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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Bismarcks Stellung zum Auswandernngsproblcm

der Existenz des Landarbeiters, der bei Überfluß an Arbeitskräften und
dem Mangel an einer nahegelegenen Industrie*) für seine Tätigkeit ein
genügendes Feld und keine entsprechende Gegenleistung findet und daher im
Ausland seiner Wünsche Erfüllung sucht, die besseren Aussichten auf Glück
und Abenteuer, auf Vorwärts- und Höherkommen, wie sie ihm in der Heimat
bei der vorgezeichneten Laufbahn des Agrariers verschlossen sind, endlich die
allerhand Arbeits-, Erwerbs- und Zukunstsmöglichkeiten, die seiner dort harren
und die es nur zu versuchen gilt, um das Vorbild derer zu erreichen, die dabei
gewonnen haben.

Nach diesem Bilde sind es also die "dürftigen" und unzufriedenen Leute,
die aus ihrer Heimat auswandern. In Amerika finden sie was sie suchen:
Schutz jeder Arbeit, auch des Getreidebaus, gegen fremde Konkurrenz und gegen
Rudimente des Freihandelssystems durch wirksame Zölle, Befreiung von der
direkten Steuerschraube und die Möglichkeit leichten und billigen Landerwerbes.**)
Aus dieser Überzeugung heraus sprach sich Bismarck auch vor einer Abordnung
deutscher Kriegsveteranen aus Nordamerika am 30. August 1895 sehr lobend
über die im Verhältnis zu anderen Auswandererländern günstige Lage der
dortigen Deutschen aus.***)

Nach einem anderen Bilde aber sind es nicht "die an den heimischen Ver¬
hältnissen Verzweifelnden", sondern nur die Wohlhabenderen unter den Arbeitern,
die auswandern. Der Schutzzoll hat dann die Auswanderung "unter Um¬
ständen", wie Bismarck zugibt, gesteigert, angeblich dadurch, daß er "mehr
Leute in den Stand gesetzt hat. auswandern zu können". Diesen völligen
Widerspruch erkannte auch Bismarck und das Mißliche seiner Lage erklärt
uns genügend seine Gereiztheit gegen andersdenkende Reichstagsabgeordnete,
die seinem wirtschaftlichen Evangelium nicht Beifall zollten. Aber er nahm kein
Wort zurück, geriet immer tiefer in den Sumpf eines parlamentarischen Jesuitismus
und formulierte die an sich unbestreitbare Tatsache, daß Menschen, die nicht
einmal das Geld zur Überfahrt auf dem Zwischendeck besitzen, nicht auswandern
können, dahin, daß nur die wohlhabenden Leute -- ein freilich auch nach unten
sehr dehnbarer Begriff -- nur die privilegierten Arbeiter, die etwas verdienen,
die besseren, die etwas zurückgelegt haben, auswanderten, während die paupsrs
in Amerika abgewiesen, eventuell zurückgeschickt würden. Er bewies diese
Behauptung durch eine amtliche französische Publikation, die feststellte, daß die
Auswanderung in den wohlhabenden unteren Pyrenäen-Departements am
größten sei, weil die glücklichen Verhältnisse zu Abenteuern verlockten, sowie
durch den Hinweis auf die gesteigerte Auswanderung der siebziger Jahre, wo
man im Golde schwamm. Außerdem überschätzte er wohl die Kosten der Aus¬
wanderung, wenn er sie auf 1000 Mark veranschlagte: eine Summe, die für





*) Poschinger, Aktenstücke I 192.
Reden X 347 ff.
Reden XIII 4S1.
Bismarcks Stellung zum Auswandernngsproblcm

der Existenz des Landarbeiters, der bei Überfluß an Arbeitskräften und
dem Mangel an einer nahegelegenen Industrie*) für seine Tätigkeit ein
genügendes Feld und keine entsprechende Gegenleistung findet und daher im
Ausland seiner Wünsche Erfüllung sucht, die besseren Aussichten auf Glück
und Abenteuer, auf Vorwärts- und Höherkommen, wie sie ihm in der Heimat
bei der vorgezeichneten Laufbahn des Agrariers verschlossen sind, endlich die
allerhand Arbeits-, Erwerbs- und Zukunstsmöglichkeiten, die seiner dort harren
und die es nur zu versuchen gilt, um das Vorbild derer zu erreichen, die dabei
gewonnen haben.

Nach diesem Bilde sind es also die „dürftigen" und unzufriedenen Leute,
die aus ihrer Heimat auswandern. In Amerika finden sie was sie suchen:
Schutz jeder Arbeit, auch des Getreidebaus, gegen fremde Konkurrenz und gegen
Rudimente des Freihandelssystems durch wirksame Zölle, Befreiung von der
direkten Steuerschraube und die Möglichkeit leichten und billigen Landerwerbes.**)
Aus dieser Überzeugung heraus sprach sich Bismarck auch vor einer Abordnung
deutscher Kriegsveteranen aus Nordamerika am 30. August 1895 sehr lobend
über die im Verhältnis zu anderen Auswandererländern günstige Lage der
dortigen Deutschen aus.***)

Nach einem anderen Bilde aber sind es nicht „die an den heimischen Ver¬
hältnissen Verzweifelnden", sondern nur die Wohlhabenderen unter den Arbeitern,
die auswandern. Der Schutzzoll hat dann die Auswanderung „unter Um¬
ständen", wie Bismarck zugibt, gesteigert, angeblich dadurch, daß er „mehr
Leute in den Stand gesetzt hat. auswandern zu können". Diesen völligen
Widerspruch erkannte auch Bismarck und das Mißliche seiner Lage erklärt
uns genügend seine Gereiztheit gegen andersdenkende Reichstagsabgeordnete,
die seinem wirtschaftlichen Evangelium nicht Beifall zollten. Aber er nahm kein
Wort zurück, geriet immer tiefer in den Sumpf eines parlamentarischen Jesuitismus
und formulierte die an sich unbestreitbare Tatsache, daß Menschen, die nicht
einmal das Geld zur Überfahrt auf dem Zwischendeck besitzen, nicht auswandern
können, dahin, daß nur die wohlhabenden Leute — ein freilich auch nach unten
sehr dehnbarer Begriff — nur die privilegierten Arbeiter, die etwas verdienen,
die besseren, die etwas zurückgelegt haben, auswanderten, während die paupsrs
in Amerika abgewiesen, eventuell zurückgeschickt würden. Er bewies diese
Behauptung durch eine amtliche französische Publikation, die feststellte, daß die
Auswanderung in den wohlhabenden unteren Pyrenäen-Departements am
größten sei, weil die glücklichen Verhältnisse zu Abenteuern verlockten, sowie
durch den Hinweis auf die gesteigerte Auswanderung der siebziger Jahre, wo
man im Golde schwamm. Außerdem überschätzte er wohl die Kosten der Aus¬
wanderung, wenn er sie auf 1000 Mark veranschlagte: eine Summe, die für





*) Poschinger, Aktenstücke I 192.
Reden X 347 ff.
Reden XIII 4S1.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/41>, abgerufen am 22.12.2024.