Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wels und waibling

zu gewinnen. Ich habe gegen den preußischen Partikularismus vielleicht noch
schwierigere Kämpfe durchzuführen gehabt als gegen den der übrigen deutschen
Staaten und Dynastien, und mein angeborenes Verhältnis zu dem Kaiser
Wilhelm dem Ersten hat mir diese Kämpfe erschwert. Doch ist es mir schließlich
stets gelungen, trotz der starken dynastischen, aber dank der dynastisch berechtigten
und in entscheidenden Momenten immer stärker werdenden nationalen Strebungen
des Kaisers seine Zustimmung für die deutsche Seite unserer Entwicklung zu
gewinnen, auch wenn eine mehr dynastische und partikularistische von allen
anderen Seiten geltend gemacht wurde. In der Nikolsburger Situation wurde
mir dies nur mit dem Beistande des damaligen Kronprinzen möglich. Die
territoriale Souveränität der einzelnen Fürsten hatte sich im Laufe der deutschen
Geschichte zu einer unnatürlichen Höhe entwickelt; die einzelnen Dynastien,
Preußen nicht ausgenommen, hatten an sich dem deutschen Volke gegenüber auf
Zerstücklung des letzteren für ihren Privatbesitz, auf den souveränen Anteil am
Leibe des Volkes niemals ein höheres historisches Recht, als unter den Hohen-
staufen und unter Karl dem Fünften in ihrem Besitz war. Die unbeschränkte
Staatssouveränität der Dynastien, der Reichsritter, der Reichsstädte und Reichs¬
dörfer war eine revolutionäre Errungenschaft auf Kosten der Nation und ihrer
Einheit. Ich habe stets den Eindruck des Unnatürlichen von der Tatsache
gehabt, daß die Grenze, welche den niedersächsischen Altmärker bei Salzwedel
von dem kurbraunschweigischen Niedersachsen bei Lüchow, in Moor und Heide
dem Auge unerkennbar, trennt, daß den zu beiden Seiten plattdeutsch redenden
Niedersachsen an zwei verschiedene, einander unter Umständen feindliche völker¬
rechtliche Gebilde verweisen will, deren eines von Berlin, und das andere früher
von London, später von Hannover regiert wurde, das eine Augen rechts nach
Osten, das andere Augen links nach Westen bereit stand, und daß friedliche
und gleichartige, im Conubium verkehrende Bauern dieser Gegend, der eine für
weifisch-Habsburgische, der andere für hohenzollernsche Interessen aufeinander
schießen sollten. Daß dies überhaupt möglich war, beweist die Tiefe und
Gewalt des Einflusses dynastischer Anhänglichkeit auf den Deutschen.
Daß die Dynastien jederzeit stärker geblieben sind als Presse und Parlamente, hat
sich durch die Tatsache bestätigt, daß 1866 Bundesländer, deren Dynastien im
Bereich des österreichischen Einflusses lagen, ohne Rücksicht auf nationale Be¬
strebungen mit Österreich, und nur solche, welche "unter den preußischen
Kanonen" lagen, mit Preußen gingen. Von den letzteren machten allerdings
Hannover, Hessen und Nassau Ausnahmen, weil sie Österreich für stark genug
hielten, um alle Zumutungen Preußens siegreich abweisen zu können. Sie
haben infolgedessen die Zeche bezahlt, da es nicht gelang, dem Könige Wilhelm
die Vorstellung annehmbar zu machen, daß Preußen an der Spitze des Nord¬
deutschen Bundes einer Vergrößerung seines Gebietes kaum bedürfen würde.
