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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Neue Moliöre-Übersetzungen

freier Erfindung des Übersetzers beruhen; zur Entschädigung läßt er solche
Molle-res weg. z. B. 1053, 1089 und 1171 (nach Despois). Die Ursache dieser
Mißgriffe scheint in der Schwierigkeit, die der Reim dem Übersetzer bereitet, zu
liegen. Ihr verdanken wir die entsetzlichen, aber gut zu reimenden Fremdworte
wie observieren, regulieren, perhorreszieren ü. a. in., Worte wie jetzunder auf
Wunder, die operntextmäßigen Triebe auf Liebe und Reime wie pfui auf nie.
Sie führt sogar zu Sinnwidrigkeiten. tVair mi^non (Despois 1122) ist mit
"zart und blaß" wiedergegeben. Das reimt sich zwar auf Spaß, ist aber als
Übersetzung falsch und sachlich unmöglich, da es sich um eine maskierte Person
handelt. Unerlaubt ist es auch, daß L6lie und Leandre sich plötzlich duzen (S. 53),
und zwar aus Rücksichten auf den Reim.

Die Übersetzung des "Liebeszwist" durch Erich Meyer, der auch die beiden
Moliöre zugeschriebenen ersten Possen in gewandtes Deutsch übertragen hat,
macht einen sehr zwiespältigen Eindruck. Einzelne Stellen sind trefflich gelungen,
besonders S. 58 die große Rede des Gros-Reus gegen die Weiber; daneben
finden sich andere, die hinter dem Original weit zurückbleiben, und statt Moliöres
Wortlaut eine freie, meist recht banale und schwerfällige Umschreibung bringen.
Vers 1207 lautet:


Oe mes justes soup?on8 suis-js sorti trop orei?

Daraus macht Meyer:


Und als eines bessern ich
Belehre mich sah, hab' ich mich nicht besonnen,
Den Argwohn aufzugeben I

' Die Übersetzung erweckt den Eindruck, als ob sie in großer Hast ausgeführt
sei und der letzten Durcharbeit entbehre. Darauf deuten einzelne Verstöße gegen
den Sinn des Originals, vielfache eigene Zutaten des Nachdichters, Auslassungen
und der oft recht mangelhaft gebaute Vers. War die Niederschrift im Blankvers
ursprünglich etwa nur als ein erster Entwurf gedacht, der später gereimt werden
sollte? Der häufige Gebrauch des Reimes, auch an Stellen, die keine besondere
Betonung verdienen, legt die Vermutung nahe. Das ist um so bedauerliche^
als Erich Meyer bewiesen hat, daß er das Zeug zu einem guten Übersetzer besitzt.

Otto Hausers Übertragung der "Preziösen" wirkt bei der Lektüre recht
angenehm, dagegen kann ich mich mit seinem "Sganarelle" nicht befreunden.
Schon die Form ist verfehlt. Der angebliche Alexandriner, der die Silben
einfach zählt, widerspricht der deutschen Prosodie und dem Wesen der Sprache.
Es bleibt davon nichts als ein über Gebühr in die Länge gezogener Knittelvers,
von dem der Übersetzer einen recht ungewandten Gebrauch macht. Man meint
zunächst, die Ungewandtheit sei Absicht und Moliöres elegante Form solle durch
ein altertümelndes. ungelenkes Deutsch im Stile Hans Sachsens wiedergegeben
werden; wenn man aber Worte wie Fahr für Gefahr, gedrange für eng, falsche
Pluralbildungen wie Ordern und die nicht seltenen falschen Tempora steht, kommt
man von der Annahme zurück. Ausdrücke wie der "Happ". "süssen". "geufzen",


Neue Moliöre-Übersetzungen

freier Erfindung des Übersetzers beruhen; zur Entschädigung läßt er solche
Molle-res weg. z. B. 1053, 1089 und 1171 (nach Despois). Die Ursache dieser
Mißgriffe scheint in der Schwierigkeit, die der Reim dem Übersetzer bereitet, zu
liegen. Ihr verdanken wir die entsetzlichen, aber gut zu reimenden Fremdworte
wie observieren, regulieren, perhorreszieren ü. a. in., Worte wie jetzunder auf
Wunder, die operntextmäßigen Triebe auf Liebe und Reime wie pfui auf nie.
Sie führt sogar zu Sinnwidrigkeiten. tVair mi^non (Despois 1122) ist mit
„zart und blaß" wiedergegeben. Das reimt sich zwar auf Spaß, ist aber als
Übersetzung falsch und sachlich unmöglich, da es sich um eine maskierte Person
handelt. Unerlaubt ist es auch, daß L6lie und Leandre sich plötzlich duzen (S. 53),
und zwar aus Rücksichten auf den Reim.

Die Übersetzung des „Liebeszwist" durch Erich Meyer, der auch die beiden
Moliöre zugeschriebenen ersten Possen in gewandtes Deutsch übertragen hat,
macht einen sehr zwiespältigen Eindruck. Einzelne Stellen sind trefflich gelungen,
besonders S. 58 die große Rede des Gros-Reus gegen die Weiber; daneben
finden sich andere, die hinter dem Original weit zurückbleiben, und statt Moliöres
Wortlaut eine freie, meist recht banale und schwerfällige Umschreibung bringen.
Vers 1207 lautet:


Oe mes justes soup?on8 suis-js sorti trop orei?

