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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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locis und Waldung

Damals war es der Halbbruder des Königs Georg von Hannover, der öster¬
reichische General Prinz Karl zu Solms, der "den König umgestimmt hatte, durch
übertriebene Schilderung der österreichischen Heereskräfte". Später ließ der
erblindete König sich von Frankreich umgarnen und Bismarck -- um sich gegen
die wölfischen Umtriebe zu verteidigen -- war sogar gezwungen im Jahre 1874
jenen Brief zu veröffentlichen, in dem König Georg der Hoffnung Ausdruck gibt,
sich sein Reich "mit eigenen Waffen als Verbündeter Frankreichs und Österreichs
wieder zu erobern" (Grenzboten 1909, Heft 27, S. 7 ff.). Trotz diesen schlechten
Erfahrungen hat Bismarck bis zuletzt zäh an der Möglichkeit festgehalten, einen
Welsen nach Braunschweig zu berufen.

Darauf deutet auch die Tagebuchnotiz, die Fürst Chlodwig Hohenlohe am
19. Juni 1885 in Kissingen vornimmt. Es heißt darin:

". . . Dann war von Braunschweig (wo Prinz Albrecht am 21. Oktober 1884
zum Regenten gewählt war) die Rede und von der Ernennung von Reuß zum
Herzog. Der Fürst sagte, dies sei Unsinn. Wenn man nicht die Söhne des
Herzogs von Cumberland unter einer guten, sicheren Vormundschaft einsetzen
wolle, so läge es doch näher, einen preußischen Prinzen, etwa den Prinzen
Heinrich oder Prinz Albrecht, zum Herzog von Braunschweig zu machen."

Aber besser noch entschleiern sich uns Bismarcks Gedankengänge über das
Welfenproblem in seinen umfassenden Ausführungen im ersten Bande seiner
Gedanken und Erinnerungen.

"Das Vorwiegen der dynastischen Anhänglichkeit," lesen wir
bei Bismarck, "und die Unentbehrlichkeit einer Dynastie als Binde¬
mittel für das Zusammenhalten eines bestimmten Bruchteils der
Nation unter dem Namen der Dynastie ist eine spezifisch reichsdeutsche
Eigentümlichkeit. Die besonderen Nationalitäten, die sich bei uns auf der Basis
des dynastischen Familienbesitzes gebildet haben, begreifen in sich in den meisten
Fällen Heterogene, deren Zusammengehörigkeit weder auf der Gleichheit des
Stammes, noch auf der Gleichheit der geschichtlichen Entwicklung beruht, sondern
ausschließlich auf der Tatsache einer in vielen Fällen anfechtbaren Erwerbung
durch die Dynastie nach dem Rechte des Stärkeren, oder des zerbrechlichen
Anfalls vermöge der Verwandtschaft, der Erbverbrüderung, oder der bei Wahl¬
kapitulationen von dem kaiserlichen Hofe erlangten Anwartschaft. Welches
immer der Ursprung dieser partikularistischen Zusammengehörigkeit in Deutsch¬
land ist, das Ergebnis derselben bleibt die Tatsache, daß der einzelne Deutsche
leicht bereit ist, seinen deutschen Nachbarn und Stammesgenossen mit Feuer
und Schwert zu bekämpfen und persönlich zu töten, wenn infolge von Streitig¬
keiten, die ihm selbst nicht verständlich sind, der dynastische Befehl dazu ergeht.
Die Berechtigung und Vernünftigkeit dieser Eigentümlichkeit zu prüfen, ist nicht
die Aufgabe eines deutschen Staatsmannes, so lange sie sich kräftig genug erweist,
um mit ihr rechnen zu können. Die Schwierigkeit, sie zu zerstören und zu
ignorieren, oder die Einheit theoretisch zu fördern, ohne Rücksicht auf dieses


locis und Waldung

Damals war es der Halbbruder des Königs Georg von Hannover, der öster¬
reichische General Prinz Karl zu Solms, der „den König umgestimmt hatte, durch
übertriebene Schilderung der österreichischen Heereskräfte". Später ließ der
erblindete König sich von Frankreich umgarnen und Bismarck — um sich gegen
die wölfischen Umtriebe zu verteidigen — war sogar gezwungen im Jahre 1874
jenen Brief zu veröffentlichen, in dem König Georg der Hoffnung Ausdruck gibt,
sich sein Reich „mit eigenen Waffen als Verbündeter Frankreichs und Österreichs
wieder zu erobern" (Grenzboten 1909, Heft 27, S. 7 ff.). Trotz diesen schlechten
Erfahrungen hat Bismarck bis zuletzt zäh an der Möglichkeit festgehalten, einen
Welsen nach Braunschweig zu berufen.

Darauf deutet auch die Tagebuchnotiz, die Fürst Chlodwig Hohenlohe am
19. Juni 1885 in Kissingen vornimmt. Es heißt darin:

„. . . Dann war von Braunschweig (wo Prinz Albrecht am 21. Oktober 1884
zum Regenten gewählt war) die Rede und von der Ernennung von Reuß zum
Herzog. Der Fürst sagte, dies sei Unsinn. Wenn man nicht die Söhne des
Herzogs von Cumberland unter einer guten, sicheren Vormundschaft einsetzen
wolle, so läge es doch näher, einen preußischen Prinzen, etwa den Prinzen
Heinrich oder Prinz Albrecht, zum Herzog von Braunschweig zu machen."

Aber besser noch entschleiern sich uns Bismarcks Gedankengänge über das
Welfenproblem in seinen umfassenden Ausführungen im ersten Bande seiner
Gedanken und Erinnerungen.

„Das Vorwiegen der dynastischen Anhänglichkeit," lesen wir
bei Bismarck, „und die Unentbehrlichkeit einer Dynastie als Binde¬
mittel für das Zusammenhalten eines bestimmten Bruchteils der
Nation unter dem Namen der Dynastie ist eine spezifisch reichsdeutsche
Eigentümlichkeit. Die besonderen Nationalitäten, die sich bei uns auf der Basis
des dynastischen Familienbesitzes gebildet haben, begreifen in sich in den meisten
Fällen Heterogene, deren Zusammengehörigkeit weder auf der Gleichheit des
Stammes, noch auf der Gleichheit der geschichtlichen Entwicklung beruht, sondern
ausschließlich auf der Tatsache einer in vielen Fällen anfechtbaren Erwerbung
durch die Dynastie nach dem Rechte des Stärkeren, oder des zerbrechlichen
Anfalls vermöge der Verwandtschaft, der Erbverbrüderung, oder der bei Wahl¬
kapitulationen von dem kaiserlichen Hofe erlangten Anwartschaft. Welches
immer der Ursprung dieser partikularistischen Zusammengehörigkeit in Deutsch¬
land ist, das Ergebnis derselben bleibt die Tatsache, daß der einzelne Deutsche
leicht bereit ist, seinen deutschen Nachbarn und Stammesgenossen mit Feuer
und Schwert zu bekämpfen und persönlich zu töten, wenn infolge von Streitig¬
keiten, die ihm selbst nicht verständlich sind, der dynastische Befehl dazu ergeht.
Die Berechtigung und Vernünftigkeit dieser Eigentümlichkeit zu prüfen, ist nicht
die Aufgabe eines deutschen Staatsmannes, so lange sie sich kräftig genug erweist,
um mit ihr rechnen zu können. Die Schwierigkeit, sie zu zerstören und zu
ignorieren, oder die Einheit theoretisch zu fördern, ohne Rücksicht auf dieses


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/358>, abgerufen am 01.07.2024.