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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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rocks und wmbling

praktische Hemmnis, ist für die Vorkämpfer der Einheit oft verhängnisvoll
gewesen, namentlich bei Benutzung der günstigen Umstände der nationalen Be¬
wegung von 1848 bis 1850. Ich habe ein volles Verständnis für die Anhäng¬
lichkeit der heutigen welfischen Partei an die alte Dynastie, und ich weiß nicht,
ob ich ihr, wenn ich als Alt-Hannoveraner geboren wäre, nicht angehörte.
Aber ich würde auch in dem Falle immer der Wirkung des nationalen deutschen
Gefühls mich nicht entziehen können und mich nicht wundern, wenn die vis
in^or der Gesamtnationalität meine dynastische Mannestreue und persönliche
Vorliebe schonungslos vernichtete. Die Aufgabe, mit Anstand zugrunde zu
gehen, fällt in der Politik, und nicht bloß in der deutschen, auch anderen und
stärker berechtigten Gemütsregungen zu, und die Unfähigkeit, sie zu erfüllen,
vermindert einigermaßen die Sympathie, welche die kurbraunschweigische Vasallen¬
treue mir einflößt. Ich sehe in dem deutschen Nationalgefühl immer die
stärkere Kraft überall, wo fie mit dem Partikularismus in Kampf
gerät, weil der letztere, auch der preußische, selbst doch nur ent¬
standen ist in Auflehnung gegen das gesamtdeutsche Gemeinwesen,
gegen Kaiser und Reich, im Abfall von beiden, gestützt auf päpstlichen, später
französischen, in der Gesamtheit welschen Beistand, die alle dem deutschen Gemein¬
wesen gleich schädlich und gefährlich waren. Für die welfischen Bestrebungen ist
für alle Zeit ihr erster Merkstein in der Geschichte, der Abfall Heinrichs des
Löwen vor der Schlacht bei Legnano (29. Mai 1176) entscheidend, die Desertion
vom Kaiser und Reich im Augenblick des schwersten und gefährlichsten Kampfes
aus persönlichem und dynastischem Interesse."

Bismarck hat also die Schädlichkeit und Gefährlichkeit der welfischen Be¬
strebungen in allen ihren historischen Zusammenhängen gewürdigt und doch
nicht so hoch eingeschätzt, daß er die Welsen je gefürchtet hätte. Als eine mit
dem Volk fest verbundene Dynastie hätte er sie gern genutzt für die Einheit des
neuen Reiches, als Faktor, der die besten Eigenschaften des deutschen Volkes,
Heimatstreue, Liebe zur eigenen Scholle immer von neuem belebte und vertiefte.
Auf den Säulen dieser Form des Partikularismus thronte für Bismarck uner¬
schüttert fest das die Gesamtheit umfassende Nationalgefühl als vielfarbiges, bild-
und gedankenreiches Deckengemälde, nicht als eintönige, graue, alle Eigenart
verwischende Wölbung, die den Reichssaal erdrückt.

Aber Bismarcks Ideal standen politische und persönliche Tatsachen gegen¬
über, die beseitigt werden mußten, ehe jenes sich erfüllen konnte. Dazu gehörte
Zeit, Geduld, Kraft.

Wir finden in einem Leitartikel der Frankfurter Zeitung eine in ihrer
zusammenfassenden Kürze treffliche Skizze der Zusammenhänge, die Bismarck
seinerzeit hinderten, die Welsen ebenso zu behandeln, wie später die anderen
Bundesfürsten. Hier ist sie:

"Bei der großen Änderung der deutschen politischen Karte, die dem Kriege
von 1866 folgte, hatte Bismarck die Tendenz, die Bundesstaaten, um die es


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rocks und wmbling

praktische Hemmnis, ist für die Vorkämpfer der Einheit oft verhängnisvoll
gewesen, namentlich bei Benutzung der günstigen Umstände der nationalen Be¬
wegung von 1848 bis 1850. Ich habe ein volles Verständnis für die Anhäng¬
lichkeit der heutigen welfischen Partei an die alte Dynastie, und ich weiß nicht,
ob ich ihr, wenn ich als Alt-Hannoveraner geboren wäre, nicht angehörte.
Aber ich würde auch in dem Falle immer der Wirkung des nationalen deutschen
Gefühls mich nicht entziehen können und mich nicht wundern, wenn die vis
in^or der Gesamtnationalität meine dynastische Mannestreue und persönliche
Vorliebe schonungslos vernichtete. Die Aufgabe, mit Anstand zugrunde zu
gehen, fällt in der Politik, und nicht bloß in der deutschen, auch anderen und
stärker berechtigten Gemütsregungen zu, und die Unfähigkeit, sie zu erfüllen,
vermindert einigermaßen die Sympathie, welche die kurbraunschweigische Vasallen¬
treue mir einflößt. Ich sehe in dem deutschen Nationalgefühl immer die
stärkere Kraft überall, wo fie mit dem Partikularismus in Kampf
gerät, weil der letztere, auch der preußische, selbst doch nur ent¬
standen ist in Auflehnung gegen das gesamtdeutsche Gemeinwesen,
gegen Kaiser und Reich, im Abfall von beiden, gestützt auf päpstlichen, später
französischen, in der Gesamtheit welschen Beistand, die alle dem deutschen Gemein¬
wesen gleich schädlich und gefährlich waren. Für die welfischen Bestrebungen ist
für alle Zeit ihr erster Merkstein in der Geschichte, der Abfall Heinrichs des
Löwen vor der Schlacht bei Legnano (29. Mai 1176) entscheidend, die Desertion
vom Kaiser und Reich im Augenblick des schwersten und gefährlichsten Kampfes
aus persönlichem und dynastischem Interesse."