Gewiß aber ist, daß auch 1866 die materielle Macht der Bundesstaaten
den Dynastien und nicht den Parlamenten folgte, und daß sächsisches,


Wels und waibling

zu gewinnen. Ich habe gegen den preußischen Partikularismus vielleicht noch
schwierigere Kämpfe durchzuführen gehabt als gegen den der übrigen deutschen
Staaten und Dynastien, und mein angeborenes Verhältnis zu dem Kaiser
Wilhelm dem Ersten hat mir diese Kämpfe erschwert. Doch ist es mir schließlich
stets gelungen, trotz der starken dynastischen, aber dank der dynastisch berechtigten
und in entscheidenden Momenten immer stärker werdenden nationalen Strebungen
des Kaisers seine Zustimmung für die deutsche Seite unserer Entwicklung zu
gewinnen, auch wenn eine mehr dynastische und partikularistische von allen
anderen Seiten geltend gemacht wurde. In der Nikolsburger Situation wurde
mir dies nur mit dem Beistande des damaligen Kronprinzen möglich. Die
territoriale Souveränität der einzelnen Fürsten hatte sich im Laufe der deutschen
Geschichte zu einer unnatürlichen Höhe entwickelt; die einzelnen Dynastien,
Preußen nicht ausgenommen, hatten an sich dem deutschen Volke gegenüber auf
Zerstücklung des letzteren für ihren Privatbesitz, auf den souveränen Anteil am
Leibe des Volkes niemals ein höheres historisches Recht, als unter den Hohen-
staufen und unter Karl dem Fünften in ihrem Besitz war. Die unbeschränkte
Staatssouveränität der Dynastien, der Reichsritter, der Reichsstädte und Reichs¬
dörfer war eine revolutionäre Errungenschaft auf Kosten der Nation und ihrer
Einheit. Ich habe stets den Eindruck des Unnatürlichen von der Tatsache
gehabt, daß die Grenze, welche den niedersächsischen Altmärker bei Salzwedel
von dem kurbraunschweigischen Niedersachsen bei Lüchow, in Moor und Heide
dem Auge unerkennbar, trennt, daß den zu beiden Seiten plattdeutsch redenden
Niedersachsen an zwei verschiedene, einander unter Umständen feindliche völker¬
rechtliche Gebilde verweisen will, deren eines von Berlin, und das andere früher
von London, später von Hannover regiert wurde, das eine Augen rechts nach
Osten, das andere Augen links nach Westen bereit stand, und daß friedliche
und gleichartige, im Conubium verkehrende Bauern dieser Gegend, der eine für
weifisch-Habsburgische, der andere für hohenzollernsche Interessen aufeinander
schießen sollten. Daß dies überhaupt möglich war, beweist die Tiefe und
Gewalt des Einflusses dynastischer Anhänglichkeit auf den Deutschen.
Daß die Dynastien jederzeit stärker geblieben sind als Presse und Parlamente, hat
sich durch die Tatsache bestätigt, daß 1866 Bundesländer, deren Dynastien im
Bereich des österreichischen Einflusses lagen, ohne Rücksicht auf nationale Be¬
strebungen mit Österreich, und nur solche, welche „unter den preußischen
Kanonen" lagen, mit Preußen gingen. Von den letzteren machten allerdings
Hannover, Hessen und Nassau Ausnahmen, weil sie Österreich für stark genug
hielten, um alle Zumutungen Preußens siegreich abweisen zu können. Sie
haben infolgedessen die Zeche bezahlt, da es nicht gelang, dem Könige Wilhelm
die Vorstellung annehmbar zu machen, daß Preußen an der Spitze des Nord¬
deutschen Bundes einer Vergrößerung seines Gebietes kaum bedürfen würde.
