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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

"Ach, wie schön Sie das sagen können!" erwidert sie lächelnd. - >

"Was vermuten Sie, wer das gedichtet hat?" frage ich.

"Wohl die Frau Tierarzt. Die ist so furchtbar klug," antwortet sie.

"Die Frau Tierarzt? Alle Achtung vor ihrem TalentI Aber das hier
ist sicher nicht von ihr. So etwas kann nur aus der Feder eines Gewaltigen
kommen. Ich möchte wetten, es ist einer von Goethes Sprüchen in Prosa.
Sie kennen die ohne Zweifel?"

"Ach nein," haucht sie verlegen.

"O bitte, bitte, mein gnädigstes Fräulein, das macht nichts, macht durch¬
aus garnichts. Im übrigen riecht mir die Sache doch mehr nach Heine. Sie
lieben doch Heine, nicht wahr?" ^

Da steht sie wie von einer Feuertode glutrot Übergossen. "Ach Gott,"
stammelt sie, "wer hat Ihnen das bloß erzählt! -- Er schreibt garnicht
mehr."

"Ne," sage ich, "das tut er nie wieder."

"Nie wieder?" fragt sie traurig.

"Bombensicher nicht."

"Woher wissen Sie das, Herr Korrektor?" stößt sie angstvoll hervor.

"Weil er tot ist."

"Heine tot?" Wie mit einem Schluchzen kam das heraus.

"Aber, mein gnädiges Fräulein, wie mag Sie das nur so erschüttern!

Es ist ja über sechzig Jahre her."

"Was?" fragt sie erstaunt. "Von wem sprechen Sie?"

"Von Heinrich Heine."

"Heinrich Heine? Den jungen Mann kenne ich gar nicht. -- Ich dachte,
Sie wüßten die Geschichte von mir und ihn: und meinten -- Heine Mabille."
Sie lächelte nun wieder.

Also geschehen in diesem Jahre des Heils am 26. Dezember zu Trebeldorf.

Von nun an packte mich der Satan des Übermutes beim Schöpfe und
hielt mich fest bis zum Ende des Balles. Vor allem lustig, immer lustig! Der
Rundtanz hatte begonnen. Wie sie sich wiegte und wippte, die kleine Veronika l
Das war ihr Element.

Nun weiter tanzen, immer weiter, und mit allen! Das hatte ich mir vor¬
genommen. Nur keine Ausnahme machen mit dieser oder jener! Immer -
möglichst der Reihe nach! Es sollte sich keine unter ihnen einbilden, eine
Bevorzugte zu sein. Gefiel mir einmal die eine oder die andere besonders, so
daß ich ein Tänzchen mit ihr auf der Stelle hätte wiederholen mögen, dann
rief ich mir immer und immer wieder zu: "Sei weise, Mensch, sei weise!
Vergiß das Schicksal des armen Doktor Welker nicht!"

Bald nach zehn Uhr war ich zum erstenmal herum mit der Reihe. Ich
hatte sie alle in meinen Armen gehabt. Kein trockener Faden mehr am Leibe.
Ich huschte auf ein Viertelstündchen in meine Wohnung hinüber, legte eine


Briefe aus Trebeldorf

„Ach, wie schön Sie das sagen können!" erwidert sie lächelnd. - >

„Was vermuten Sie, wer das gedichtet hat?" frage ich.

„Wohl die Frau Tierarzt. Die ist so furchtbar klug," antwortet sie.

„Die Frau Tierarzt? Alle Achtung vor ihrem TalentI Aber das hier
ist sicher nicht von ihr. So etwas kann nur aus der Feder eines Gewaltigen
kommen. Ich möchte wetten, es ist einer von Goethes Sprüchen in Prosa.
Sie kennen die ohne Zweifel?"

„Ach nein," haucht sie verlegen.

„O bitte, bitte, mein gnädigstes Fräulein, das macht nichts, macht durch¬
aus garnichts. Im übrigen riecht mir die Sache doch mehr nach Heine. Sie
lieben doch Heine, nicht wahr?" ^

Da steht sie wie von einer Feuertode glutrot Übergossen. „Ach Gott,"
stammelt sie, „wer hat Ihnen das bloß erzählt! — Er schreibt garnicht
mehr."

„Ne," sage ich, „das tut er nie wieder."

„Nie wieder?" fragt sie traurig.

„Bombensicher nicht."

„Woher wissen Sie das, Herr Korrektor?" stößt sie angstvoll hervor.

„Weil er tot ist."

„Heine tot?" Wie mit einem Schluchzen kam das heraus.

„Aber, mein gnädiges Fräulein, wie mag Sie das nur so erschüttern!

Es ist ja über sechzig Jahre her."

