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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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sich handelte, entweder ganz verschwinden oder unverringert fortbestehen zu
lassen. Mediatisierte Fürsten fürchtete er nicht; wohl aber scheute er davor
zurück, in den Bundesrat eine Reihe verdrossener Regierungen einziehen zu
lassen, denen der Gedanke an die Reichsgründung untrennbar mit der
Erinnerung an eine Verkleinerung ihres Gebiets verbunden ge¬
wesen wäre. Der erste Kanzler hat damit tatsächlich erreicht, daß die viel¬
fachen Verstimmungen jener Gärungsperiode im Bundesrat nie eine irgendwie
nennenswerte Rolle gespielt haben; der Übergang in die neuen Verhältnisse
hat sich auch bei den Regierungen viel schneller und glatter vollzogen, als
Bismarck selbst erwartet hatte. Eine nachträgliche Schwierigkeit ergab sich hier
nur bei Braunschweig. wo im Jahre 1884 nach dem Aussterben der älteren
welfischen Linie an sich das Haus Cumberland, also die Familie des abgesetzten
Königs von Hannover, zur Nachfolge berufen gewesen wäre. Da aber der
Herzog von Cumberland gegen die Annexion von Hannover protestiert hatte
und nach wie vor hannoverscher Prätendent war, wäre mit ihm eine jener
Persönlichkeiten Herzog von Braunschweig geworden, die Bismarck dem Reich
gerade hatte fernhalten wollen, ein Mann, der nicht nur über eine ihm auf¬
gezwungene Depossedierung verärgert war, sondern der sogar in aller Form
die Regelung von 1866 und damit die Grundlage des Reichs als Rechtsbruch
verurteilte und anfocht. Die braunschweigische Regierung war daher schon in
den siebziger Jahren veranlaßt worden, für ein Regentschaftsgesetz Sorge zu
tragen, das den Herzog von Cumberland sür behindert erklärte, die Regierung
des Landes anzutreten, und demgemäß die Einsetzung einer Regentschaft vorsah.
Auf Grund dieses Gesetzes wurde im Jahre 1884 Prinz Albrecht von Preußen
Regent."

Die Begründung dieser Politik finden wir wieder bei Bismarck selbst,
der schreibt:

"Dynastische Interessen haben in Deutschland insoweit eine Berechtigung,
als sie sich dem allgemeinen nationalen Reichsinteresse anpassen; sie können mit
diesem sehr wohl Hand in Hand gehen, und ein reichstreuer Herzog im
alten Sinne ist im ganzen unter Umständen nützlicher als direkte
Beziehungen des Kaisers zu den herzoglichen Hintersassen. Soweit
aber die dynastischen Interessen uns mit neuer Zersplitterung und Ohnmacht
der Nation bedrohen sollten, müßten sie auf ihr richtiges Maß zurückgeführt
werden. Das deutsche Volk und sein nationales Leben können nicht
unter fürstlichen Privatbesitz verteilt werden. Ich bin mir jederzeit
klar darüber gewesen, daß diese Erwägung auf die kurbrandenburgische Dynastie
dieselbe Anwendung findet wie auf die bayerische, die welfische und andere; ich würde
gegen das brandenburgische Fürstenhaus keine Waffen gehabt haben, wenn ich ihm
gegenüber mein deutsches Nationalgefühl durch Bruch und Auflehnung hätte betätigen
müssen; die geschichtliche Prädestination lag aber so, daß meine höfischen Talente
hinreichten, um den König und damit schließlich sein Heer der deutschen Sache


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sich handelte, entweder ganz verschwinden oder unverringert fortbestehen zu
lassen. Mediatisierte Fürsten fürchtete er nicht; wohl aber scheute er davor
zurück, in den Bundesrat eine Reihe verdrossener Regierungen einziehen zu
lassen, denen der Gedanke an die Reichsgründung untrennbar mit der
Erinnerung an eine Verkleinerung ihres Gebiets verbunden ge¬
wesen wäre. Der erste Kanzler hat damit tatsächlich erreicht, daß die viel¬
fachen Verstimmungen jener Gärungsperiode im Bundesrat nie eine irgendwie
nennenswerte Rolle gespielt haben; der Übergang in die neuen Verhältnisse
hat sich auch bei den Regierungen viel schneller und glatter vollzogen, als
Bismarck selbst erwartet hatte. Eine nachträgliche Schwierigkeit ergab sich hier
nur bei Braunschweig. wo im Jahre 1884 nach dem Aussterben der älteren
welfischen Linie an sich das Haus Cumberland, also die Familie des abgesetzten
Königs von Hannover, zur Nachfolge berufen gewesen wäre. Da aber der
Herzog von Cumberland gegen die Annexion von Hannover protestiert hatte
und nach wie vor hannoverscher Prätendent war, wäre mit ihm eine jener
Persönlichkeiten Herzog von Braunschweig geworden, die Bismarck dem Reich
gerade hatte fernhalten wollen, ein Mann, der nicht nur über eine ihm auf¬
gezwungene Depossedierung verärgert war, sondern der sogar in aller Form
die Regelung von 1866 und damit die Grundlage des Reichs als Rechtsbruch
verurteilte und anfocht. Die braunschweigische Regierung war daher schon in
den siebziger Jahren veranlaßt worden, für ein Regentschaftsgesetz Sorge zu
tragen, das den Herzog von Cumberland sür behindert erklärte, die Regierung
des Landes anzutreten, und demgemäß die Einsetzung einer Regentschaft vorsah.
Auf Grund dieses Gesetzes wurde im Jahre 1884 Prinz Albrecht von Preußen
Regent."