Gewiß aber ist, daß auch 1866 die materielle Macht der Bundesstaaten
den Dynastien und nicht den Parlamenten folgte, und daß sächsisches,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0361" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325231"/>
          <fw type="header" place="top"> Wels und waibling</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1563" prev="#ID_1562" next="#ID_1564"> zu gewinnen. Ich habe gegen den preußischen Partikularismus vielleicht noch<lb/>
schwierigere Kämpfe durchzuführen gehabt als gegen den der übrigen deutschen<lb/>
Staaten und Dynastien, und mein angeborenes Verhältnis zu dem Kaiser<lb/>
Wilhelm dem Ersten hat mir diese Kämpfe erschwert. Doch ist es mir schließlich<lb/>
stets gelungen, trotz der starken dynastischen, aber dank der dynastisch berechtigten<lb/>
und in entscheidenden Momenten immer stärker werdenden nationalen Strebungen<lb/>
des Kaisers seine Zustimmung für die deutsche Seite unserer Entwicklung zu<lb/>
gewinnen, auch wenn eine mehr dynastische und partikularistische von allen<lb/>
anderen Seiten geltend gemacht wurde. In der Nikolsburger Situation wurde<lb/>
mir dies nur mit dem Beistande des damaligen Kronprinzen möglich. Die<lb/>
territoriale Souveränität der einzelnen Fürsten hatte sich im Laufe der deutschen<lb/>
Geschichte zu einer unnatürlichen Höhe entwickelt; die einzelnen Dynastien,<lb/>
Preußen nicht ausgenommen, hatten an sich dem deutschen Volke gegenüber auf<lb/>
Zerstücklung des letzteren für ihren Privatbesitz, auf den souveränen Anteil am<lb/>
Leibe des Volkes niemals ein höheres historisches Recht, als unter den Hohen-<lb/>
staufen und unter Karl dem Fünften in ihrem Besitz war. Die unbeschränkte<lb/>
Staatssouveränität der Dynastien, der Reichsritter, der Reichsstädte und Reichs¬<lb/>
dörfer war eine revolutionäre Errungenschaft auf Kosten der Nation und ihrer<lb/>
Einheit. Ich habe stets den Eindruck des Unnatürlichen von der Tatsache<lb/>
gehabt, daß die Grenze, welche den niedersächsischen Altmärker bei Salzwedel<lb/>
von dem kurbraunschweigischen Niedersachsen bei Lüchow, in Moor und Heide<lb/>
dem Auge unerkennbar, trennt, daß den zu beiden Seiten plattdeutsch redenden<lb/>
Niedersachsen an zwei verschiedene, einander unter Umständen feindliche völker¬<lb/>
rechtliche Gebilde verweisen will, deren eines von Berlin, und das andere früher<lb/>
von London, später von Hannover regiert wurde, das eine Augen rechts nach<lb/>
Osten, das andere Augen links nach Westen bereit stand, und daß friedliche<lb/>
und gleichartige, im Conubium verkehrende Bauern dieser Gegend, der eine für<lb/>
weifisch-Habsburgische, der andere für hohenzollernsche Interessen aufeinander<lb/>
schießen sollten. Daß dies überhaupt möglich war, beweist die Tiefe und<lb/>
Gewalt des Einflusses dynastischer Anhänglichkeit auf den Deutschen.<lb/>
Daß die Dynastien jederzeit stärker geblieben sind als Presse und Parlamente, hat<lb/>
sich durch die Tatsache bestätigt, daß 1866 Bundesländer, deren Dynastien im<lb/>
Bereich des österreichischen Einflusses lagen, ohne Rücksicht auf nationale Be¬<lb/>
strebungen mit Österreich, und nur solche, welche &#x201E;unter den preußischen<lb/>
Kanonen" lagen, mit Preußen gingen. Von den letzteren machten allerdings<lb/>
Hannover, Hessen und Nassau Ausnahmen, weil sie Österreich für stark genug<lb/>
hielten, um alle Zumutungen Preußens siegreich abweisen zu können. Sie<lb/>
haben infolgedessen die Zeche bezahlt, da es nicht gelang, dem Könige Wilhelm<lb/>
die Vorstellung annehmbar zu machen, daß Preußen an der Spitze des Nord¬<lb/>
