Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
weis und wcribling

hannoversches und hessisches Blut nicht für die deutsche Einheit, sondern dagegen
vergossen ist.

Die Dynastien bildeten überall den Punkt, um den der deutsche Trieb nach
Sonderung in engeren Verbänden seine Kristalle ansetzte."




Als Kaiser Wilhelm der Zweite im Jahre 1888 den Thron bestieg, lag
für ihn kein Grund vor, die Welfenfrage anzurühren. Solange Prinz Albrecht
lebte, war die ruhige Fortentwicklung Braunschweigs sichergestellt. Aber er
wurde durch von Kopenhagen aus eingefädelte Intrigen herausgefordert. Das
Zeugnis dafür finden wir in einem bisher noch nicht bekannten Schreiben des
Geheimen Legationsrath von Holstein vom 3. August 1888, in dem es wört¬
lich heißt:

". . . Sehr gespannt bin ich auf die Cumberlandfrage in Kopenhagen. Der
gute Stumm hatte an Waldersee erzählt, es werde leicht sein, die Dänen durch
Garantie ihres Besitzstandes zur Neutralität im nächsten Krieg zu bewegen. Ich
glaube das gar nicht, glaube vielmehr, daß es unmöglich sein wird sie neutral
zu halten, sobald Rußland losgeht. Die Cumberlandanregung ist ein Zeichen
wachsenden Selbstgefühls. Ohne den russischen Schwiegersohn als Rückhalt würde
die Königin die Anregung gar nicht wagen. Daß der Zar sich vorläufig von
der Frage desinteresstert, beweist nur, daß die Sache ihm jetzt nicht paßt. . . .
Denken Sie, wie der .edle' Alexander der Erste den durchaus nicht naiven
Napoleon den Ersten reingelegt hat. ..."

Als dann der junge Kaiser am 3. und 4. Oktober in Wien bei Kaiser
Franz Josef weilte, ergriff er die Gelegenheit einer Aussprache mit dem gleich¬
falls anwesenden Herzog Ernst August von Cumberland und versuchte diesen
zum Verzicht auf Hannover unter gewissen Voraussetzungen zu bewegen. Die
Bemühungen scheiterten, wie wir heute wissen, gleichfalls an Intrigen, die die
Zarin Maria Feodorowna von Rußland (Dagmar von Dänemark) im Ein¬
verständnis mit den russischen Panslawisten und Agitatoren für ein russtsch-
französisches Bündnis spann.

Jene Unterredung mit dem Cumberländer zu Schönbrunn muß indessen
doch beim Kaiser den Eindruck hinterlassen haben, als sei eine baldige Aus¬
söhnung der welfisch-preußischen Gegensätze möglich. Jedenfalls ließ er sich durch
nichts und niemand beirren oder gar abschrecken, den Frieden mit den Welsen
anzustreben. Am 10. April 1892 wurde, wie Miquel im preußischen Abgeord-
netenhavse erklärte, "aus der hochherzigen Entschließung des Königs heraus"
die Sequestration über den Weifenfonds aufgehoben und die Zinsen aus dem
seinerzeit (1868) beschlagnahmten Vermögen Georgs des Fünften wurden dem
Herzog von Cumberland zur Verfügung gestellt. Erst im Jahre 1901 gelegentlich
der Beisetzungsfeierlichkeiten für die Königin Viktoria von England fand eine
flüchtige Berührung des Kaisers mit dem Oberhaupt der Weisen statt. 1903


weis und wcribling

hannoversches und hessisches Blut nicht für die deutsche Einheit, sondern dagegen
vergossen ist.

Die Dynastien bildeten überall den Punkt, um den der deutsche Trieb nach
Sonderung in engeren Verbänden seine Kristalle ansetzte."




Als Kaiser Wilhelm der Zweite im Jahre 1888 den Thron bestieg, lag
für ihn kein Grund vor, die Welfenfrage anzurühren. Solange Prinz Albrecht
lebte, war die ruhige Fortentwicklung Braunschweigs sichergestellt. Aber er
wurde durch von Kopenhagen aus eingefädelte Intrigen herausgefordert. Das
Zeugnis dafür finden wir in einem bisher noch nicht bekannten Schreiben des
Geheimen Legationsrath von Holstein vom 3. August 1888, in dem es wört¬
lich heißt:

„. . . Sehr gespannt bin ich auf die Cumberlandfrage in Kopenhagen. Der
gute Stumm hatte an Waldersee erzählt, es werde leicht sein, die Dänen durch
Garantie ihres Besitzstandes zur Neutralität im nächsten Krieg zu bewegen. Ich
glaube das gar nicht, glaube vielmehr, daß es unmöglich sein wird sie neutral
zu halten, sobald Rußland losgeht. Die Cumberlandanregung ist ein Zeichen
wachsenden Selbstgefühls. Ohne den russischen Schwiegersohn als Rückhalt würde
die Königin die Anregung gar nicht wagen. Daß der Zar sich vorläufig von
der Frage desinteresstert, beweist nur, daß die Sache ihm jetzt nicht paßt. . . .
Denken Sie, wie der .edle' Alexander der Erste den durchaus nicht naiven
Napoleon den Ersten reingelegt hat. ..."