Daraus macht Meyer:


Und als eines bessern ich
Belehre mich sah, hab' ich mich nicht besonnen,
Den Argwohn aufzugeben I

' Die Übersetzung erweckt den Eindruck, als ob sie in großer Hast ausgeführt
sei und der letzten Durcharbeit entbehre. Darauf deuten einzelne Verstöße gegen
den Sinn des Originals, vielfache eigene Zutaten des Nachdichters, Auslassungen
und der oft recht mangelhaft gebaute Vers. War die Niederschrift im Blankvers
ursprünglich etwa nur als ein erster Entwurf gedacht, der später gereimt werden
sollte? Der häufige Gebrauch des Reimes, auch an Stellen, die keine besondere
Betonung verdienen, legt die Vermutung nahe. Das ist um so bedauerliche^
als Erich Meyer bewiesen hat, daß er das Zeug zu einem guten Übersetzer besitzt.

Otto Hausers Übertragung der „Preziösen" wirkt bei der Lektüre recht
angenehm, dagegen kann ich mich mit seinem „Sganarelle" nicht befreunden.
Schon die Form ist verfehlt. Der angebliche Alexandriner, der die Silben
einfach zählt, widerspricht der deutschen Prosodie und dem Wesen der Sprache.
Es bleibt davon nichts als ein über Gebühr in die Länge gezogener Knittelvers,
von dem der Übersetzer einen recht ungewandten Gebrauch macht. Man meint
zunächst, die Ungewandtheit sei Absicht und Moliöres elegante Form solle durch
ein altertümelndes. ungelenkes Deutsch im Stile Hans Sachsens wiedergegeben
werden; wenn man aber Worte wie Fahr für Gefahr, gedrange für eng, falsche
Pluralbildungen wie Ordern und die nicht seltenen falschen Tempora steht, kommt
man von der Annahme zurück. Ausdrücke wie der „Happ". „süssen". „geufzen",


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[0345] Neue Moliöre-Übersetzungen freier Erfindung des Übersetzers beruhen; zur Entschädigung läßt er solche Molle-res weg. z. B. 1053, 1089 und 1171 (nach Despois). Die Ursache dieser Mißgriffe scheint in der Schwierigkeit, die der Reim dem Übersetzer bereitet, zu liegen. Ihr verdanken wir die entsetzlichen, aber gut zu reimenden Fremdworte wie observieren, regulieren, perhorreszieren ü. a. in., Worte wie jetzunder auf Wunder, die operntextmäßigen Triebe auf Liebe und Reime wie pfui auf nie. Sie führt sogar zu Sinnwidrigkeiten. tVair mi^non (Despois 1122) ist mit „zart und blaß" wiedergegeben. Das reimt sich zwar auf Spaß, ist aber als Übersetzung falsch und sachlich unmöglich, da es sich um eine maskierte Person handelt. Unerlaubt ist es auch, daß L6lie und Leandre sich plötzlich duzen (S. 53), und zwar aus Rücksichten auf den Reim. Die Übersetzung des „Liebeszwist" durch Erich Meyer, der auch die beiden Moliöre zugeschriebenen ersten Possen in gewandtes Deutsch übertragen hat, macht einen sehr zwiespältigen Eindruck. Einzelne Stellen sind trefflich gelungen, besonders S. 58 die große Rede des Gros-Reus gegen die Weiber; daneben finden sich andere, die hinter dem Original weit zurückbleiben, und statt Moliöres Wortlaut eine freie, meist recht banale und schwerfällige Umschreibung bringen. Vers 1207 lautet: Oe mes justes soup?on8 suis-js sorti trop orei? Daraus macht Meyer: Und als eines bessern ich Belehre mich sah, hab' ich mich nicht besonnen, Den Argwohn aufzugeben I ' Die Übersetzung erweckt den Eindruck, als ob sie in großer Hast ausgeführt sei und der letzten Durcharbeit entbehre. Darauf deuten einzelne Verstöße gegen den Sinn des Originals, vielfache eigene Zutaten des Nachdichters, Auslassungen und der oft recht mangelhaft gebaute Vers. War die Niederschrift im Blankvers ursprünglich etwa nur als ein erster Entwurf gedacht, der später gereimt werden sollte? Der häufige Gebrauch des Reimes, auch an Stellen, die keine besondere Betonung verdienen, legt die Vermutung nahe. Das ist um so bedauerliche^ als Erich Meyer bewiesen hat, daß er das Zeug zu einem guten Übersetzer besitzt. Otto Hausers Übertragung der „Preziösen" wirkt bei der Lektüre recht angenehm, dagegen kann ich mich mit seinem „Sganarelle" nicht befreunden. Schon die Form ist verfehlt. Der angebliche Alexandriner, der die Silben einfach zählt, widerspricht der deutschen Prosodie und dem Wesen der Sprache. Es bleibt davon nichts als ein über Gebühr in die Länge gezogener Knittelvers, von dem der Übersetzer einen recht ungewandten Gebrauch macht. Man meint zunächst, die Ungewandtheit sei Absicht und Moliöres elegante Form solle durch ein altertümelndes. ungelenkes Deutsch im Stile Hans Sachsens wiedergegeben werden; wenn man aber Worte wie Fahr für Gefahr, gedrange für eng, falsche Pluralbildungen wie Ordern und die nicht seltenen falschen Tempora steht, kommt man von der Annahme zurück. Ausdrücke wie der „Happ". „süssen". „geufzen",

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/345>, abgerufen am 22.12.2024.