Bismarck hat also die Schädlichkeit und Gefährlichkeit der welfischen Be¬
strebungen in allen ihren historischen Zusammenhängen gewürdigt und doch
nicht so hoch eingeschätzt, daß er die Welsen je gefürchtet hätte. Als eine mit
dem Volk fest verbundene Dynastie hätte er sie gern genutzt für die Einheit des
neuen Reiches, als Faktor, der die besten Eigenschaften des deutschen Volkes,
Heimatstreue, Liebe zur eigenen Scholle immer von neuem belebte und vertiefte.
Auf den Säulen dieser Form des Partikularismus thronte für Bismarck uner¬
schüttert fest das die Gesamtheit umfassende Nationalgefühl als vielfarbiges, bild-
und gedankenreiches Deckengemälde, nicht als eintönige, graue, alle Eigenart
verwischende Wölbung, die den Reichssaal erdrückt.

Aber Bismarcks Ideal standen politische und persönliche Tatsachen gegen¬
über, die beseitigt werden mußten, ehe jenes sich erfüllen konnte. Dazu gehörte
Zeit, Geduld, Kraft.

Wir finden in einem Leitartikel der Frankfurter Zeitung eine in ihrer
zusammenfassenden Kürze treffliche Skizze der Zusammenhänge, die Bismarck
seinerzeit hinderten, die Welsen ebenso zu behandeln, wie später die anderen
Bundesfürsten. Hier ist sie:

„Bei der großen Änderung der deutschen politischen Karte, die dem Kriege
von 1866 folgte, hatte Bismarck die Tendenz, die Bundesstaaten, um die es


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[0359] rocks und wmbling praktische Hemmnis, ist für die Vorkämpfer der Einheit oft verhängnisvoll gewesen, namentlich bei Benutzung der günstigen Umstände der nationalen Be¬ wegung von 1848 bis 1850. Ich habe ein volles Verständnis für die Anhäng¬ lichkeit der heutigen welfischen Partei an die alte Dynastie, und ich weiß nicht, ob ich ihr, wenn ich als Alt-Hannoveraner geboren wäre, nicht angehörte. Aber ich würde auch in dem Falle immer der Wirkung des nationalen deutschen Gefühls mich nicht entziehen können und mich nicht wundern, wenn die vis in^or der Gesamtnationalität meine dynastische Mannestreue und persönliche Vorliebe schonungslos vernichtete. Die Aufgabe, mit Anstand zugrunde zu gehen, fällt in der Politik, und nicht bloß in der deutschen, auch anderen und stärker berechtigten Gemütsregungen zu, und die Unfähigkeit, sie zu erfüllen, vermindert einigermaßen die Sympathie, welche die kurbraunschweigische Vasallen¬ treue mir einflößt. Ich sehe in dem deutschen Nationalgefühl immer die stärkere Kraft überall, wo fie mit dem Partikularismus in Kampf gerät, weil der letztere, auch der preußische, selbst doch nur ent¬ standen ist in Auflehnung gegen das gesamtdeutsche Gemeinwesen, gegen Kaiser und Reich, im Abfall von beiden, gestützt auf päpstlichen, später französischen, in der Gesamtheit welschen Beistand, die alle dem deutschen Gemein¬ wesen gleich schädlich und gefährlich waren. Für die welfischen Bestrebungen ist für alle Zeit ihr erster Merkstein in der Geschichte, der Abfall Heinrichs des Löwen vor der Schlacht bei Legnano (29. Mai 1176) entscheidend, die Desertion vom Kaiser und Reich im Augenblick des schwersten und gefährlichsten Kampfes aus persönlichem und dynastischem Interesse." Bismarck hat also die Schädlichkeit und Gefährlichkeit der welfischen Be¬ strebungen in allen ihren historischen Zusammenhängen gewürdigt und doch nicht so hoch eingeschätzt, daß er die Welsen je gefürchtet hätte. Als eine mit dem Volk fest verbundene Dynastie hätte er sie gern genutzt für die Einheit des neuen Reiches, als Faktor, der die besten Eigenschaften des deutschen Volkes, Heimatstreue, Liebe zur eigenen Scholle immer von neuem belebte und vertiefte. Auf den Säulen dieser Form des Partikularismus thronte für Bismarck uner¬ schüttert fest das die Gesamtheit umfassende Nationalgefühl als vielfarbiges, bild- und gedankenreiches Deckengemälde, nicht als eintönige, graue, alle Eigenart verwischende Wölbung, die den Reichssaal erdrückt. Aber Bismarcks Ideal standen politische und persönliche Tatsachen gegen¬ über, die beseitigt werden mußten, ehe jenes sich erfüllen konnte. Dazu gehörte Zeit, Geduld, Kraft. Wir finden in einem Leitartikel der Frankfurter Zeitung eine in ihrer zusammenfassenden Kürze treffliche Skizze der Zusammenhänge, die Bismarck seinerzeit hinderten, die Welsen ebenso zu behandeln, wie später die anderen Bundesfürsten. Hier ist sie: „Bei der großen Änderung der deutschen politischen Karte, die dem Kriege von 1866 folgte, hatte Bismarck die Tendenz, die Bundesstaaten, um die es 23«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/359>, abgerufen am 03.07.2024.