Als dann der junge Kaiser am 3. und 4. Oktober in Wien bei Kaiser
Franz Josef weilte, ergriff er die Gelegenheit einer Aussprache mit dem gleich¬
falls anwesenden Herzog Ernst August von Cumberland und versuchte diesen
zum Verzicht auf Hannover unter gewissen Voraussetzungen zu bewegen. Die
Bemühungen scheiterten, wie wir heute wissen, gleichfalls an Intrigen, die die
Zarin Maria Feodorowna von Rußland (Dagmar von Dänemark) im Ein¬
verständnis mit den russischen Panslawisten und Agitatoren für ein russtsch-
französisches Bündnis spann.

Jene Unterredung mit dem Cumberländer zu Schönbrunn muß indessen
doch beim Kaiser den Eindruck hinterlassen haben, als sei eine baldige Aus¬
söhnung der welfisch-preußischen Gegensätze möglich. Jedenfalls ließ er sich durch
nichts und niemand beirren oder gar abschrecken, den Frieden mit den Welsen
anzustreben. Am 10. April 1892 wurde, wie Miquel im preußischen Abgeord-
netenhavse erklärte, „aus der hochherzigen Entschließung des Königs heraus"
die Sequestration über den Weifenfonds aufgehoben und die Zinsen aus dem
seinerzeit (1868) beschlagnahmten Vermögen Georgs des Fünften wurden dem
Herzog von Cumberland zur Verfügung gestellt. Erst im Jahre 1901 gelegentlich
der Beisetzungsfeierlichkeiten für die Königin Viktoria von England fand eine
flüchtige Berührung des Kaisers mit dem Oberhaupt der Weisen statt. 1903