deutschen Bundes einer Vergrößerung seines Gebietes kaum bedürfen würde.<lb/>
Gewiß aber ist, daß auch 1866 die materielle Macht der Bundesstaaten<lb/>
den Dynastien und nicht den Parlamenten folgte, und daß sächsisches,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0361] Wels und waibling zu gewinnen. Ich habe gegen den preußischen Partikularismus vielleicht noch schwierigere Kämpfe durchzuführen gehabt als gegen den der übrigen deutschen Staaten und Dynastien, und mein angeborenes Verhältnis zu dem Kaiser Wilhelm dem Ersten hat mir diese Kämpfe erschwert. Doch ist es mir schließlich stets gelungen, trotz der starken dynastischen, aber dank der dynastisch berechtigten und in entscheidenden Momenten immer stärker werdenden nationalen Strebungen des Kaisers seine Zustimmung für die deutsche Seite unserer Entwicklung zu gewinnen, auch wenn eine mehr dynastische und partikularistische von allen anderen Seiten geltend gemacht wurde. In der Nikolsburger Situation wurde mir dies nur mit dem Beistande des damaligen Kronprinzen möglich. Die territoriale Souveränität der einzelnen Fürsten hatte sich im Laufe der deutschen Geschichte zu einer unnatürlichen Höhe entwickelt; die einzelnen Dynastien, Preußen nicht ausgenommen, hatten an sich dem deutschen Volke gegenüber auf Zerstücklung des letzteren für ihren Privatbesitz, auf den souveränen Anteil am Leibe des Volkes niemals ein höheres historisches Recht, als unter den Hohen- staufen und unter Karl dem Fünften in ihrem Besitz war. Die unbeschränkte Staatssouveränität der Dynastien, der Reichsritter, der Reichsstädte und Reichs¬ dörfer war eine revolutionäre Errungenschaft auf Kosten der Nation und ihrer Einheit. Ich habe stets den Eindruck des Unnatürlichen von der Tatsache gehabt, daß die Grenze, welche den niedersächsischen Altmärker bei Salzwedel von dem kurbraunschweigischen Niedersachsen bei Lüchow, in Moor und Heide dem Auge unerkennbar, trennt, daß den zu beiden Seiten plattdeutsch redenden Niedersachsen an zwei verschiedene, einander unter Umständen feindliche völker¬ rechtliche Gebilde verweisen will, deren eines von Berlin, und das andere früher von London, später von Hannover regiert wurde, das eine Augen rechts nach Osten, das andere Augen links nach Westen bereit stand, und daß friedliche und gleichartige, im Conubium verkehrende Bauern dieser Gegend, der eine für weifisch-Habsburgische, der andere für hohenzollernsche Interessen aufeinander schießen sollten. Daß dies überhaupt möglich war, beweist die Tiefe und Gewalt des Einflusses dynastischer Anhänglichkeit auf den Deutschen. Daß die Dynastien jederzeit stärker geblieben sind als Presse und Parlamente, hat sich durch die Tatsache bestätigt, daß 1866 Bundesländer, deren Dynastien im Bereich des österreichischen Einflusses lagen, ohne Rücksicht auf nationale Be¬ strebungen mit Österreich, und nur solche, welche „unter den preußischen Kanonen" lagen, mit Preußen gingen. Von den letzteren machten allerdings Hannover, Hessen und Nassau Ausnahmen, weil sie Österreich für stark genug hielten, um alle Zumutungen Preußens siegreich abweisen zu können. Sie haben infolgedessen die Zeche bezahlt, da es nicht gelang, dem Könige Wilhelm die Vorstellung annehmbar zu machen, daß Preußen an der Spitze des Nord¬ deutschen Bundes einer Vergrößerung seines Gebietes kaum bedürfen würde. Gewiß aber ist, daß auch 1866 die materielle Macht der Bundesstaaten den Dynastien und nicht den Parlamenten folgte, und daß sächsisches,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/361
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/361>, abgerufen am 22.12.2024.