Die Begründung dieser Politik finden wir wieder bei Bismarck selbst,
der schreibt:

„Dynastische Interessen haben in Deutschland insoweit eine Berechtigung,
als sie sich dem allgemeinen nationalen Reichsinteresse anpassen; sie können mit
diesem sehr wohl Hand in Hand gehen, und ein reichstreuer Herzog im
alten Sinne ist im ganzen unter Umständen nützlicher als direkte
Beziehungen des Kaisers zu den herzoglichen Hintersassen. Soweit
aber die dynastischen Interessen uns mit neuer Zersplitterung und Ohnmacht
der Nation bedrohen sollten, müßten sie auf ihr richtiges Maß zurückgeführt
werden. Das deutsche Volk und sein nationales Leben können nicht
unter fürstlichen Privatbesitz verteilt werden. Ich bin mir jederzeit
klar darüber gewesen, daß diese Erwägung auf die kurbrandenburgische Dynastie
dieselbe Anwendung findet wie auf die bayerische, die welfische und andere; ich würde
gegen das brandenburgische Fürstenhaus keine Waffen gehabt haben, wenn ich ihm
gegenüber mein deutsches Nationalgefühl durch Bruch und Auflehnung hätte betätigen
müssen; die geschichtliche Prädestination lag aber so, daß meine höfischen Talente
hinreichten, um den König und damit schließlich sein Heer der deutschen Sache


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[0360] locis und waibUng sich handelte, entweder ganz verschwinden oder unverringert fortbestehen zu lassen. Mediatisierte Fürsten fürchtete er nicht; wohl aber scheute er davor zurück, in den Bundesrat eine Reihe verdrossener Regierungen einziehen zu lassen, denen der Gedanke an die Reichsgründung untrennbar mit der Erinnerung an eine Verkleinerung ihres Gebiets verbunden ge¬ wesen wäre. Der erste Kanzler hat damit tatsächlich erreicht, daß die viel¬ fachen Verstimmungen jener Gärungsperiode im Bundesrat nie eine irgendwie nennenswerte Rolle gespielt haben; der Übergang in die neuen Verhältnisse hat sich auch bei den Regierungen viel schneller und glatter vollzogen, als Bismarck selbst erwartet hatte. Eine nachträgliche Schwierigkeit ergab sich hier nur bei Braunschweig. wo im Jahre 1884 nach dem Aussterben der älteren welfischen Linie an sich das Haus Cumberland, also die Familie des abgesetzten Königs von Hannover, zur Nachfolge berufen gewesen wäre. Da aber der Herzog von Cumberland gegen die Annexion von Hannover protestiert hatte und nach wie vor hannoverscher Prätendent war, wäre mit ihm eine jener Persönlichkeiten Herzog von Braunschweig geworden, die Bismarck dem Reich gerade hatte fernhalten wollen, ein Mann, der nicht nur über eine ihm auf¬ gezwungene Depossedierung verärgert war, sondern der sogar in aller Form die Regelung von 1866 und damit die Grundlage des Reichs als Rechtsbruch verurteilte und anfocht. Die braunschweigische Regierung war daher schon in den siebziger Jahren veranlaßt worden, für ein Regentschaftsgesetz Sorge zu tragen, das den Herzog von Cumberland sür behindert erklärte, die Regierung des Landes anzutreten, und demgemäß die Einsetzung einer Regentschaft vorsah. Auf Grund dieses Gesetzes wurde im Jahre 1884 Prinz Albrecht von Preußen Regent." Die Begründung dieser Politik finden wir wieder bei Bismarck selbst, der schreibt: „Dynastische Interessen haben in Deutschland insoweit eine Berechtigung, als sie sich dem allgemeinen nationalen Reichsinteresse anpassen; sie können mit diesem sehr wohl Hand in Hand gehen, und ein reichstreuer Herzog im alten Sinne ist im ganzen unter Umständen nützlicher als direkte Beziehungen des Kaisers zu den herzoglichen Hintersassen. Soweit aber die dynastischen Interessen uns mit neuer Zersplitterung und Ohnmacht der Nation bedrohen sollten, müßten sie auf ihr richtiges Maß zurückgeführt werden. Das deutsche Volk und sein nationales Leben können nicht unter fürstlichen Privatbesitz verteilt werden. Ich bin mir jederzeit klar darüber gewesen, daß diese Erwägung auf die kurbrandenburgische Dynastie dieselbe Anwendung findet wie auf die bayerische, die welfische und andere; ich würde gegen das brandenburgische Fürstenhaus keine Waffen gehabt haben, wenn ich ihm gegenüber mein deutsches Nationalgefühl durch Bruch und Auflehnung hätte betätigen müssen; die geschichtliche Prädestination lag aber so, daß meine höfischen Talente hinreichten, um den König und damit schließlich sein Heer der deutschen Sache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/360>, abgerufen am 23.07.2024.