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0362" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325232"/>
          <fw type="header" place="top"> weis und wcribling</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1564" prev="#ID_1563"> hannoversches und hessisches Blut nicht für die deutsche Einheit, sondern dagegen<lb/>
vergossen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1565"> Die Dynastien bildeten überall den Punkt, um den der deutsche Trieb nach<lb/>
Sonderung in engeren Verbänden seine Kristalle ansetzte."</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1566"> Als Kaiser Wilhelm der Zweite im Jahre 1888 den Thron bestieg, lag<lb/>
für ihn kein Grund vor, die Welfenfrage anzurühren. Solange Prinz Albrecht<lb/>
lebte, war die ruhige Fortentwicklung Braunschweigs sichergestellt. Aber er<lb/>
wurde durch von Kopenhagen aus eingefädelte Intrigen herausgefordert. Das<lb/>
Zeugnis dafür finden wir in einem bisher noch nicht bekannten Schreiben des<lb/>
Geheimen Legationsrath von Holstein vom 3. August 1888, in dem es wört¬<lb/>
lich heißt:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1567"> &#x201E;. . . Sehr gespannt bin ich auf die Cumberlandfrage in Kopenhagen. Der<lb/>
gute Stumm hatte an Waldersee erzählt, es werde leicht sein, die Dänen durch<lb/>
Garantie ihres Besitzstandes zur Neutralität im nächsten Krieg zu bewegen. Ich<lb/>
glaube das gar nicht, glaube vielmehr, daß es unmöglich sein wird sie neutral<lb/>
zu halten, sobald Rußland losgeht. Die Cumberlandanregung ist ein Zeichen<lb/>
wachsenden Selbstgefühls. Ohne den russischen Schwiegersohn als Rückhalt würde<lb/>
die Königin die Anregung gar nicht wagen. Daß der Zar sich vorläufig von<lb/>
der Frage desinteresstert, beweist nur, daß die Sache ihm jetzt nicht paßt. . . .<lb/>
Denken Sie, wie der .edle' Alexander der Erste den durchaus nicht naiven<lb/>
Napoleon den Ersten reingelegt hat. ..."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1568"> Als dann der junge Kaiser am 3. und 4. Oktober in Wien bei Kaiser<lb/>
Franz Josef weilte, ergriff er die Gelegenheit einer Aussprache mit dem gleich¬<lb/>
falls anwesenden Herzog Ernst August von Cumberland und versuchte diesen<lb/>
zum Verzicht auf Hannover unter gewissen Voraussetzungen zu bewegen. Die<lb/>
Bemühungen scheiterten, wie wir heute wissen, gleichfalls an Intrigen, die die<lb/>
Zarin Maria Feodorowna von Rußland (Dagmar von Dänemark) im Ein¬<lb/>
verständnis mit den russischen Panslawisten und Agitatoren für ein russtsch-<lb/>
französisches Bündnis spann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1569" next="#ID_1570"> Jene Unterredung mit dem Cumberländer zu Schönbrunn muß indessen<lb/>
doch beim Kaiser den Eindruck hinterlassen haben, als sei eine baldige Aus¬<lb/>
söhnung der welfisch-preußischen Gegensätze möglich. Jedenfalls ließ er sich durch<lb/>
nichts und niemand beirren oder gar abschrecken, den Frieden mit den Welsen<lb/>
anzustreben. Am 10. April 1892 wurde, wie Miquel im preußischen Abgeord-<lb/>
netenhavse erklärte, &#x201E;aus der hochherzigen Entschließung des Königs heraus"<lb/>
die Sequestration über den Weifenfonds aufgehoben und die Zinsen aus dem<lb/>
seinerzeit (1868) beschlagnahmten Vermögen Georgs des Fünften wurden dem<lb/>
Herzog von Cumberland zur Verfügung gestellt. Erst im Jahre 1901 gelegentlich<lb/>
der Beisetzungsfeierlichkeiten für die Königin Viktoria von England fand eine<lb/>
flüchtige Berührung des Kaisers mit dem Oberhaupt der Weisen statt. 1903</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0362] weis und wcribling hannoversches und hessisches Blut nicht für die deutsche Einheit, sondern dagegen vergossen ist. Die Dynastien bildeten überall den Punkt, um den der deutsche Trieb nach Sonderung in engeren Verbänden seine Kristalle ansetzte." Als Kaiser Wilhelm der Zweite im Jahre 1888 den Thron bestieg, lag für ihn kein Grund vor, die Welfenfrage anzurühren. Solange Prinz Albrecht lebte, war die ruhige Fortentwicklung Braunschweigs sichergestellt. Aber er wurde durch von Kopenhagen aus eingefädelte Intrigen herausgefordert. Das Zeugnis dafür finden wir in einem bisher noch nicht bekannten Schreiben des Geheimen Legationsrath von Holstein vom 3. August 1888, in dem es wört¬ lich heißt: „. . . Sehr gespannt bin ich auf die Cumberlandfrage in Kopenhagen. Der gute Stumm hatte an Waldersee erzählt, es werde leicht sein, die Dänen durch Garantie ihres Besitzstandes zur Neutralität im nächsten Krieg zu bewegen. Ich glaube das gar nicht, glaube vielmehr, daß es unmöglich sein wird sie neutral zu halten, sobald Rußland losgeht. Die Cumberlandanregung ist ein Zeichen wachsenden Selbstgefühls. Ohne den russischen Schwiegersohn als Rückhalt würde die Königin die Anregung gar nicht wagen. Daß der Zar sich vorläufig von der Frage desinteresstert, beweist nur, daß die Sache ihm jetzt nicht paßt. . . . Denken Sie, wie der .edle' Alexander der Erste den durchaus nicht naiven Napoleon den Ersten reingelegt hat. ..." Als dann der junge Kaiser am 3. und 4. Oktober in Wien bei Kaiser Franz Josef weilte, ergriff er die Gelegenheit einer Aussprache mit dem gleich¬ falls anwesenden Herzog Ernst August von Cumberland und versuchte diesen zum Verzicht auf Hannover unter gewissen Voraussetzungen zu bewegen. Die Bemühungen scheiterten, wie wir heute wissen, gleichfalls an Intrigen, die die Zarin Maria Feodorowna von Rußland (Dagmar von Dänemark) im Ein¬ verständnis mit den russischen Panslawisten und Agitatoren für ein russtsch- französisches Bündnis spann. Jene Unterredung mit dem Cumberländer zu Schönbrunn muß indessen doch beim Kaiser den Eindruck hinterlassen haben, als sei eine baldige Aus¬ söhnung der welfisch-preußischen Gegensätze möglich. Jedenfalls ließ er sich durch nichts und niemand beirren oder gar abschrecken, den Frieden mit den Welsen anzustreben. Am 10. April 1892 wurde, wie Miquel im preußischen Abgeord- netenhavse erklärte, „aus der hochherzigen Entschließung des Königs heraus" die Sequestration über den Weifenfonds aufgehoben und die Zinsen aus dem seinerzeit (1868) beschlagnahmten Vermögen Georgs des Fünften wurden dem Herzog von Cumberland zur Verfügung gestellt. Erst im Jahre 1901 gelegentlich der Beisetzungsfeierlichkeiten für die Königin Viktoria von England fand eine flüchtige Berührung des Kaisers mit dem Oberhaupt der Weisen statt. 1903

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/362
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/362>, abgerufen am 24.07.2024.