„Was?" fragt sie erstaunt. „Von wem sprechen Sie?"

„Von Heinrich Heine."

„Heinrich Heine? Den jungen Mann kenne ich gar nicht. — Ich dachte,
Sie wüßten die Geschichte von mir und ihn: und meinten — Heine Mabille."
Sie lächelte nun wieder.

Also geschehen in diesem Jahre des Heils am 26. Dezember zu Trebeldorf.

Von nun an packte mich der Satan des Übermutes beim Schöpfe und
hielt mich fest bis zum Ende des Balles. Vor allem lustig, immer lustig! Der
Rundtanz hatte begonnen. Wie sie sich wiegte und wippte, die kleine Veronika l
Das war ihr Element.

Nun weiter tanzen, immer weiter, und mit allen! Das hatte ich mir vor¬
genommen. Nur keine Ausnahme machen mit dieser oder jener! Immer -
möglichst der Reihe nach! Es sollte sich keine unter ihnen einbilden, eine
Bevorzugte zu sein. Gefiel mir einmal die eine oder die andere besonders, so
daß ich ein Tänzchen mit ihr auf der Stelle hätte wiederholen mögen, dann
rief ich mir immer und immer wieder zu: „Sei weise, Mensch, sei weise!
Vergiß das Schicksal des armen Doktor Welker nicht!"

Bald nach zehn Uhr war ich zum erstenmal herum mit der Reihe. Ich
hatte sie alle in meinen Armen gehabt. Kein trockener Faden mehr am Leibe.
Ich huschte auf ein Viertelstündchen in meine Wohnung hinüber, legte eine


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[0433] Briefe aus Trebeldorf „Ach, wie schön Sie das sagen können!" erwidert sie lächelnd. - > „Was vermuten Sie, wer das gedichtet hat?" frage ich. „Wohl die Frau Tierarzt. Die ist so furchtbar klug," antwortet sie. „Die Frau Tierarzt? Alle Achtung vor ihrem TalentI Aber das hier ist sicher nicht von ihr. So etwas kann nur aus der Feder eines Gewaltigen kommen. Ich möchte wetten, es ist einer von Goethes Sprüchen in Prosa. Sie kennen die ohne Zweifel?" „Ach nein," haucht sie verlegen. „O bitte, bitte, mein gnädigstes Fräulein, das macht nichts, macht durch¬ aus garnichts. Im übrigen riecht mir die Sache doch mehr nach Heine. Sie lieben doch Heine, nicht wahr?" ^ Da steht sie wie von einer Feuertode glutrot Übergossen. „Ach Gott," stammelt sie, „wer hat Ihnen das bloß erzählt! — Er schreibt garnicht mehr." „Ne," sage ich, „das tut er nie wieder." „Nie wieder?" fragt sie traurig. „Bombensicher nicht." „Woher wissen Sie das, Herr Korrektor?" stößt sie angstvoll hervor. „Weil er tot ist." „Heine tot?" Wie mit einem Schluchzen kam das heraus. „Aber, mein gnädiges Fräulein, wie mag Sie das nur so erschüttern! Es ist ja über sechzig Jahre her." „Was?" fragt sie erstaunt. „Von wem sprechen Sie?" „Von Heinrich Heine." „Heinrich Heine? Den jungen Mann kenne ich gar nicht. — Ich dachte, Sie wüßten die Geschichte von mir und ihn: und meinten — Heine Mabille." Sie lächelte nun wieder. Also geschehen in diesem Jahre des Heils am 26. Dezember zu Trebeldorf. Von nun an packte mich der Satan des Übermutes beim Schöpfe und hielt mich fest bis zum Ende des Balles. Vor allem lustig, immer lustig! Der Rundtanz hatte begonnen. Wie sie sich wiegte und wippte, die kleine Veronika l Das war ihr Element. Nun weiter tanzen, immer weiter, und mit allen! Das hatte ich mir vor¬ genommen. Nur keine Ausnahme machen mit dieser oder jener! Immer - möglichst der Reihe nach! Es sollte sich keine unter ihnen einbilden, eine Bevorzugte zu sein. Gefiel mir einmal die eine oder die andere besonders, so daß ich ein Tänzchen mit ihr auf der Stelle hätte wiederholen mögen, dann rief ich mir immer und immer wieder zu: „Sei weise, Mensch, sei weise! Vergiß das Schicksal des armen Doktor Welker nicht!" Bald nach zehn Uhr war ich zum erstenmal herum mit der Reihe. Ich hatte sie alle in meinen Armen gehabt. Kein trockener Faden mehr am Leibe. Ich huschte auf ein Viertelstündchen in meine Wohnung hinüber, legte eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/433>, abgerufen am 04.07.2024.