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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

die Jungfräulein Trebeldorfs, einige wenige kühn herausfordernd, die meisten
mit züchtig gesenkten Augen der großen Freude harrend, die da kommen sollte.

Der Saal war kreuz und quer durchzogen mit bunten Papiergirlanden,
mit Fähnchen und Sprüchen, die daran baumelten, phantastisch aufgedonnert,
und von der einen Längsseite her, dem Eingange gegenüber, ließ ein riesiger
Weihnachtsbaum, mit vielem Flitterwerk behängt, fein Licht verheißungsvoll
durch den überheizten Raum finden.

Eine Jubelouvertüre, aus vier Blechinstrumenten entsetzlich geendet und von
drei Geigen und einem Brummbaß noch neroenzerreißender gefiedelt unter der
Bumbumbegleitung eines schlaff gespannten, aber wirksam bearbeiteten Pauken¬
fells, leitete die erhebende Feier ein.

Seine Korpulenz riß mich, so gut es in der Hast noch gehen wollte, mit
sich fort zu einigen der Damen, stellte mich vor und machte dazu jedesmal
irgendeine unangebrachte Bemerkung. Die Mütter reichten mir alle sofort die
Hand in Wohlwollen und sprachen ihre Freude darüber aus, daß ich ihnen die
Ehre gäbe.

Schmetternd rief ein Signal zum Antreten für die Polonäse. Ich stürzte
aufs Geratewohl auf irgendeinen Punkt der Wand los, der ich gerade zu¬
gewendet stand, und erwischte Veronika Pümpel, des Herrn Rendanten dralles
Töchterlein. Sie ist wenig über drei Schuhe hoch, hats aber dafür im Um¬
fange. Alles ist rund an ihr. Zwischen den zwei Wänglein, über die eine
rosenrote Haut zum Platzen straff gespannt ist, lugt keck die kleine Regennase
in die Luft, und kaum ist in dem kugeligen Gesichtchen Platz genug für die
zwei pechschwarzen munteren Augen.

Aus diesen Augen blitzte sie mich an in heimlicher Freude, als wollte sie sagen:
"Du bist der Rechte. Auf Dich warte ich schon, ach Gott, wie lange! Wie
danke ich Dir, daß Du sogleich zu mir kommst und mich so sichtbarlich erhobst
vor allen anderen."

Die Unterhaltung freilich floß spärlich tröpfelnd wie aus einer verstopften
Brunnenröhre. Ich gab mir die redlichste Mühe, aber sie kam bei all meinem
Geschwätze und auf alle meine Fragen mit ihren Antworten über ein schüchtern
gehauchtes "ja" oder "nein" nicht hinaus. Zuletzt jedoch raffte auch sie sich
zu einer Frage auf, ob ich nämlich nicht auch fände, daß der Saal wunder¬
hübsch herausgeputzt sei. -

"Einzig schön," stimmte ich ihr zu. > ^

Wir standen unter einer Girlande, an der ein Transparentspruch hing.
Ich las ihn laut:

"Wie niedlich!" flüstert Veronika.

"Niedlich?" sage ich. "Das ist mehr, viel mehr. Das ist erhaben, das
ist gigantisch, das ist göttlich."


Briefe aus Trebeldorf

die Jungfräulein Trebeldorfs, einige wenige kühn herausfordernd, die meisten
mit züchtig gesenkten Augen der großen Freude harrend, die da kommen sollte.

Der Saal war kreuz und quer durchzogen mit bunten Papiergirlanden,
mit Fähnchen und Sprüchen, die daran baumelten, phantastisch aufgedonnert,
und von der einen Längsseite her, dem Eingange gegenüber, ließ ein riesiger
Weihnachtsbaum, mit vielem Flitterwerk behängt, fein Licht verheißungsvoll
durch den überheizten Raum finden.

Eine Jubelouvertüre, aus vier Blechinstrumenten entsetzlich geendet und von
drei Geigen und einem Brummbaß noch neroenzerreißender gefiedelt unter der
Bumbumbegleitung eines schlaff gespannten, aber wirksam bearbeiteten Pauken¬
fells, leitete die erhebende Feier ein.

Seine Korpulenz riß mich, so gut es in der Hast noch gehen wollte, mit
sich fort zu einigen der Damen, stellte mich vor und machte dazu jedesmal
irgendeine unangebrachte Bemerkung. Die Mütter reichten mir alle sofort die
Hand in Wohlwollen und sprachen ihre Freude darüber aus, daß ich ihnen die
Ehre gäbe.

Schmetternd rief ein Signal zum Antreten für die Polonäse. Ich stürzte
aufs Geratewohl auf irgendeinen Punkt der Wand los, der ich gerade zu¬
gewendet stand, und erwischte Veronika Pümpel, des Herrn Rendanten dralles
Töchterlein. Sie ist wenig über drei Schuhe hoch, hats aber dafür im Um¬
fange. Alles ist rund an ihr. Zwischen den zwei Wänglein, über die eine
rosenrote Haut zum Platzen straff gespannt ist, lugt keck die kleine Regennase
in die Luft, und kaum ist in dem kugeligen Gesichtchen Platz genug für die
zwei pechschwarzen munteren Augen.

Aus diesen Augen blitzte sie mich an in heimlicher Freude, als wollte sie sagen:
„Du bist der Rechte. Auf Dich warte ich schon, ach Gott, wie lange! Wie
danke ich Dir, daß Du sogleich zu mir kommst und mich so sichtbarlich erhobst
vor allen anderen."

Die Unterhaltung freilich floß spärlich tröpfelnd wie aus einer verstopften
Brunnenröhre. Ich gab mir die redlichste Mühe, aber sie kam bei all meinem
Geschwätze und auf alle meine Fragen mit ihren Antworten über ein schüchtern
gehauchtes „ja" oder „nein" nicht hinaus. Zuletzt jedoch raffte auch sie sich
zu einer Frage auf, ob ich nämlich nicht auch fände, daß der Saal wunder¬
hübsch herausgeputzt sei. -

„Einzig schön," stimmte ich ihr zu. > ^

Wir standen unter einer Girlande, an der ein Transparentspruch hing.
Ich las ihn laut:

„Wie niedlich!" flüstert Veronika.

„Niedlich?" sage ich. „Das ist mehr, viel mehr. Das ist erhaben, das
ist gigantisch, das ist göttlich."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/432>, abgerufen am 05.07.2024.