das?"

„Verschieden. Einige gehen in Fuchsfallen, andere hängen sich auf an
starken Angelschnuren, die man von Baumästen herabhängen läßt. Das geht


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[0435] Briefe aus Trebeldorf „Ach. Sie Schelm! Blutklöße sind das, rund, groß und saftig, wie Berliner Pfannkuchen. Und schmecken, Herr Korrektor, schmecken! Ach, einzig!" Mittlerweile war der Lancier zu Ende. — Habe ich nun eigentlich die Einladung angenommen? Hoffentlich hat sich nicht so aufgefaßt. — Tollatscheu! Blutklöße! — Puh! — Aber Josepha Pluderig? An der ist doch etwas Frisches, Urwüchsiges, Bodenständiges, „Erdgeruch", wie mans heute nennt. Du mußt nicht denken, lieber Cunz, daß alle Unterhaltungen des Abends in dieser Tonart verlaufen sind. Einige haben sich auch in ganz normalen Spuren bewegt. Nur von dem Abschluß muß ich noch erzählen. Gegen drei Uhr morgens war es, als mitten im Saale der lange Kaffee¬ tisch aufgeschlagen wurde. Ich fand meinen Platz zwischen der Frau Senator Strabel und ihrem Töchterlein Lenchen. . Der Mutter war mein Dialekt aufgefallen, und sie forschte nach meiner Heimat. „Sie sprechen so hübsch, so anders als wir," sagte sie, „Sie find gewiß weit weg zu Hause." „Aus dem Harz, gnädige Frau." „O je," sagte sie, „von da unten?" — Das ist ja wohl eine gefährliche Gegend." „Gefährlich?" „Ja, mit Erdbeben und feuerspeienden Bergen." „Ach so. Gott, daran gewöhnt man sich. Es war auch früher schlimmer als heute." „Kommt so was nicht mehr vor?" „O gewiß, sehr häufig. Aber man baut die Häuser in neuerer Zeit alle auf Gummiunterlagen, die zwei, auch drei Fuß dick sind. Das macht die Erschütterungen völlig unwirksam, vorausgesetzt, daß guter Kontinentalgummi genommen wird. Die Häuser schaukeln ein wenig, aber sie fallen nicht um." „Ach." „Ja, und wenn etwa die Berge zum Überkochen und Feuerspeier Lust verspüren, so weiß man das ganz genau vorher aus der Beobachtung der meteorologischen Apparate. Es ist dann immer noch Zeit genug, die riesigen Glastrichter herbeizuschaffen, die eigens für den Zweck gegossen sind. Die stülpt man den Bergen höchst einfach wie eine Mütze über den Kopf, und darin tobt sich die Geschichte schnell aus." „Nein, was aber die Menschen auch alles erfinden!" sagt sie. „Aber mit den wilden Tieren, das ist doch da gewiß noch ganz schlimm." „Auch nicht so sehr, wie Sie vermuten," beruhige ich sie. „Füchse und Wölfe kommen nur vereinzelt vor. Hyänen freilich noch in Rudeln, aber die Tiere sind dumm, und man fängt sie leicht." „Was Sie sagen! Wie macht man das?" „Verschieden. Einige gehen in Fuchsfallen, andere hängen sich auf an starken Angelschnuren, die man von Baumästen herabhängen läßt. Das geht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/435>, abgerufen am 02.07.2024.